Gespannte Erwartung, Freude gar auf die Bewältigung der bevorstehenden Aufgaben sieht gewiss anders aus. Nun hat sicher auch niemand von Angela Merkel, Horst Seehofer, Angela Nahles oder Olaf Scholz erwartet, dass sie medienwirksam die Ärmel hochkrempeln und in die Hände spucken.
Aber ein bisschen mehr Elan, einen erkennbareren Willen zum Zupacken und weniger deutlichen Widerwillen gegenüber der gemeinsam auferlegten Pflicht zum Regieren (und das heisst: einem klugen, kraftvollen Steuern des Staatsschiffes vor allem in rauer See) hätten sie schon ausstrahlen können. Und zwar keineswegs allein gegenüber den Bundesbürgern. Auch in den Mitgliedsländern der EU und weit darüber hinaus verfolgt man gespannt, welchen Kurs das politisch, wirtschaftlich und militärisch ja nicht ganz unbedeutende Land in der Mitte Europas nehmen wird.
Ein holpriger Start
Tatsächlich hat es einen derart holprigen Start in der deutschen Nachkriegsgeschichte noch nicht gegeben. Ein halbes Jahr Gerangel mit höchst unterschiedlichen „Spielern“, bis endlich eine regierungsfähige Mehrheit zustande kam. Und das war (und ist) ausgerechnet die Konstellation, die keiner wollte. Zumal es sich mit CDU/CSU und SPD auch noch um jene Grosse-Koalitions-Parteien handelte, die bei der Bundestagswahl im September vorigen Jahres von den Wählern am schlimmsten abgestraft worden waren. Ausgerechnet die sind nun wieder, sozusagen auf Gedeih und Verderb, für nahezu vier Jahre aneinander gekettet. Wobei man, angesichts der Stimmenverluste, von einer Grossen Koalition (neudeutsch: GroKo) wirklich nicht mehr ernsthaft reden kann.
Wenn schon bei den direkt Beteiligten von Begeisterung keine Rede sein kann, wie sollte sie dann in der Bevölkerung zu spüren sein? Dazu braucht man nicht einmal die miesepetrigen bis gehässigen Eintragungen in den (un)sozialen Netzen zu bemühen. Nein, die allgemeinen Erwartungen in die Leistungsfähigkeit der alt/neuen Truppe um Angela Merkel sind wirklich nicht übermässig ausgeprägt. Das hängt, ohne Zweifel, einerseits damit zusammen, dass die Deutschen in der Masse nicht gerade zu den Miterfindern des Optimismus zählen. Auf der anderen Seite freilich auch mit dem allgemein verbreiteten Gespür der Unsicherheit, weil man eine Zeitenwende fühlt und sich eine ungewisse, nicht selten bedrohlich wirkende Zukunft auftut.
Wenig Zeit für grosse Brocken
Wie viele heiligen Eide haben CDU/CSU und SPD seit dem Wahldebakel im vorigen September geschworen, dass eine radikale Erneuerung der Parteien unumgänglich sei und es „kein Weiter so“ geben dürfe. Allerdings: Die Kunde vernimmt der interessierte Zeitgenosse schon, allein der Glaube will nicht so recht aufkommen. Dabei soll gar nicht einmal am Willen aller Beteiligten gezweifelt werden. Die Skepsis erwächst vielmehr aus den simplen Gegebenheiten.
Auch wenn jene Kritiker nicht Unrecht haben, die in dem 177-seitigen Koalitionsvertrag „die ganz grossen Zukunftswürfe“ vermissen, so sind trotzdem viele Vorhaben und Projekte enthalten, deren Verwirklichung die Kräfte eines Goliath erfordern. Das gilt für die Bildung, die Sicherung der Sozialsysteme, den riesigen Bereich der Flüchtlingspolitik, Europa, die äussere und innere Sicherheit, die Energiewende usw. usw.
Dem jedoch steht die verbleibende Zeit gegenüber. Das erste halbe Jahr der neuen Wahlperiode ist bereits durch das Schlamassel bei den Bemühungen um eine Regierungskoalition verplempert worden. Bleiben – rechnerisch – noch dreieinhalb Jahre. Aber eben nur rechnerisch. Denn am Ende der Legislatur (im Herbst 2021) wird schliesslich auch keine Zeit mehr zum Regieren sein, weil dann ja auch schon wieder der Wahlkampf tobt.
