Mit ihrem Vorschlag, einen 500-Milliarden-Euro-Hilfsfonds für den „Wiederaufbau“ nach der Corona-Krise aus den Mitteln des EU-Haushalts aufzulegen, haben sie als Erstes die deutsch-französische Achse endlich wieder neu justiert. Zweitens haben sie ein kräftiges Signal der Solidarität und Hilfsbereitschaft nach Südeuropa gesandt, denn die Mittel aus diesem Fonds müssen nicht zurückgezahlt werden. Und als Drittes haben sie die Länder, die bislang – zusammen mit Deutschland und Frankreich – gegen diese Art der solidarischen Hilfe und Haftung waren, zu einem eigenen Vorschlag provoziert.
So hat Sebastian Kurz im Einklang mit Holland, Dänemark und Schweden einen eigenen Vorschlag ins Gespräch gebracht, der sich an der alten Abwehr der „Vergemeinschaftung von Schulden“ orientiert. Mit ihrer neuen Aufstellung können dagegen Deutschland und Frankreich aus südlicher Sicht nicht mehr als Knauser und Buhmänner angeprangert werden.
Es ist einleuchtend, politisch alles dafür zu tun, dass Europa nicht auseinanderfällt. Die Risse, die nach und nach aufgetreten sind, haben sich zu alarmierenden Klüften geweitet. Nun soll Geld helfen, sie wieder zu schliessen. Befürworter der deutsch-französischen Initiative haben sie schon als das „Hamilton-Moment“ Europas bejubelt.
Dahinter steckt die Erinnerung an Alexander Hamilton, einem der Gründerväter der USA. Der hat 1790, kurz nach der Gründung Amerikas, als Finanzminister die Schulden der Bundesstaaten in den Haushalt der USA überführt. Dafür mussten diese der Regierung in Washington einige Zugeständnisse machen. Ebenso, so meinen einige Optimisten, könne sich die Entwicklung Europas vollziehen. Je grösser der gemeinsame Haushalt, desto enger der Zusammenhalt, auch und gerade politisch.
Hans-Werner Sinn, ehemaliger Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung und als Experte immer noch von grösstem Gewicht, erinnert allerdings daran, dass die Schuldenübernahme Hamiltons auch sehr negative Folgen hatte. Denn die Einzelstaaten nahmen nun, nachdem sie so schön entlastet worden waren, mehr und mehr neue Kredite auf und investierten in zum Teil teure und sinnlose Projekte, Wasserstrassen zum Beispiel. Als die fertig waren, wurden sie aufgrund der Eisenbahnen kaum noch gebraucht. Und die Überschuldung führte zur Erhöhung der politischen Spannungen, die sich schliesslich vor dem Hintergrund der Sklavenfrage im Sezessionskrieg von 1861 bis 1865 entluden.
Das wirtschaftliche Gefälle innerhalb der EU beruht zu einem erheblichen Teil auf unterschiedlichen Mentalitäten und politischen Kulturen. Man kann versuchen, diese Ungleichgewichte mit Geld auszutarieren, aber so lange die betroffenen Länder sich aufgrund der in ihnen vorherrschenden Traditionen als reformunfähig erweisen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die finanziellen Ungleichgewichte wieder Probleme machen.
Und es ist eine Binsenwahrheit, dass staatliche Geldtransfers selten zu wirtschaftlich sinnvollen Projekten führen. Bauruinen und Korruption erzählen davon. So können die guten politischen Absichten Macrons und Merkels am Ende mehr Schaden als Nutzen stiften. Dieser Schaden entsteht im Übrigen schon bei der Initiierung des Geldtransfers. Denn damit wird gegen das vertraglich festgelegte Verbot verstossen, den EU-Haushalt mit Schulden zu finanzieren. Beide wissen das.
Diese Einwände aber lösen nicht das Dilemma der EU, nämlich jetzt unmittelbar den wirtschaftlichen Kollaps einzelner Länder und das politische Auseinanderbrechen zu verhindern. Damit das aber funktioniert, werden neben dem Schmier- und Brennstoff Geld neue politische Ideen benötigt, die dem Elend klientelistischer und korrupter Mentalitäten ein Ende bereiten. Hoffentlich ist Europa noch nicht zu alt dazu.