Diese Übergangsregierung könnte sogar „Vertreter der Opposition“ als Minister aufnehmen, es wäre jedenfalls bereit wäre, einen Dialog mit allen Oppositionsgruppen zu führen. Dabei wurde ausdrücklich erwähnt, Gespräche auch mit den (technisch verbotenen) Muslimbrüdern.
Ein neuer Rais?
Viele Fragen bleiben noch offen. Ob das bisherige, aus gefälschten Wahlen hervorgegangene Parlament fortbestehen soll, oder nicht, bleibt unklar. Wann es zu Neuwahlen käme, desgleichen. Der Ausnahmezustand, unter welchem Ägypten seit 1981 regiert wird, fand keine Erwähnung. Wird er also andauern, oder aufgehoben?
Klar wäre hingegen, dass Omar Soleiman die Person wäre, welche den versprochenen „Übergang“ leitete - mit oder ohne einen diskreditierten Mubarak im Hintergrund. Soleiman würde praktisch der neue Machthaber werden. Alles andere kann man getrost als dekorative Versprechen ansehen, dazu bestimmt, dieses Angebot zu verzuckern.
Der neue „Rais“ (Oberhaupt) wie man den Präsidenten seit Nassers Zeiten in Ägypten nennt, würde die Lage dominieren und den Übergang so gestalten, wie er dies wollte. Falls ihm das zweckmässig erscheinen sollte, könnte er zum Beispiel die „Gesprächspartner“ des geplanten „Dialogs“ nach einigen Sitzungen abblitzen lassen und erklären, sie seien ja nicht bereit, bei der Gestaltung des neuen Ägypten mitzuarbeiten. Wenn sie aufsässig würden, könnte er sie – warum nicht – auch ins Gefängnis werfen.
Kardinalfrage: Die Haltung der Armee
Doch solche Aussichten werden natürlich zur Zeit nicht erwähnt. Soleiman versucht, die Zustimmung der Generäle und die der Amerikaner zu erhalten, und ist daher bereit, viel Blaues vom Himmel herab zu versprechen. Die Kardinalfrage lautet: steht die Armee hinter diesen Plänen oder nicht, oder nur teilweise?
Wenn ja, arbeitet die Zeit für Soleiman, denn über die kommenden Tage und Wochen dürften die Kräfte der Demonstranten abnehmen, aus reiner Erschöpfung. Auch wenn keine neuen Schlägerbanden eingesetzt werden. Je attraktiver Soleiman seine angeblichen Pläne ausmalt, desto besser sind seine Chancen, Teile der Bevölkerung, der Armee, der Amerikaner für sie, und das bedeutet für sich, zu gewinnen. Was er dann später tun wird, steht auf einem anderen Blatt.
Für Solaiman ist ein Vorteil, dass sich die Aufmerksamkeit der Demonstranten und auch des weiteren weltweiten Publikums so sehr auf die Person Husni Mubaraks konzentriert. Das Ringen um seinen Rücktritt, heute oder morgen oder in fünf Monaten, lenkt ab von der wahren Machtfrage, die lautet: Wer beherrscht die nächste Phase, die als eine Übergangssituation ins Auge gefasst wird. Denn wohin dieser Übergang führt, wird diese Person bestimmen.
Schlägertgrupps zurückgepfiffen
Im Fall der Armee kann man annehmen, der Plan ist attraktiv für die hohen Offiziere, denn er verspricht ihnen die Fortsetzung ihrer bisherigen Stellung und Privilegien. Für jene von ihnen, die in die Geschäftswelt verwickelt sind, kann Soleiman ein paar zusätzliche Zückerchen anbieten, indem er ihnen zusagt, in Zukunft werde die Wirtschaft weniger eng an die Günstlinge des Staates gebunden und etwas mehr frische Luft und damit weitere Expansionsmöglichkeiten erhalten.
Für die Stimmung der Soldaten und der unteren Ränge der Offiziere ist wichtig, dass die Volksempörung nicht allzu sehr zunimmt. Wenn schon demonstriert werden muss, ist eine Volksfeststimmung am besten. Aus diesem Grunde waren die Schlägertruppen vom Donnerstag ein Fehler, denn sie störten das Aufkommen einer solchen Stimmung. Deshalb wurden sie weitgehend zurückgepfiffen - sogar mit einer Entschuldigung von Seiten des Ministerpräsidenten. Die Armee erhielt den Auftrag, die beiden rivalisierenden Demonstrationen getrennt zu halten.
Doch offensichtlich ist das Ziel, dass die Proteste sich legen und die Leute nach Hause gehen. Aufforderungen an die Demonstranten in diesem Sinne von Seiten der Armee wurden erneut am Fernsehen verlesen. Dies wäre auch deshalb wünschenswert, weil die Unruhen das Regime viel Geld kosten. Die Schlägertruppen haben sich auch negativ auf die Haltung des Auslandes ausgewirkt. Am wichtigsten ist da natürlich Amerika.
Es sieht so aus als ob die amerikanischen Diplomaten nach Hause gemeldet hätten, die Schläger seien vom Staat bestellt und eingesetzt worden, wobei sie sich durch die offiziellen Lügen offenbar nicht weiter beeinflussen liessen. Dies soll einige Fragezeichen in Washington in Bezug auf Soleiman und seine Eignung als Übergangsführer, hervorgebracht haben. Soleiman wird seine israelischen und seine CIA-Verbindungen spielen lassen müssen, um solche Fragezeichen zu entschärfen.
Kein echter Wandel?
Der Bevölkerung muss von Seiten der Obrigkeit suggeriert werden, sie habe ihr Ziel erreicht. Ihre Botschaft sei angekommen. Sie könne sich jetzt beruhigen. Je schneller sie das tut, desto rascher kann Soleiman zum Endspiel übergehen, das ihn, so kann er hoffen, in die entscheidende und gefestigte Machtposition bringen soll – für so viele Jahre, bis es zum nächsten Verzweiflungsaufstand der Ägypter kommt.
Um solchen Entwicklungen zu entgehen, müsste der Volkswiderstand solange durchhalten, bis er eine neue Verschiebung im Machtgefüge der Armee zustande brächte. So dass sie ganz oder in Teilen zu fühlen begänne, weder Ägypten noch seine Armee könnten unter der Fuchtel des bisherigen Geheimdienstchefs prosperieren, weil die Bevölkerung ihn allzu eindeutig ablehne.