Der Krieg in Syrien hat eine Intensität erreicht, die das tatenlose Zuschauen als die schlechteste Wahl erscheinen lässt. Obama steht nicht nur unter dem Druck seiner republikanischen Gegner im Kongress, etwas zu tun. Immer mehr Menschenrechtsaktivisten verlangen ein militärisches Eingreifen mit Hinweis auf die von der UNO verbriefte Verantwortung zum Schutz der Zivilbevölkerung. Diese Verantwortung obliegt in erster Linie den in einen Bürgerkrieg verwickelten Regierungen. Wenn aber eine Regierung die eigene Bevölkerung nicht zu schützen vermag, kann der Weltsicherheitsrat eine humanitäre Militärintervention beschliessen.
Das höchste Organ der Vereinten Nationen ist bekanntlich in der Syrienfrage gespalten. Moskau und Peking widersetzen sich jeglicher „Einmischung in die inneren Angelegenheiten Syriens“. Russland ist selbst Partei in dem Konflikt, indem es das Assad-Regime mit Waffen und Krediten versorgt. Der jüngste, kaum mehr bestreitbare Einsatz chemischer Kampfstoffe gegen einen Vorort von Damaskus bringt aber die Diplomatie in Bewegung.
Iran verurteilt chemische Waffen
Sogar der mit Al-Assad verbündete Iran hat die „internationale Gemeinschaft“ aufgefordert, die Anwendung von C-Waffen in Syrien zu unterbinden. „Wir verurteilen den Einsatz chemischer Waffen auf die strengste Weise, weil die Islamische Republik Iran selber ein Opfer chemischer Waffen wurde“, erklärte der neue Präsident Hassan Rohani am Samstag. Rohani bezog sich dabei auf den von 1980 bis 1988 dauernden Krieg gegen den Irak, in dem Saddam Hussein massiv C-Waffen einsetzte.
Nachdem Russland die syrische Regierung nachdrücklich aufgefordert hatte, mit der in Damaskus weilenden Untersuchungskommission der UNO zusammenzuarbeiten, gab Al-Assad seinen Widerstand auf. Am Sonntag meldete die Abgesandte des UNO-Generalsekretärs, die Deutsche Angela Kane, eine grundsätzliche Einigung in Damaskus. Jetzt müssen aber noch die Einzelheiten der Untersuchungen vor Ort, wie das Datum, vereinbart werden. Das lässt eine Menge Raum für Störmanöver.
Keine Schuldigen nennen
Ursprünglich war das Mandat der Inspektoren auf die Untersuchung von drei angeblichen Giftgaseinsätzen im Norden des Landes beschränkt. Dem zwischen Syrien und der UNO vereinbarten Protokoll zufolge darf das Team unter Leitung des Schweden Ake Sellström keine Schuldigen nennen, falls sie Beweise für die Anwendung von chemischen Kampfstoffen finden. Doch selbst diese stark eingeengte Aufgabe konnten die Inspektoren infolge der ständigen Behinderungen durch die Behörden bisher nicht anpacken.
Sellström (65) gilt als Kapazität auf dem Gebiet der biologischen und chemischen Waffen. Nach dem ersten Golfkrieg von 1991 gehörte er der UNO-Kommission an, die gemäss dem Waffenstillstandsabkommen zwischen Washington und Bagdad alle irakischen Raketen und C-Waffen-Bestände vernichtete. 2002 kehrte Sellström nach Irak zurück, um im Rahmen einer neuen UNO-Mission nach eventuell verborgenen Massenvernichtungswaffen zu suchen. Seine Erkenntnis, wonach der Irak keine atomaren, biologischen oder chemischen Waffen mehr besass, verärgerte die damalige US-Regierung unter George W. Bush, die den zweiten Golfkrieg vorbereitete.
"Verbrechen gegen die Menschlichkeit"
Das von Sellström geleitete Team bringt also alle Voraussetzungen für eine unparteiische Untersuchung mit. Was wären die Folgen, wenn die syrischen Regierungstruppen des völkerrechtlich verbotenen Einsatzes chemischer Kampfstoffe überführt würden? UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon hat diese Eventualität als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ bezeichnet, das „ernste Konsequenzen für die Täter“ nach sich ziehen müsse. Ban denkt dabei wohl an den zahnlosen Internationalen Strafgerichtshof.
US-Präsident Obama zeigt keine Lust, sein Land in ein weiteres militärisches Abenteuer zu stürzen. Er hat zwei Bedingungen für eine Intervention aufgestellt: Erstens müsse die Anwendung von chemischen Kampfstoffen durch die syrischen Regierungstruppen klar erwiesen sein und zweitens brauche es einen Beschluss der Vereinten Nationen. Nach einer jüngsten Umfrage sind 60 Prozent der US-Bürger gegen einen neuen Krieg in der arabischen Welt, selbst wenn es sich herausstellen sollte, dass das syrische Regime C-Waffen gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt hat.
"Ich glaube nicht, dass die Rebellen auf Seiten der USA sind"
Die leitenden Militärs haben die Kosten der möglichen Varianten einer Intervention ausgerechnet. Laut dem Vorsitzenden des Gemeinsamen Generalstabs der USA, General Martin Dempsey, würde etwa die Durchsetzung eines Flugverbots für die syrische Luftwaffe monatlich mit einer Milliarde Dollar zu Buche schlagen. Ausserdem gewährleiste eine solche Massnahme kein Ende des Kriegs. Eine Landung amerikanischer Bodentruppen wird sowohl von den Militärs wie vom Präsidenten ausgeschlossen.
Trotz des Mangels an realistischen Optionen erklärte US-Verteidigungsminister Chuck Hagel am Sonntag, das Pentagon sei im technischen Sinne für ein militärisches Eingreifen bereit. Nun müsse Obama entscheiden. Hinter dem Säbelrasseln bewegt aber die bange Frage die Gemüter, was nach einem erzwungenen Machtwechsel in Damaskus geschehen würde. Obama rechtfertigt seine Zurückhaltung damit, dass er die „langfristigen nationalen Interessen“ im Auge habe. Und Generalstabschef Dempsey wurde vergangene Woche in einem Brief an das demokratische Mitglied des Repräsentantenhauses Eliot Engel deutlich: „Ich glaube nicht, dass die syrischen Rebellen die Interessen der USA unterstützen würden, falls sie an die Macht kämen.“