Das Festival macht sichtbar, wie sehr sich der Schweizer Film im vergangenen halben Jahrhundert entwickelt und etabliert hat. Junge Filmende von damals sind zu Objekten von Dokumentarfilmen geworden. „CINEMAsuisse“ zeigt im Lauf der Woche Porträts von 10 von ihnen – Frauen sind nicht dabei – darunter Claude Goretta, Fredi Murer, der nach Hollywood abgerauschte Marc Forster, Richard Dindo (von dem auch ein neues Werk, „Vivaldi in Venedig“, gezeigt wird), Alain Tanner und der schweizerisch-italienische Doppelbürger Silvio Soldini.
Ehrengast Silvio Soldini
Soldini ist mit „Pane e tulipani“ im Jahr 2000 international bekannt geworden, er wird im Rahmen einer „Rencontre“ speziell geehrt. Von ihm wird auch eine Retrospektive gegeben, überdies ist ihm im „Künstlerhaus S11“ eine kleine Foto-Ausstellung gewidmet. Seine Carte blanche vergibt Soldini an Alain Tanners „La salamandre“ (1971), anlässlich von dessen Aufführung es auch ein Gespräch mit ihm geben wird.
Die KünstlerInnen sind anwesend
Das ist das besonders Schöne an so einem Festival, dass so viele FilmerInnen persönlich präsent und spürbar werden. Die meisten sind mindestens anlässlich der Projektion ihrer Filme kürzer oder länger auf der Bühne. Aber man trifft sie auch sonst. Marcel Gisler, dessen „Rosie“anlässlich der Eröffnung der diesjährigen Filmtage uraufgeführt wurde (Rosie ist die pflegebedürftige alte Mutter eines schwulen Schriftstellers) hat am Freitag früh als „Invité“ mit Akkreditierten bemerkenswert offen, uneitel und reflexiv über seine Entwicklung als Filmemacher gesprochen – für Akkreditierte wird es jeden Tag wieder die sehr wertvolle Möglichkeit vertiefter Gespräche mit FilmerInnen geben.
Gisler wird aber auch vor ein grösseres Publikum treten: am Sonntag findet ein Gespräch über „Die (Über-) „Präsenz des Alters im Schweizer Gegenwartsfilm“ statt, an welchem er zusammen mit Frank Matter („Von heute auf morgen“), Bettina Oberli („Die Herbstzeitlosen“) und der Soziologin Cornelia Hummel teilnehmen wird. Auch am Montag wird es öffentliche Gespräche mit Filmemachenden und ExponentInnen aus Verleih und Produktion geben, zu denen der Eintritt frei ist.
Der „prix d’honneur“ des diesjährigen Festivals geht an Beki Probst, die Mutter der Berner Quinnie Kinos, für ihre langjährige engagierte und qualifizierte, international bekannte Arbeit für den Film, auch für den Schweizer Film.
Schweizer Filme
Zentral ist wohl das reiche und gute Angebot von neuen Schweizer Filmen, die immer wieder auf dem dokumentarischen Sektor besonders stark sind. Der in Tanger geborene, in Lausanne lebende Fernand Melgar stellt seine Dokumentation über das spätere Leben einiger der Protagonisten seines preisgekrönten „Vol spécial“ (über die „Ausschaffung“ von Ausländern) vor. Ohne die Möglichkeit, Abschied zu nehmen, seien diese Nichtschweizer aus dem Süden und dem Osten ‘ausgeschafft’ worden, er habe daher selbstverständlich den Kontakt zu ihnen, soweit möglich, weiter gepflegt und einige von ihnen aufgesucht, kommentierte Melgar. Sein „Le Monde est comme ça“ ist sehr berührend, traurig, tut auch weh.
Es werden manche Werke, die man im Kino vielleicht verpasst hat, hier nochmals gezeigt, so etwa die „Virgin Tales“ von Mirjam Von Arx – eine ausgezeichnete, irritierende Arbeit zum mächtig gewordenen evangelikalen Fundamentalismus in den USA; oder Simon Baumann und Andreas Pfiffners köstliches „Image Problem“. Oder Werke, die auch bisher nur an Festivals zu sehen gewesen sind, wie Christophe Cupelins sehr eindrücklicher „Capitaine Thomas Sankara“ über den charismatischen, aufgeklärten Präsidenten von Burkina Faso von 1983 bis zu seiner Ermordung 1987. Man kann im verdichteten Festivalkontext auch Filme, die im Kino bereits mit Erfolg gezeigt worden sind, ansehen, etwa Manuel von Stürlers wunderbar gefilmten „Hiver nomade“, Ursula Meiers „Sister“ oder Markus Imhoofs „More Than Honey“.
Schweizer Nachwuchs und nichtschweizerische Werke
Zahlreiche NachwuchsfilmerInnen stellen kürzere Arbeiten in den Serien „Upcoming Talents I–III“ vor. Auch einer von diesen winkt ein Preis.
Manche in Solothurn gezeigten Werke stammen nicht von SchweizerInnen. Im Rahmen „Radikales Kino von heute“ wird des Mexikaners Carlos Reygadas „Post tenebras lux“ gezeigt – wie auch nochmals Reygadas’ „Japón“, welches 2002 mit ganz neuen Bildern überraschte. Unter den Dokumentarfilmen findet man auch Carlos Kleins (aus Chile) unvergessliche Dokumentation der Arbeit des grossen Victor Kossakowsky („Where the Condors Fly“).
Dies nur einige mehr als fragmentarische Hinweise auf ein reichhaltiges, lohnendes Festival, auf journalistischen Mehrwert muss in diesem Fall ebenfalls verzichtet werden. Das Programm ist auf www.solothurnerfilmtage.ch einsehbar, Tageskarten können für 40.- /30.- (StudentInnen und AHV-BezügerInnen), Wochenendkarten für 75.-/55.- und eine Wochenkarte für 170.-/135 bezogen werden.