Fünfzig Staats- und Regierungschefs aus Afrika reisten nach Peking, um mit der chinesischen Regierung bis zum 6. September über die künftige Zusammenarbeit zu debattieren. Xi Jinping versprach neue Milliardenbeträge für Investitionen und Kredite und kritisierte den Westen: «Der Prozess westlicher Modernisierung hat viel Leid über viele Entwicklungsländer gebracht», sagte er und präsentierte sein eigenes Land als Gegenmodell.
Wie sieht dieses Gegenmodell aus? Aus westlicher Perspektive nutzt China den afrikanischen Kontinent als Lieferanten für Rohstoffe (Erdöl, Erdgas und Metalle), verführt die Regierungen Afrikas zum Schuldenmachen und schert sich nicht um das Problem der Menschenrechte. Auch Diktatoren können tun oder lassen, was sie wollen, China bekümmert das nicht (nun ja, vielleicht auch deshalb, weil das Regime in Peking die Menschenrechte in seinem eigenen Machtbereich konsequent verletzt). Für manche Herrscher afrikanischer Länder ist das, klar, ein angenehmer Kontrast gegenüber dem, was westliche Regierungen und NGOs ihnen ständig vorhalten …
Unterschiedliche Perspektiven
Nicht nur die chinesische Regierung und chinesische Manager, die sich für Afrika interessieren, sehen keine Probleme in den gegenseitigen Beziehungen: Umfragen in afrikanischen Ländern, sogar solche, die von westlichen Firmen wie Ernst&Young durchgeführt wurden, zeigen, dass China auch bei der Bevölkerung in den meisten Ländern des Kontinents positiv bewertet wird. Wenige Ausnahmen bestätigen die Regel: Etwa die Arbeiter in den Minen im Norden Sambias beklagten sich, dass die chinesischen Investoren, also die aktuellen Betreiber der Anlagen, die Löhne auf menschenverachtende Weise gedrückt hatten. Kein Wunder – die Chinesen haben die Minen ja nicht übernommen, um Entwicklungshilfe zu leisten, sondern, um möglichst viel Gewinn zu machen und um das in Sambia geförderte Kupfer auf den chinesischen Markt zu bringen.
Man kann das Thema Afrika-China aus unterschiedlichen Perspektiven angehen. Beginnen wir ganz unten, auf dem Markt einer x-beliebigen Stadt in Sambia. Zum Beispiel in Mongu, in der Nähe des Sambesi-Stroms. Verschiedene Verkaufsbuden sind voll mit elektrischen und elektronischen Geräten, auch mit Radio-Apparaten in Modell-Varianten, die wir, die verwöhnten Westler, auf Anhieb als hoffnungslos veraltet bezeichnen würden. Egal, sie kosten so wenig, dass sie für jedermann bezahlbar sind, so dass nun alle sich etwas leisten können, was ihnen bis vor kurzem verwehrt worden ist. Herkunft: klar, China. In anderen Buden werden Textilien angeboten, Herkunft: wiederum China oder allenfalls Äthiopien. Prima, denkt nun der europäische Reisende, da gibt es also doch noch authentische Stoffe aus Afrika. Was er oder allenfalls sie jedoch nicht erkennen kann: Was an Textilem aus Äthiopien geliefert wird, ist mindestens indirekt auch ein chinesisches Produkt. China hat in der Region um Addis Abeba die weltgrösste Anlage für Textilien gebaut, und die produziert derzeit genügend, um all das auszugleichen, was in anderen afrikanischen Ländern bis noch vor rund zehn Jahren an Stoffen und einfacher Kleidung hergestellt worden ist. Fast überall sonst auf dem Kontinent ist die (einst wirtschaftlich wichtige) Textilindustrie nicht mehr vorhanden.
Verbesserte Infrastruktur
Zwischenbilanz aus der Alltagsperspektive: Dank China können sich nun mehr und mehr Menschen in afrikanischen Ländern einen tragbaren Radioapparat oder ein Handy kaufen, aber Zehntausende haben ihren Job – vor allem in der Textilbranche – verloren, weil die lokale Produktion nicht mehr konkurrenzfähig ist.
