Fotobände sind seine grösste Leidenschaft. Robert Frank fand in ihm seinen letzten und besten Verleger. Gerhard Steidl hält engsten Kontakt zu seinen Autoren, erarbeitet meistens zusammen mit ihnen das Bookdesign, und beim Druck auf den Druckmaschinen des Verlags in der Düsteren Strasse in Göttingen sind sie häufig auch dabei. Die Auswahl der Papiere ist ihm ebenso wichtig wie die feinsten Nuancen in den Grau- oder Farbtönen. Als Experte für erstklassige Drucke wird Gerhard Steidl von führenden Druckmaschinenherstellern um Rat gefragt.
Gerhard Steidl geht jeden Tag in Allerherrgottsfrühe an die Arbeit. Er scheut keinen Aufwand, um jeweils das Optimum an Qualität zu erreichen. Für ihn ist das gedruckte Bild heute wichtiger denn je. Nur das gedruckte Bild hat eine endgültige Gestalt, in der Grautöne oder Farben und Helligkeitswerte festgelegt sind. Auch hat jedes Bild ein bestimmtes Format in seinem unverwechselbaren Buch. Ganz anders die Bilder in den elektronischen Medien. Sie erscheinen ständig anders. Nichts ist verbindlich.
Der Steidl Verlag hat ein weltweites Autorennetz, und er ist weltweit einzigartig. In diesem Jahr wurde Gerhard Steidl der Sony World Photography Award für „herausragende Leistungen für die Fotografie“ verliehen. Vor kurzem wurde er 70.
Jede dieser Vorschauen in schönster Buchform gibt Einblicke in die Welt dieses Verlages, die eine verwirrende Vielfalt hat. Was hält sie zusammen? Der Geist von Gerhard Steidl, der intuitiv seinem Qualitätsbewusstsein folgt. Da lässt er sich auch nicht hineinreden. Das ist ein völlig anderes Denken als das übliche in Zielgruppen und Deckungsbeiträgen. Steidl glaubt an die Durchsetzungskraft von Qualität, die in kein betriebswirtschaftliches Schema passt.
Steidls Bücherkisten
Seinen Verlag gibt es seit 1968. Mit seinem Fotobuchprogramm begann Steidl 1994. Im Jahr 2006 kam ihm der Gedanke, dass er doch wie ein Winzer von jedem bei ihm erscheinenden Buch 50 Exemplare zurücklegen könne – ganz wie Weinbauern immer ein Kontingent ihrer besten Flaschen aufbewahren. In diesem Jahr nun bietet er 15 Jahre Steidl an. In den Kisten befinden sich etwa 1000 Bücher. Die sind keine Schnäppchen, aber der Gedanke, dass einige Sammler die Pointe begreifen, ist alles andere als abwegig. Vertriebsmitarbeiter in anderen Verlagen würden sich die Haare raufen. In diesem Fall aber möchte man darauf wetten, dass Steidls Bücherkisten keine Flops werden.
In der aktuellen Vorschau fällt eine Seite ganz besonders ins Auge, weil diese zunächst gar nicht wie der Hinweis auf Bücher wirkt. Die Abbildungen sehen eher wie die von Pillenschachteln aus. „Pharmacy ® London“ besteht aus 10 Bänden mit 3’565 Farbbildern von den 1’832 Apotheken Londons, die der Fotograf Damian Hirst seit 2005 fotografiert hat. Die Auflage ist auf 750 Sets à 1’500 Euro begrenzt. Nicht jeder, der das kauft, wird alle Apotheken Londons anschauen, aber er wird das schöne Gefühl haben, qualitativ hochstehende Bilder von einer systematisch erfassten Welt, die schon jetzt am Verschwinden ist, erworben zu haben. Diese Bände sind vielleicht selbst ein Medikament gegen die Flüchtigkeit und gegen das Vergessen.
In seinem aktuellen Programm findet man auch einen Klassiker wie „Goldfinger“ in einem Bildband zu einem absolut akzeptablen Preis. Warum Goldfinger? Am Set durften diverse Fotografen ihre Bilder machen. Jeder spürte, dass hier nicht nur ein Kassenschlager entstand, sondern irgendetwas Ikonisches. Vielleicht sind die Fotos, die man jetzt bei Steidl sehen kann, besser als der Film, der im Rückblick, um es vorsichtig zu sagen, reichlich zeitgebunden erscheint. Aber das Fantastische besteht nun einmal darin, dass die Dreharbeiten selbst packende Fotos ermöglicht haben.
Wenn man durch das Buch mit den Vorschauen geht, sieht man, dass der Fotogeschichte grossen Respekt gezollt wird, wobei Steidl mit Vorliebe gerade weniger bekannten Fotografen Raum gibt. So fällt Mary Ellen Marks „The Book of Everything“ ins Auge. Mark verstarb 2015. Von 1963 an hat sie mehr als 2 Millionen Fotos von Alltagssituationen aufgenommen. Ihr Ehemann, Martin Bell, selbst im Filmgeschäft tätig, stand ihr 30 Jahre lang zur Seite und hat für dieses Buch die Auswahl getroffen.
Carte Blanche
Ein anderes Highlight ist Ed Clark. Im Katalog heisst es, Clark sei einer der „faszinierendsten und wichtigsten ‚unbekannten‘ Fotografen des 20. Jahrhunderts“ gewesen. Allerdings war er so unbekannt nun auch wieder nicht. Schliesslich arbeitete er 22 Jahre lang für Life.
Es gibt einige Künstler, die bei Gerhard Steidl Carte Blanche erhalten: Steidl wird von ihnen alles drucken. Dazu gehört William Eggleston. „The Outlands“ sind nicht das erste mehrbändige Werk bei Steidl. Vorher erschien schon „The Democratic Forest“. Dieses Werk umfasst zehn Bände mit mehr als 1000 Bildern. Es kostet 650 Euro. Die jetzt erschienenen vier Bände der „Outlands“ werden mit 380 Euro angegeben.
Allerdings bietet Steidl zahlreiche einzelne Bände zu moderaten Preisen an. Er ist kein Verlag für Snobs. Aber da er mit einer ihm eigenen Vorliebe zahlreiche Bücher verlegt, mit denen sich kein Geld verdienen lässt, braucht er andere verlässliche Einnahmequellen. Dazu gehören die Werke von Günter Grass und Karl Lagerfeld. Lukrativ sind auch Druckaufträge von Firmen. Und es gibt betuchte Privatleute, die für ihre Druckwünsche gut zahlen.
Erotik und Witz
Der Fotograf Koto Bolofo stammt aus Südafrika und wuchs in England auf. Von ihm sind schon eine Reihe von Bänden im Steidl Verlag erschienen. Er arbeitet unter anderem für Vanity Fair und Vogue. Die Bilder des jetzt angekündigten Titels sind im Jahr 2000 in Vogue Italia erschienen. Mit ihnen verbindet sich eine witzige Geschichte:
Ursprünglich sollte Koto Bolofo Badeanzüge fotografieren. Anstatt dafür aber die üblichen Models zu beschäftigen, kam er auf die Idee, Synchronschwimmerinnen aus Kalifornien zu engagieren. Herausgekommen sind dabei diese Fotos mit ihrer unnachahmlichen Mischung aus Erotik und Witz. Der Titel dieses Bandes: „Say Cheese“.
Die Vorschau mit dem Herbst- und Winterprogramm 2020/2021 bringt es auf 192 Seiten. Im Buchhandel kann man sie nicht erwerben. Aber bei www.steidl.de gibt es eine Seite mit Kontaktdaten, über die man sich an den Verlag wenden und für die Vorschau eintragen lassen kann.