«Ich hasse dieses Buch», schrieb Curzio Malaparte 1948 im Vorwort der Neuauflage seiner Schrift über die «Technik des Staatsstreichs» (dt. Erstausgabe 1932). «Es hat mir Ruhm gebracht, aber auch viel Leid. Wegen dieses Buches lernte ich Gefängnis und Verbannung kennen, Verrat durch Freunde, tückische Feindschaft, Egoismus und Bösartigkeit der Menschen.»
Faszination der Gegensätze
Kurt Erich Suckert, der sich später den klangvolleren Namen Curzio Malaparte zulegte, wurde 1898 als Sohn eines deutschen Textilkaufmanns und einer Mailänderin in Prato, nahe Florenz, geboren. Er trat ins Jesuitenkollegium ein, und seine literarische Begabung wurde rasch erkannt. Früh regte sich im Jüngling der Wille, etwas Ausserordentliches zu leisten, eine Persönlichkeit jenseits der bürgerlichen Normen zu werden: männlich, mächtig, unwiderstehlich.
Im Ersten Weltkrieg kämpfte er in Frankreich und an der Isonzo-Front und wurde wegen Tapferkeit vor dem Feinde ausgezeichnet. Über seine Kriegserfahrungen schrieb er einen Bericht, der merkwürdig zwischen Pazifismus und Patriotismus oszilliert und auf Malapartes Neigung vorausweist, sich von Gegensätzen anziehen zu lassen.
Faschismus und Kommunismus
Im Jahre 1922 trat er der faschistischen Partei bei – einen Monat vor Mussolinis Marsch auf Rom. Dann wandte er sich dem Journalismus zu und machte sich einen Namen mit leidenschaftlich formulierten Artikeln. Er traf mit Mussolini zusammen, mit dem ihn eine Hassliebe verband.
Zugleich interessierte ihn der Kommunismus, und er besuchte 1929 die Sowjetunion – damals das Reiseziel ungezählter neugieriger Intellektueller, die nach der Katastrophe des Weltkriegs auf eine gesellschaftliche Erneuerung hofften. Seine Berichte aus Russland waren brillant und nicht unkritisch; sie festigten den Ruf des Journalisten als eines engagierten Beobachters des Zeitgeschehens.
Beobachter des Zeitgeschehens und Bonvivant
Um 1930 begriff Malaparte, dass die Auseinandersetzung zwischen dem Kommunismus und dem Faschismus in seiner italienischen und deutschen Variante zum zentralen Thema des politischen 20. Jahrhunderts werden würde. Zugleich erkannte er, dass es sein Schicksal war, in diesem Spannungsfeld eine wichtige Rolle zu spielen.
Malaparte war, nebenbei bemerkt, ein auffallend schöner Mann. Er bewegte sich gern in gehobener Gesellschaft und wirkte unwiderstehlich auf elegante Damen aus vornehmem Haus. Aber er genoss seine Wirkung, so scheint es, mehr als den Reiz dieser Damen selbst.
Weitreichende Wirkung
«Die Technik des Staatsreichs» wurde 1930 in Turin verfasst und erschien ein Jahr später in französischer Sprache in Paris. Das Buch wurde zum internationalen Erfolg und bildete den Diskussionsstoff der europäischen Intellektuellen. Ja, es wirkte weit über seine Zeit hinaus. Man weiss, dass es vom jungen Revolutionär Ché Guevara im bolivianischen Urwald gelesen wurde und von den griechischen Obristen, die sich 1967 an die Macht putschten.
Wer von diesem Buch eine sorgfältige wissenschaftliche Studie oder ein Handbuch für angehende Terroristen erwartet, wird freilich enttäuscht. Malaparte behandelt, mehr skizzenhaft als eingehend, einige wichtige revolutionäre Bewegungen seiner Zeit: die gelungene russische Oktoberrevolution von 1917, den gescheiterten Putsch des deutschen Rechtsradikalen Wolfgang Kapp von 1920, den Staatsstreich Mussolinis, den Aufstieg Adolf Hitlers.
Authentischer Kolorit und Selbstinszenierung
Was die Leser an Malapartes Schrift bewunderten, war die Fähigkeit des Autors, dem, was er beschrieb, das Kolorit des Authentischen zu verleihen, ganz so, als sei er selbst dabei gewesen. Malaparte faszinierte die Macht, und es faszinierten ihn die Menschen, die Macht anstrebten oder ausübten. Er suchte deren Nähe und rühmte sich ihrer Bekanntschaft; doch hielt er sich dabei nicht immer an die Tatsachen und neigte dazu, den eigenen Anteil am Geschehen fabulierend zu übertreiben.