Nun fahren wir, um unseren Horizont zu erweitern, vom Markt in Mongu weiter zum Sambesi. Da gibt es seit einigen Jahren eine auf soliden Betonstützen erstellte Strasse – sie hilft, die Fahrt bis zur Fähre über den Fluss drastisch zu verkürzen. Bevor die Strasse erbaut war, mussten sich auch die solidesten Allradfahrzeuge in den trockenen Jahreszeiten stundenlang durch das mehrere kilometerbreite Flussgeröll quälen. Gut gemeinte westlich inspirierte Projekte, um der Qual ein Ende zu bereiten, also die Strasse zu bauen, zerschlugen sich während Jahren immer wieder. Aber schliesslich traten die Chinesen auf den Plan, und siehe da: Jeweils etwa in Wochenfrist wurde schon wieder ein neuer Pfeiler erstellt, wurde die Strasse wieder um rund hundert Meter erweitert, bis sie schliesslich bis zur Anlegestelle der Fähre fertig war. Die Chinesen kamen übrigens auch mit ihren eigenen Vorarbeitern, aber für die harte, manuelle Arbeit, für die engagierten sie lokale Kräfte. So entstanden, wenigstens für ein paar Monate, ein paar hundert Jobs.
Strassen, Eisenbahnen, Regierungsgebäude, Häfen, in solche Bauten investierte China bis vor wenigen Jahren mit Vorliebe. Sie haben geholfen, die Infrastruktur in zahlreichen Ländern Afrikas zu verbessern. Jetzt gibt es, beispielsweise, Bahnverbindungen von Addis Abeba nach Djibouti, oder, in Kenya, von Mombasa nach Nairobi. Die alte, noch in den siebziger Jahren von China erstellte Bahnstrecke von Dar es Salaam quer durch Tansania und ins Minengebiet von Sambia soll erneuert werden.
Angestrebte Multipolarität
China hat sich nie aufgrund idealistischer Motive engagiert – dafür sahen die Regierenden in Peking, sahen auch die chinesischen Unternehmer schlicht keinen Anlass. Aus der chinesischen Perspektive ist Afrika ein Kontinent, der Chancen für Investitionen bietet, der aber auch als Absatzmarkt für chinesische Waren interessant ist und der, drittens, China Rohstoffe liefern kann. Also eine unsentimentale Art von Beziehung und keine Spur von Schuldgefühlen, wie sie, wegen der kolonialen Vergangenheit, charakteristisch sind für die Haltung des Westens gegenüber Afrika. Auch keine Angst davor, von afrikanischen Migranten überrannt zu werden – China ist erstens zu weit entfernt und würde, zweitens, garantiert mit drastischem Vorgehen an den Grenzen dafür sorgen, dass es «migrantenfrei» bleiben würde.
Westliche Medien, auch humanitäre Organisationen, werfen China immer wieder vor, es verführe afrikanische Regierungen durch seine Investitionen dazu, sich schwerwiegend zu verschulden. Tatsächlich aber liegen derzeit nur 12 Prozent der Auslandsschulden Afrikas bei chinesischen Gläubigern – 35 Prozent liegen bei westlichen Kreditgebern. Die Zinsraten allerdings sind, verglichen mit westlichen, generell höher – tiefer aber sind jene der Weltbank (1,1 Prozent).
Das sind die für die Ökonomie wichtigen Eckwerte – wie aber steht es mit den politischen? Xi Jinping preist ja, wie erwähnt, die Kooperation mit Afrika als Gegenmodell zum Westen an. Diese Strategie ist langfristig möglicherweise ebenso wichtig wie die wirtschaftliche Komponente. Der faktische Alleinherrscher Chinas hat sich zum Ziel gesetzt, die westlich dominierte Welt-Ordnung zu beenden, sie zu ersetzen durch ein Modell, das er als Multipolarität bezeichnet. Wie es genau aussehen soll, lässt Chinas Führung offen – aus ihrer Perspektive klar ist aber, dass dieses «Gegenmodell» sich nicht danach orientieren wird, dass in einem Land demokratische Werte hochgehalten werden. Daher: mehr Zusammenarbeit mit Afrika, auch mit dessen Autokraten, ist durchaus im Sinn des «Gegenmodells».