Innert kurzer Zeit rottete sich ein Mob zusammen, Häuser gingen in Flammen auf, Gebetsstätten wurden eingeäschert. Als die Polizei endlich einschritt, waren eine Person tot und über vierzig verletzt. Unter den achtzehn Verhafteten befand sich auch die Frau mit dem Fahrrad. Ihr warf die Polizei vor, „vorsätzlich und bösartig die Religion verletzt“ zu haben. Die Religion, die gemeint war, war der Buddhismus. Die Frau war Muslimin, ebenso wie die meisten Verwundeten und der eine Tote. Die abgebrannten Gebetsstätten waren Moscheen, Häuser und Geschäfte hatten Muslimen gehört. Es waren Buddhisten, die den Mob gebildet hatten.
Es ist ein Vorfall, wie er sich in Myanmar in diesen Tagen häufig abspielt. Nur der Anlass ist jeweils ein anderer. In Meiktila in der Region von Mandalay hatte einen Monat zuvor ein Streit zwischen einem (muslimischen) Juwelier und seinen (buddhistischen) Kunden als Auslöser gewirkt. Drei Tage lang zogen Demonstranten durch die Stadt und in benachbarte, von Muslimen bewohnte Dörfer, brandschatzten, plünderten, mordeten. 43 Menschen kamen um, Tausende flohen. Die letztjährigen Pogrome gegen die Rohingyas in der Provinz Rakhine hatten auf die zentralen Provinzen Myanmars übergegriffen.
Die Unterdrückung muslimischer Minderheiten ist nicht neu
Bei den Rohingyas ist der Fall etwas komplizierter. Sie sind eigentlich ein Seefahrervolk, das im westlichen und östlichen Indischen Ozean während Jahrhunderten einen grossen Teil des Schiffspersonals lieferte. Angeheuert von den Besitzern portugiesischer Freibeuter, arabischer Handelsschiffe, englischer Kriegsflotten, haben sie bengalische, burmesische, tamilische, selbst afrikanische Gene, zusammengemischt in den vielen Hafenstädten des Ozeans, von Mombasa bis Rangoon. Angesichts der alten arabischen Dominanz der Schifffahrt hatte sich bei den Rohingyas der Islam als Religion durchgesetzt.
Mit der Konsolidierung der englischen Seemacht im Indischen Ozean liessen sich viele Rohingyas entlang der burmesischen Küste nieder und fügten sich in den Vielvölkerstaat mit seinen 136 Ethnien ein. Heute sind es nur noch 135, nachdem das Militärregime den Rohingyas 1982 die burmesische Staatsangehörigkeit praktisch aberkannt hatte. Die Unterdrückung der muslimischen Minderheit ist daher nicht neu, wie ich aus eigener Beobachtung weiss. Ich habe Burma zwar nie besucht. Aber ich habe es einmal gesehen, im Frühjahr 1973, als ich von Teknaf in Bangladesch über den gleichnamigen Grenzfluss hinüberschaute. Fischerboote legten am anderen Ufer an und fuhren mit ihrer Fracht zum bangalischen Ufer zurück. Die Fracht: Rohingyas auf der Flucht vor buddhistischen Mobs. Schon damals war es zu Konflikten gekommen, das UNO-Flüchtlingswerk hatte in Teknaf Auffanglager errichtet, und ich war mit einem IKRK-Delegierten dorthin gereist. Und schon damals waren die Rohingyas die hauptsächlichen Opfer.
Einst eine feudale Theokratie der übelsten Sorte
‚Buddhistischer Mob‘: Etwas sträubt sich in mir, das Wortpaar zu schlucken. Es ist wie bei diesen semantischen Kollisionen, mit denen Poeten spielen, wenn sie gegensätzliche Ausdrücke zusammenbringen, von der ‚heissen Kühle‘ der Geliebten sprechen, oder einem ‚ewigen Augenblick‘. Ein Mob – diese gewaltbereite Ansammlung von Menschen – kann doch nie und nimmer aus Buddhisten bestehen! Denn für die meisten von uns sind Buddhisten der Inbegriff des Friedlichen. Christus sprach vom ‚Schwert‘, das er gebracht hatte, der Koran bläst Heiss und Kalt, je nachdem, wer der Gegner ist. Buddha dagegen hat keine Geldverleiher mit Peitschenhieben verjagt, keine Ungläubigen vierteilen lassen. Wenn er von Schmerz spricht, dann ist es nicht zugefügte Gewalt, sondern erlittene.