Aber oft gelangen ihm Porträts von erstaunlicher Treffsicherheit, so etwa, wenn er Stalin und Trotzkji charakterisiert: «Die Kraft Stalins ist Leidenschaftslosigkeit und Geduld. Er überwacht die Gesten Trotzkjis, studiert seine Bewegungen, folgt dessen schnellen, entschlossenen Schritten mit seinem schweren, langsamen Bauernschritt. Stalin ist verschlossen, kalt, hartnäckig; Trotzkji ist hochmütig, heftig, egoistisch, ungeduldig, beherrscht von seinem Ehrgeiz und seiner Einbildungskraft, eine feurige, kühne und aggressive Natur. ‚Miserabler Jude‘, sagt Stalin von ihm. ‚Unseliger Goj‘, sagt Trotzkji von Stalin.»
Erzählte Weltgeschichte
Auch besass Malaparte die Fähigkeit, geschichtliche Ereignisse spannend zu schildern. Die Stimmung in Petersburg vor dem Sturm auf das Winterpalais beschreibt er so: «Kerenski ist geflüchtet; es heisst, er ist an die Front gefahren, um Truppen zu sammeln und auf Petrograd zu marschieren. Die gesamte Bevölkerung ist in den Strassen, gierig nach Neuigkeiten. Die Geschäfte, Cafés, Restaurants, Kinos und Theater sind geöffnet, die Strassenbahnen mit bewaffneten Arbeitern überfüllt, eine gewaltige Menschenmenge flutet wie ein Strom dem Newski-Prospekt entlang. Alle reden, diskutieren, fluchen auf die Regierung oder die Bolschewisten. Die unwahrscheinlichsten Gerüchte eilen von Mund zu Mund, von Gruppe zu Gruppe: Kerenski tot, die Führer der Menschewik-Fraktion vor dem Taurischen Palais erschossen, Lenin im Winterpalais in den Zimmern des Zaren...»
Kühles Interesse an der Mechanik der Revolution
In seinem Buch über den Staatsstreich beschränkt sich Malaparte auf wenige, lapidar formulierte Feststellungen. Zuerst hält er fest, dass moralische Überlegungen und Bedenken ihn nicht interessierten. «Wie alle Mittel recht sind», schreibt er, «die Freiheit zu unterdrücken, sind auch alle Mittel recht, sie zu verteidigen.»
Die russische Oktoberrevolution von 1917 dient Malaparte als das Musterbeispiel eines gelungenen Staatsstreichs. Um einen solchen Umsturz erfolgreich durchzuführen, braucht es nach seiner Ansicht nicht nur die Unzufriedenheit der Massen und eine starke Persönlichkeit mit ideologischen Visionen.
Beide Voraussetzungen seien in Russland mit der Auflehnung gegen den Zaren Niklaus II. und mit Lenin vorhanden gewesen, ohne dass daraus notwendigerweise eine Revolution habe folgen müssen. Entscheidend für den Erfolg des Staatstreichs sei eine Persönlichkeit wie Leo Trotzkji gewesen. Dieser «Techniker des Staatsreichs» habe begriffen, dass der moderne industrialisierte Staat durch kleine Stosstrupps von entschlossenen, technisch geschulten Kämpfern rasch aus den Fugen gehoben werden könne.
Diese Stosstrupps hätten lebenswichtige Betriebe wie Bahnhöfe, Elektrizitätszentralen, Wasserwerke, Telefonzentralen, Gasometer, Versorgungszentren unter ihre Kontrolle zu bringen. In der entstehenden Unordnung und allgemeinen Verunsicherung seien die üblichen staatlichen Polizeimassnahmen wirkungslos. «Der Aufstand», schreibt Malaparte, «wird nicht mit Massen gemacht, sondern mit einer Handvoll Männer, die, zu allem bereit, in der Aufstandstaktik ausgebildet sind und trainiert, gegen die Lebenszentren der technischen Organisation des Staates schnell und hart zuzuschlagen.»
