In Frankreichs ehemaligen Kolonien folgte in den letzten drei Jahren ein Militärputsch nach dem anderen: Mali, Burkina Faso, Gabun und zuletzt im Niger. Mit diesen Umstürzen hat sich die Stimmung in den betroffenen Ländern in kürzester Zeit radikal gegen Frankreich gewendet.
Es ist schwer nachvollziehbar, aber die Tatsachen sprechen für sich: Frankreich hat in mehreren Ländern südlich der Sahara ausgespielt, ohne dass es sich – zumindest in den letzten Jahren – Besonderes hätte zu Schulden kommen lassen.
Bereits 2020 und 2021 – man rieb sich damals noch die Augen – waren die beiden aufeinander folgenden Putsche des Militärs in Mali von heftigen Demonstrationen begleitet gewesen, die nicht nur die putschenden Generäle willkommen hiessen, sondern sich gleichzeitig dezidiert und sehr heftig gegen Frankreich und dessen dort stationierte Soldaten richteten. Nebenbei, und mit der Zeit immer häufiger, wurden russische Fahnen geschwenkt, so als habe man in Putin und Wagners ominösen Söldnertruppen eine neue Schutzmacht gefunden, ja eine Art Befreier von der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich.
Diese Tendenz, diese Bewegung hat sich wenig später in Burkina-Faso und zuletzt, mit dem Militärputsch am 26. Juli 2023, eben auch im Niger fortgesetzt.
Umschwung
Es ist eine im Grund groteske Entwicklung. Frankreich und seine Truppen sind nicht von sich aus aufgebrochen, um in der Sahelzone einzugreifen. Die französische Armee war ab Januar 2013 von Mali und in der Folge auch von Burkina Faso und dem Niger auf der Grundlage von militärischen Kooperationsabkommen als Verbündeter ausdrücklich in diese Länder gerufen worden, um – gemeinsam mit den eigenen, aber notorisch schlecht ausgebildeten Soldaten – die aus dem Norden vorrückenden Jihadisten zu bekämpfen, die Bevölkerung dort vor dem islamistischen Terror zu schützen und mittelfristig den Marsch der Jihadisten auf die Hauptstadt Bamako zu verhindern. Zeitweise waren dafür 5’000 französische Soldaten in Mali stationiert.
Die Jihadisten waren damals mit Kriegsgerät bestens ausgestattet, und zwar dank der von Nicolas Sarkozy betriebenen militärischen Intervention westlicher Streitkräfte in Libyen im März 2011 und ihren katastrophalen Folgen. Nach dieser Militärintervention des Westens und dem Tod Ghadafis konnten sich die radikalislamistischen Gruppierungen in Libyen, diesem sich auflösenden Staat, mit Waffen versorgen und fast nach Belieben in Richtung Süden in die Sahelzone vorrücken. Ihren «Kreuzzug» hatten sie noch 2012 begonnen und sich zunächst eben Mali, vor allem den Norden des Landes, zum Ziel genommen.
Damals
Dort war die Ankunft der französischen Soldaten im Februar 2013 bejubelt worden. Frankreichs Präsident François Hollande wurde bei einem Besuch wie ein Befreier, ja wie ein Held gefeiert. Die Bevölkerung dankte es ihm damals, sie von den fanatischen, schwarzgekleideten, bärtigen Kriegern Allahs zu schützen, die schon seit geraumer Zeit Dörfer und Städte im Norden Malis terrorisiert und zum Teil vollständig unter ihre rigorose Fuchtel genommen hatten. Jede Ausübung von Kunst und Musik war verboten, Frauen aus dem öffentlichen Leben weitgehend vertrieben und Schulen geschlossen worden.
In Timbuktu, der historischen Stadt aus dem 15. Jahrhundert mit ihren unermesslichen Kulturgütern hatten die Islamisten eine weltberühmte Bibliothek und ein Dutzend aus Lehm gebauter Mausoleen, die zum Unesco-Weltkulturerbe zählten, zerstört.
Heute
Zehn Jahre später und ein Jahr nach dem endgültigen Abzug der französischen Truppen aus Mali ist Timbuktu in diesen Tagen erneut von radikalen Islamistentruppen umzingelt. Die Armee Malis wird, das weiss man schon heute, auf Dauer dem Druck nicht standhalten.
Frankreich steht heute am Ende eines Militäreinsatzes, der fast zehn Jahre gedauert und den französischen Staat über fünf Milliarden Euro gekostet hat. Mali aber scheint wieder dort angekommen zu sein, wo es vor zehn Jahren schon einmal war.