Dazwischen finden zudem noch diverse Landtagswahlen statt, in denen die Berliner Partner als erbitterte Gegner aufeinanderprallen. Nicht umsonst auch haben die Sozialdemokraten für die Mitte der Wahlzeit ein „Bilanztreffen“ ins Auge gefasst. Also wohl einen Parteitag, auf dem das bis dahin möglicherweise erreichte Wohl und das vielleicht wieder erlittene Wehe gegeneinander aufgerechnet werden sollen. Man kann dabei getrost von einem etwaigen Sollbruchdatum sprechen.
Oppositionen Im Innern
Dabei ist es ja auch keineswegs so, als handele es sich bei den drei Koalitionspartnern in Berlin um geschlossene Blöcke. Auch wenn vor allem die Sozialdemokraten während der vergangenen Monate alle Welt an ihrer Selbstzerfleischung hatten teilhaben lassen, so werden die CDU, aber auch die über Jahre scheinbar als erratischer Blick erscheinende bayerische CSU von kaum minderen Spannungen heimgesucht. Wobei es noch gar nicht ausgemacht ist, ob der in Kürze bevorstehende Ministerpräsidentenwechsel in München wirklich Ruhe bringen wird. Wenn Markus Söder, der Seehofer-„Killer“, bei den weiss/blauen Landtagswahlen im Herbst nicht deutlich zulegt, wird es bei den sieggewohnten Christsozialen wohl keineswegs bei einem freundschaftlichen Fingerhakeln bleiben.
Und die CDU? Die Partei ist, ohne Frage, ihrer Chefin und Bundeskanzlerin Angela Merkel überdrüssig. Das weiss die auch und hat, nicht zuletzt mit der Inthronisierung der bisherigen saarländischen Regierungschefin Annegret Kramp-Karrenbauer zur CDU-Generalsekretärin den Wechsel an der Spitze eingeleitet.
Es wäre, im Übrigen, das erste Mal in der deutschen Nachkriegsgeschichte, wenn so ein geordneter Übergang gelänge. Immerhin haben vor allem CDU und SPD der Öffentlichkeit ein paar neue Gesichter präsentiert. Inwieweit dahinter politische Talente, Charaktere gar, stecken, muss die Zukunft zeigen. Eine der interessantesten Figuren dürfte die von der SPD präsentierte neue Familienministerin Franziska Giffey sein. Die 39-jährige, in Frankfurt/Oder gebürtige Frau war zuletzt Bürgermeisterin im Berliner Problembezirk Neukölln. Ihr Vorgänger (und sicher auch Vorbild) dort war der fast schon legendäre Heinz Buschkowsky, der mit seiner kompromisslosen Recht-und-Ordnungs-Vorgehensweise gegen kriminelle Ausländer-Clans und Integrationsverweigerer weite Teile seiner eigenen Genossen zur Weissglut und damit natürlich gegen sich aufbrachte.
Die „ewige Merkel“
Jetzt ist Angela Merkel am Mittwoch zum vierten Mal als Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland vereidigt worden. Einige inner- und ausserhalb der Partei haben ihr bereits das Adjektiv „ewig“ umgehängt. Es liegen unsichere Zeiten vor ihr, der neuen Regierung, aber auch dem Land. Wobei, ironischerweise, vielleicht gerade in den beschriebenen Risiken auch die Chancen liegen. Natürlich werden (und müssen) die Koalitionspartner, jeder für sich, versuchen, ihr ureigenstes Profil zu entwickeln. Aber genauso sind sie dazu verdonnert, Erfolge zu erzielen – daheim und aussenpolitisch. Sollte das nicht gelingen, sollten die Bürger den Eindruck gewinnen, es gehe „denen da oben“ gar nicht in erster Linie um das Land und die Menschen darin, dann werden sich ganz sicher noch mehr jenen zuwenden, die mit scheinbar einfachen Lösungen für komplizierte Probleme ihre Köder auswerfen.
Deshalb der dringende Appell an „die da oben“: Jetzt fangt endlich einmal an und legt richtig los!