Nun doppelt Gerhard Pfister, der neue CVP-Präsident nach und fordert auf dem Parteitag in Appenzell eine Besinnung der Schweiz auf ihre christlichen Werte. Doch wie das konkret gehen soll, weiss niemand genau.
Europa ist in der Defensive, die Schweiz auch, obwohl sie ja bekanntlich gar nicht so richtig zu diesem Europa gehören will. In Angst und Abwehr aber ist man sich nahe. Man fühlt sich vom Fremden überrannt und weiss nicht, wie man sich seiner erwehren soll. Mit Verboten? Mit Debatten? Es scheint alles nicht so recht zu fruchten. Deshalb müssen jetzt die Werte her, die europäischen, die abendländischen, die christlichen, oder wie immer man sie nennen soll. Die Forderung kommt längst nicht mehr nur aus der rechtskonservativen Ecke. Sie kommt mittlerweile auch von Leuten, die seinerzeit vehement gegen eine Erwähnung christlicher Verwurzelung in der Europäischen Verfassung zu Felde zogen und bis heute an der Erwähnung Gottes des Allmächtigen in der Schweizerischen Bundesverfassung Anstoss nehmen.
Das Dumme ist nur, dass niemand so recht weiss, worin denn diese christlichen Werte eigentlich bestehen und wie ihnen am wirksamsten Beachtung zu verschaffen wäre. Bei der schweizerischen CVP beginnt das Problem schon mit dem Namen. Wofür steht das „C“? Für christlich, klar, aber für welches: das katholische nur oder auch das reformierte? Und woran erkenne ich, dass eine Partei christliche Werte vertritt? Was macht die CVP so viel anders als die FDP auf der einen, die SP oder die Grünen auf der andern Seite? Hier wären zuerst klare Positionierungen gefragt, bevor man versucht, mit einem Ja zum Burka-Verbot rechts von der Mitte und mit einem Nein gegen die Initiative „Landesrecht vor Völkerrecht“ links von der Mitte Wählerstimmen zu holen.
Gegen eine Besinnung auf das christliche – oder besser: das jüdisch-christliche und das antik-humanistische – Fundament Europas ist nichts einzuwenden. Es existiert, das Erbe ist da, auch wenn viele nicht mehr wissen, worin es denn eigentlich besteht. Deshalb müsste dieses Europa, müsste sich diese Schweiz vor allen Debatten und Verboten zuerst einmal auf sich selbst besinnen und sich fragen: Wo sind sie denn, unsere christlichen Werte? Wo kommen sie zum Ausdruck? Und wo leben wir sie anderen vor? In einer Gesellschaft, in der die Kenntnisse der eigenen Religion schwinden und die Zahl der Konfessionslosen kontinuierlich steigt, dürften diese Fragen schwer zu beantworten sein. Dann halt doch lieber ein Minarett- oder Burkaverbot, da weiss man doch wenigstens, was man hat.