Und Frankreich wird schliesslich nach diesen zehn Jahren mit Schimpf und Schande aus der Region verjagt, weil – so lautet der Vorwurf, der unter der Bevölkerung in den betroffenen Ländern sich grosser Beliebtheit erfreut – das grosse Frankreich es in fast zehn Jahren nicht geschafft habe, dem islamistischen Terror beizukommen und die fortwährenden Terroranschläge definitiv zu verhindern.
Ja, noch ein weiterer Vorwurf, ein haarsträubendes Gerücht breitete sich in den letzten Jahren in der Sahelzone wie ein Lauffeuer aus: Die Franzosen würden letzten Endes mit den Jihadisten gemeinsame Sache machen und sie sogar mit Waffen versorgen. Eine nie belegte und völlig abstruse Behauptung, die zumindest von einem Teil der Bevölkerung in den drei Ländern offenbar für bare Münze genommen wird.
Angesichts dessen darf man sich sogar die Frage stellen, ob nicht eine perfide Desinformationskampagne von russischer Seite hinter diesem Umschwung in der öffentlichen Meinung in Mali, Burkina Faso und im Niger steckt.
Das Ende
Frankreich jedenfalls muss gehen, jetzt auch aus dem Niger, wohin man erst vor einem guten Jahr einen Teil der aus Mali abgezogenen Truppen verlegt hatte. Niger war seitdem, gemeinsam mit dem Tschad, in der Sahelzone das letzte Land, in dem die französischen Streitkräfte gegen den islamistischen Terror noch präsent waren. Nun wird nur noch der Tschad bleiben und Frankreich steht da wie der begossene Pudel.
Es hat in all diesen Jahren seiner militärischen Präsenz den Einfluss der Jihadisten in der Region nur eindämmen, die Terrorattentate und das Vorrücken der Radikalislamisten aber nicht endgültig stoppen können. Im Grunde wusste man das aber von Anfang an. Aus französischen Militärkreisen war schon vor Jahren zu hören gewesen, man führe im Sahel auf einem riesigen Territorium einen Krieg, den man niemals endgültig gewinnen könne.
Gleichzeitig ist aber klar: Hätte es diese Intervention, zu der Frankreich in jenen Jahren der Terroranschläge auch andere EU-Länder bewegen konnte, nicht gegeben, wären Mali, Niger und Burkina Faso heute wahrscheinlich keine Staaten im herkömmlichen Sinn mehr, sondern eine riesige Zone, in der Zustände wie in Afghanistan herrschen würden oder wie sie in Teilen Syriens geherrscht haben, als der «Islamische Staat» dort das Sagen hatte.
In den drei afrikanischen Ländern, die sich nun auf Frankreich eingeschossen haben und der ehemaligen Kolonialmacht lautstark die Tür weisen, scheint man sich dessen aber kaum noch bewusst zu sein.
Niger
Der Militärputsch im Niger vor etwas mehr als zwei Monaten hat dem Ganzen die Krone aufgesetzt und ist für Präsident Macron, so schreibt «Le Monde» , «der ernsthafteste Rückschlag auf dem afrikanischen Kontinent seit Beginn seiner ersten Amtszeit 2017».
Kaum hatten die Militärs am 26. Juli in der Hauptstadt Niamey geputscht und den bei nicht ganz lupenreinen Wahlen, aber immerhin gewählten Präsidenten unter Hausarrest gestellt, kündigten sie sämtliche Militärbündnisse mit der ehemaligen Kolonialmacht auf, verlangten den Abzug der 1’500 französischen Soldaten aus dem Land und die Rückkehr des französischen Botschafters nach Paris.
Präsident Macron hat daraufhin eine geraume Zeit lang gestikuliert und getönt, so als habe er noch die Macht und die Möglichkeit, die Muskeln spielen zu lassen. Frankreich, so lautete die Antwort, denke nicht daran, den Aufforderungen der Putschisten nachzukommen, und Paris verhandle nur mit dem demokratisch gewählten Präsidenten des Landes.
Das Resultat: Die französische Botschaft in Niamey wurde auf Dauer von mehreren Tausend Menschen belagert, die Versorgung mit Nahrung und Wasser war unterbrochen, der Botschafter und sechs verbliebene Mitarbeiter mussten auf Geheiss von Präsident Macron aber weiter ausharren, konnten sich am Ende nur noch von militärischer Notration ernähren, während die französischen Soldaten sich ebenfalls nicht aus ihren drei Stützpunkten im Land herauswagen konnten und der Unmut in der französischen Truppe nicht mehr zu verbergen war.