Vielleicht war es der Dalai Lama, dessen exemplarisches Leben (und hervorragende Vermarktung) dazu beigetragen hat, dass der Buddhismus heute die weltweit beliebteste Religion ist, gemessen an der Zahl von Bekehrungen. Aber wir wissen heute auch, dass das vierzehnte Oberhaupt des tibetischen Buddhismus eher die Ausnahme als die Regel ist. Denn der Lamaismus war eine feudale Theokratie der übelsten Sorte gewesen, solange die Mönche auch Landbesitzer, Sklavenhalter und Richter in Person gewesen waren. Erst als die Priester-Aristokratie vom kommunistischen China hinweggefegt wurde, besann sich der Klerus, allen voran der junge Dalai Lama, wieder auf seine spirituellen Wurzeln und brachte den Buddhismus zu neuem Leuchten.
Mönche als Aufwiegler
Genau dies ist der Punkt: Jede Religion verliert seine spirituelle Tiefe und moralische Unberührbarkeit, wenn sie sich für politische Macht missbrauchen lässt. So war es in Tibet, im mittelalterlichen Europa, im Islam, im puritanischen Amerika. So ist es in Sri Lanka, wo die Erklärung des Buddhismus zur Staatsreligion diesen zu einem Monster werden liess, der die Minderheiten der Muslime und tamilischen Hindus dämonisiert und Züge des Rassenwahns annimmt.
Auch in Myanmar stehen die Mönche an der Spitze eines buddhistischen Chauvinimus, der die Religion zu einer Ideologie des Terrors gegen Andersgläubige macht. Es waren buddhistische Mönche, die die Mobs in Meikhtila und Okkam anführten. Ein Bericht von ‚Human Rights Watch‘ gibt detaillierte Auskunft über die aktive Rolle, die der buddhistische ‚Sangha‘ bei den Unruhen in Rakhine letztes Jahr gespielt hat – dieselbe Mönchsgemeinschaft, die 2007 so viel internationales Lob geerntet hatte, als sie die friedlichen Proteste gegen das Militärregime anführte.
“969 – Muslime nicht willkommen“
Aber schon damals war der Sangha durchsetzt von Mönchen, die für eine ethnisch reine Demokratie schwärmten. Einer ihrer damaligen Anführer ist der ‚Sayadaw‘ - ‚ehrwürdiger Lehrer‘ – U Wirathu, der von seinem Kloster in Mandalay aus das Land mit Hetzreden gegen die muslimischen Untermenschen überzieht. Er hat die Zahl 969 zu einem magischen Kampfsymbol gemacht, das überall im Land als Kleber, Graffito oder Kampfruf auftaucht. ‚969‘ ist so etwas wie ein umgekippter Judenstern: Auf der Scheibe eines Taxis bedeutet er ‚Keine Muslime!‘ als Fahrgäste, beim Ladeneingang ‚Muslime nicht willkommen!‘. ‚969‘ steht übrigens für die 24 ‚Juwelen‘ des Buddhismus: die neun Attribute Buddhas, die sechs seiner Lehre, die neun Edelsteins des Sangha.
Es ist nicht nur der Buddhismus, dessen Leuchten dieser Tage eingetrübt ist. Auch der Heiligenschein der Friedensnobelpreisträgerin Aung San Su Kyi hat seine Strahlkraft eingebüsst. Mehrere prominente Parteigänger, die für die Demokratie in Gefängnissen sassen, haben sich offen zu Leuten wie U Wirathu bekannt. Und bis heute hat sich Aung San geweigert, gegen die Pogrome Stellung zu beziehen. Möglich, dass sie sonst um den angestrebten Sieg in den Wahlen von 2014 bangen müsste. Aber was sagt es über ein Land von 136 Volksgruppen, wenn dessen populärste demokratische Politikerin nicht für Alle einstehen kann?