Mussolinis marxistische Erziehung
Im Kapitel, in dem sich Malaparte mit dem faschistischen Staatsstreich befasst, wird Mussolini als gelehriger Schüler Trotzkjis dargestellt. Der Autor weist auf die sozialistische Periode im politischen Werdegang des italienischen Diktators hin und schreibt: «Die von Mussolini befolgte Taktik konnte nur von einem Marxisten konzipiert und durchgeführt werden. Man darf nie vergessen, dass Mussolinis Erziehung eine marxistische Erziehung ist.» Die Stosstrupps der «Schwarzhemden», stellt Malaparte fest, seien so gut vorbereitet gewesen und so geschickt an den lebenswichtigen Punkten eingesetzt worden, dass sie den schlimmsten Feind des Staatsstreichs, den von den Gewerkschaften proklamierten Generalstreik, nicht hätten fürchten müssen.
Deutschland und Hitler falsch eingeschätzt
Malapartes Buch endet mit einer Skizze der politischen Verhältnisse im Deutschland der dreissiger Jahre. Im Urteil des Autors ist Adolf Hitler bloss ein «Zerrbild Mussolinis». Zwar seien die nationalsozialistischen Stosstrupps militärisch ausgebildet und gut organisiert; Hitler aber sei ein reaktionärer Opportunist, der auf legalem Weg zur Macht zu gelangen suche. Eine Gefahr für Europa bilde dieser «Caesar in Tirolertracht» nicht. «Ein Deutschland», prophezeit Malaparte, «das Hitlers Diktatur widerstandslos hinnähme, ein Deutschland, das von dieser mediokren Spielart Mussolinis versklavt würde, vermöchte sich den freien Völkern Westeuropas nicht aufzuzwingen.»
Nachträglicher Antifaschismus
Seiner «Technik des Staatsstreichs» liess der Autor ein weiteres erfolgreiches Buch über Lenin folgen, in welchem sich erneut seine Faszination für «Männer, die Geschichte machen», ausdrückte. Diese Bewunderung historischer Grösse, wo immer sie sich zeigte, machte Malaparte dem Regime verdächtig; denn Diktatoren dulden keine andern Götter neben sich. Der Schriftsteller wurde verhaftet, auf die Insel Lipari verbannt und dann unter Hausarrest gestellt – eine Behandlung, die er später, die Realität verfälschend, als Strafe für seinen entschiedenen Antifaschismus bezeichnete.
Am Zweiten Weltkrieg nahm Malaparte als Kriegsberichterstatter teil. In der Uniform eines Hauptmanns der Alpini reiste er durch Griechenland, Osteuropa und Finnland, mied jedoch das Kampfgeschehen und suchte den Umgang mit wichtigen politischen und militärischen Persönlichkeiten.
Frontwechsel
Seine Hoffnung, grosse Reportagen über den Fall Moskaus und Leningrads schreiben zu können, erfüllte sich nicht, auch erregte er den Verdacht nationalsozialistischer Zensoren. Nach der Invasion alliierter Truppen in Süditalien schloss sich Malaparte als Verbindungsoffizier den Amerikanern an. Seine Kriegserfahrungen verarbeitete er in den beiden sehr erfolgreichen Romane «Kaputt» und «Die Haut». Es sind Werke von schonungsloser Drastik und entfesseltem Gestaltungswillen, deren literarische Qualität und historische Zuverlässigkeit zwar umstritten sind, die jedoch zu den wichtigen Zeitzeugnissen von Teilnehmern des Zweiten Weltkriegs gehören.
Drang zur Grösse und letzte Kehrtwenden
Nach dem Krieg lebte Malaparte vorwiegend in Paris, wirkte an Filmen mit, die vergessen sind, und verfasste Bühnenstücke, die niemand mehr aufführt. Im Herbst 1956 brach er zu einer letzten grossen Reise in die Sowjetunion und nach China auf, denn es drängte ihn, den grossen Vorsitzenden der Volksrepublik, Mao Tse-tung, zu sehen. Auf dieser Reise erkrankte er schwer; chinesische Ärzte diagnostizierten Lungenkrebs.
Den Touristen, die heute Capri besuchen, zeigt der Reiseführer den Wohnsitz, den sich Malaparte zwischen 1938 und 1944 auf einem hohen Felsenkliff über dem Meer erbaute. Es ist eine Art von Adlerhorst, umstritten im Urteil der Architekten, aber unbestritten als Ausdruck eines masslosen Selbstwertgefühls und Geltungsdrangs. Viel Zeit, sein Haus zu bewohnen, blieb dem rastlosen Schriftsteller nicht. Er verstarb 1957 in Rom, nachdem er, ein letztes Mal radikale Gegenpositionen in seiner Persönlichkeit vereinigend, Mitglied der KPI geworden war und sich zum Katholizismus bekehrt hatte.