Die Erniedrigung
Am Ende musste Präsident Macron klein beigeben. Er kündigte am 24. September eher nebenbei und etwas verschämt an, dass man auch aus dem Niger die letzten 1’500 verbliebenen französischen Soldaten abziehen und der französische Botschafter das Land verlassen werde, so wie es die Putschisten von Anfang an gefordert hatten.
Macron tat diesen Schritt letztlich auch, weil er auf dem inernationalen Parkett am Ende völlig isoliert war. Selbst bei den europäischen Partnern fand Macron bei einem EU-Gipfel in Toledo keinerlei Unterstützung für seinen störrischen Kurs.
Und dann kam die Generalversammlung der Uno in New York, ein Forum, das gleich von mehreren afrikanischen Ländern zu einer Art Generalabrechnung mit Frankreich genutzt wurde. Am weitesten ging dabei der Aussenminister Togos, der einst deutschen und dann französischen Kolonie.
«Afrika», so donnerte er am Rednerpult in New York, an die westlichen Staaten gewandt, von denen er eine neue Haltung gegenüber Afrika forderte, «Afrika will diese Einmischungen von aussen nicht mehr. (…) Wir sind ihres Paternalismus müde und ihrer Verachtung der öffentlichen Meinungen in unseren Ländern, der Geringschätzung unserer Bevölkerung und unserer Politiker. Wir sind ihrer herablassenden Haltung und ihrer Arroganz müde.»
Ende einer Epoche?
Was in den letzten Wochen im Verhältnis zwischen Frankreich und einer ganzen Reihe seiner ehemaligen Kolonien geschehen ist, stellt eine echte Zäsur dar und ist gleichzeitig eine Ohrfeige für Präsident Macrons Afrikadiplomatie. Wobei der gegenwärtige Präsident nur bedingt für die Ereignisse verantwortlich ist.
Doch es ist, als gäbe es in mehreren afrikanischen Ländern plötzlich eine Kräftekonstellation, bei der eine neue Generation Revanche nehmen möchte am ehemaligen Kolonialherren Frankreich. Sie möchte Frankreich auch zur Rechenschaft ziehen für die teils reichlich dubiose Einflussnahme nach der Unabhängigkeit ihrer Länder in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts, die über Jahrzehnte hinweg gang und gäbe war.
Die Ausladung der französischen Truppen und des Botschafters im Niger bedeutet jedenfalls das Ende der französischen und teilweise auch europäischen Intervention in der gesamten Sahelzone. Präsident Macrons dahingehende Ankündigung vom 24. September löste in der Hauptstadt des Niger Freudentänze aus und von offizieller Seite hiess es in Niamey: «Wir feiern eine neue Etappe auf dem Weg zur Souveränität des Niger. Die französischen Truppen und der französische Botschafter werden bis Ende des Jahres den Boden Nigers verlassen. Es ist ein historischer Moment, der von der Entschlossenheit und dem Willen unseres Volkes zeugt.»
Wohlgemerkt: Es sind Militärs, die sich an die Macht geputscht haben, die hier vom «Willen des Volkes» reden.
Zusätzlich erniedrigend für Frankreich ist in dieser Situation die Tatsache, dass die USA, die nach dem Putsch völlig anders als Präsident Macron reagiert und sofort die stellvertretende Aussenministerin zu den neuen Machthabern nach Niamey geschickt hatten, ihre tausend Soldaten im Niger weiterhin dort stationieren können. Die Militärjunta hat auch nicht den Abzug der italienischen und deutschen Truppen im Land gefordert. Und nur für Frankreich und für kein anderes Land gilt derzeit ein Flugverbot im Luftraum des Niger.
Die Tageszeitung «Libération» beurteilte die Lage und Macrons Afrika-Diplomatie in dieser Krisensituation jüngst folgendermassen: «Bei der Uno-Generalversammlung in New York und vor Ort in der Sahelzone ist das Image Frankreichs durch Macrons nutzloses und kontraproduktives Kräftemessen der letzten Wochen nur noch zusätzlich beschädigt worden.»
Was Mali, Burkina Faso und der Niger nun in den nächsten Jahren alleine oder mit Hilfe Russlands oder Chinas auf den Weg bringen werden, steht in den Sternen. Werden sie gegen die islamistischen Terrorgruppen erfolgreicher sein als die französisch-europäischen Truppen im Laufe des letzten Jahrzehnts? Man darf ein wenig skeptisch sein.