13 Jahre ist er nun schon an der Macht. Und er hat nie verhehlt, dass er am liebsten bis ans Ende seiner Tage die Geschicke Venezuelas lenken würde. Aber wollen das seine Landsleute auch? Zweimal ist er glanzvoll wiedergewählt worden. Nicht zuletzt dank der eklatanten Schwäche der heterogenen, ideenlosen und rückwärtsgewandten Opposition, die sich im Grunde nur darin einig war, dass der selbsternannte Wegbereiter eines „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ endlich weg müsse.
Vorwahlen im Oppositionslager
Der Wunsch, Chávez los zu werden, beseelt seine Gegner nach wie vor. Aber sie haben inzwischen eingesehen, dass sie ihr Ziel nur erreichen können, wenn sie geschlossen auftreten und einen Kandidaten portieren, der auch möglichst viele potenzielle Chávez-Wähler für sich gewinnen kann.
Mehr als 20 Parteien und Gruppierungen unterschiedlicher politischer Ausrichtungen vereinigten sich deshalb zur Mesa de la Unidad Democrática (Tisch der demokratischen Einheit), beschlossen ein gemeinsames Wahlprogramm und führten erstmals in der Geschichte des Landes öffentliche Vorwahlen durch, um den Herausforderer von Chávez zu küren.
Vorbild Lula
Sieger wurde Henrique Capriles Radonski. Der 39-jährige Gouverneur des Bundesstaates Miranda stammt aus einer Familie von Medienunternehmern, ist Anwalt und gehört zu den Mitbegründern der rechtsliberalen Partei Primero Justicia (Gerechtigkeit Zuerst). Er selbst bezeichnet sich als gemässigten Progressiven und verspricht, eine ähnlich pragmatische, auf Ausgleich bedachte Politik zu betreiben wie Brasiliens populärer Ex-Staatschef Luiz Inácio Lula da Silva, das Idol aller sozialdemokratisch orientierten Politiker in Lateinamerika.
Während Chávez immer wieder die Konfrontation sucht, plädiert der Hoffnungsträger des Oppositionsbündnisses für Versöhnung. „Ich möchte der Präsident aller Venezolaner werden“, beteuerte er in der Stunde des Triumphs, „der Weissen, Grünen, Orangen, Roten und derer ohne Farben.“
Kein radikaler Bruch
Konkret bedeutet dies für Capriles und den Tisch der Demokratischen Einheit, dass sie Errungenschaften der Chávez-Regierung wie die umfangreichen Sozialprogramme oder die stärkere politische Teilhabe der Bevölkerung nicht abschaffen, sondern neu ausgestalten wollen. In der Wirtschaftspolitik hingegen streben sie deutliche Kurskorrekturen an. Sie wenden sich entschieden gegen Nationalisierungen und lehnen auch Preis- und Devisenkontrollen ab.
Im Medienbereich muss nach ihren Vorstellungen der Einfluss des Staates auf ein Minimum beschränkt bleiben. Die Erdölproduktion, die nach wie vor Venezuelas wichtigste Einnahmequelle ist, wollen sie mit Hilfe privater Investitionen erhöhen und den Mehrerlös in erster Linie für Bildungsaufgaben und Projekte zur Schaffung neuer Arbeitsplätze verwenden.
Halbierte Armut
Auch wenn die Opposition heute einen viel stärkeren Eindruck hinterlässt als bei den früheren Wahlen: Gewonnen hat sie noch längst nicht. Laut den jüngsten Meinungsumfragen wird Chávez immer noch von der Mehrheit seiner Landsleute unterstützt. Vor allem in den unteren sozialen Schichten kann der charismatische Linkspopulist nach wie vor auf einen grossen Anhang zählen.
Er hat sich auch viel stärker um sie gekümmert als seine Vorgänger. 1999, als er sein Amt antrat, lebten 45 Prozent der Venezolaner unter der Armutsgrenze, heute sind es noch 27 Prozent. Die Arbeitslosigkeit sank von 16 auf 6,5 Prozent, allerdings sind weiterhin rund 40 Prozent der Beschäftigten im informellen Sektor tätig. Sowohl im Bildungsbereich als auch im Gesundheitswesen hat die Regierung Reformen in die Wege geleitet, die heute handfeste Ergebnisse zeigen.
Geisel Kriminalität
Diese Fortschritte hin zu einer gerechteren und partizipativeren Gesellschaft sind allerdings nur die eine Seite der Medaille. Unter Chávez sind viele Probleme ungelöst geblieben oder haben sich sogar noch verschärft. In Venezuela wuchs die Wirtschaft in den vergangenen Jahren deutlich weniger stark als in anderen lateinamerikanischen Ländern. Dafür schnellte die Inflationsrate in die Höhe, mit 27 Prozent ist sie weltweit eine der höchsten.
Anlass zu Klagen geben auch immer wieder Versorgungsengpässe bei Lebensmitteln, Strom und Wasser, die wachsende Wohnungsnot und die Ineffizienz des öffentlichen Dienstes. Klientelwesen und Korruption sind auch heute noch weit verbreitet, das Justizwesen ist eine politisierte Institution und damit alles andere als unabhängig.
Am meisten Sorgen bereitet den Venezolanern die zunehmende Kriminalität. Umfragen zufolge halten 80 Prozent sie für das Hauptproblem des Landes. Die Regierung hat mehrmals versprochen, Verbrechen energischer zu bekämpfen. Bisher ist davon jedoch nichts zu spüren. Venezuela hat die höchste Mordrate der Region, über 19 000 Menschen starben im vergangenen Jahr eines gewaltsamen Todes. Die allermeisten Täter kommen ungeschoren davon, nur jeder zehnte wird gefasst.
Siegessicherer Comandante
Allen Versäumnissen zum Trotz scheint Chávez nie von Selbstzweifeln geplagt zu werden. El Comandante hält sich für absolut unentbehrlich, nach seiner Einschätzung ist nur er selbst fähig, die von ihm propagierte Bolivarische Revolution voranzutreiben. Als der ehemalige Fallschirmoberst im vergangenen Jahr an Krebs erkrankte und auf Kuba operiert wurde, regierte er sein Land vom Spitalbett in Havanna aus. Inzwischen soll er wieder gesund sein und seine Amtsgeschäfte ohne Einschränkungen erledigen können.
Auf die neue Geschlossenheit der Opposition reagierte er gelassen. „Ich bin sicher, dass wir die nächsten Wahlen mit mehr als 70 Prozent der Stimmen gewinnen können“, verkündete er dieser Tage siegesgewiss. Und bewies damit, dass selbst bei altgedienten Politikern nicht selten der Wunsch der Vater des Gedankens ist.