Am 25. September stimmen wir darüber ab, ob alle AHV-Renten ab 2018 nach dem Giesskannenprinzip um zehn Prozent erhöht werden sollen. Es braucht zehn Prozent mehr AHV, sagen die Gewerkschaften. Warum sagen dann Bundesrat, Nationalrat, Ständerat, SVP, FDP, CVP, GLP, BDP und EVP Nein zu diesem Ansinnen?
Argumente auf wackligen Beinen
Schon die Abstimmungsfrage ist tendenziös: „Wollen Sie die Volksinitiative ‚AHVplus: für eine starke AHV’ annehmen?“ Wer könnte denn etwas gegen eine starke AHV einwenden?
Die Initianten – Gewerkschaften, SP und Grüne – rufen uns auf, zu rechnen. Wer sich allerdings die Mühe macht, anstelle von Schlagworten Fakten zu beachten, also tatsächlich zu rechnen, kommt bald einmal zum Schluss, dass hier unredlich argumentiert wird.
Bei der Frage, ob es tatsächlich zehn Prozent mehr AHV brauche, lohnt es sich, tiefer nachzufragen. Die heutigen Renten zwischen 1’175 und 2’350 Franken monatlich genügten nicht, um den Existenzbedarf angemessen zu decken, rufen die Gewerkschaften. Verschwiegen wird bewusst, dass Bund und Kantone seit Jahren Ergänzungsleistungen ausrichten, wo die AHV nicht reicht. Genau und zielgerichtet an jene Personen, deren Existenzbedarf sonst nicht gesichert ist.
Wer noch tiefer gräbt, realisiert, dass die Forderung nach genereller Rentenerhöhung noch aus zwei weiteren Gründen am Ziel vorbeischiesst. Erstens würden sich die oben erwähnten Menschen, jene, die heute Ergänzungsleistungen beziehen, ins eigene Fleisch schneiden. Steigt nämlich die AHV-Rente, so fällt entsprechend der Anspruch auf solche Ergänzungsleistungen. Zweitens würden auch all jene, die es gar nicht nötig haben, mit staatlichen Zusatzmitteln beglückt. – Warum dann diese Initiative?
Projekt Altersvorsorge 2020
Um obige Frage zu beantworten, hilft es, wenn wir uns Rechenschaft darüber geben, dass unsere Politikerinnen und Politiker seit Jahren mit dem Reformprojekt „Altersvorsorge 2020“ beschäftigt sind. Ein Generationenprojekt, das richtigerweise mehr als nur AHV-Renten einschliesst. Basierend auf der demografischen Entwicklung in der Schweiz (immer mehr Pensionierte, immer weniger Arbeitende, immer längere Lebenserwartung) zeigen alle Modelle, dass die Finanzierung der Renten im bisherigen Rahmen nicht mehr möglich ist. Dazu kommen Einnahmeausfälle aller am Vorsorgesystem beteiligten Träger – neben der AHV (erste Säule) auch der zweiten (berufliche Vorsorge) und dritten Säule (steuerbegünstigtes Sparen) – aufgrund der weltweiten Negativzinssituation.
Unter diesen Aspekten – und erst noch während der laufenden parlamentarischen Verhandlungen zur Rentenreform 2020 – eine generelle AHV-Erhöhung von zehn Prozent zu fordern, ist unverantwortlich und unehrlich. Das Argument, die AHV würde dadurch gestärkt, ist Propaganda, die sich als politisches Spielchen entpuppt. AHV und Rentenreform 2020 sind zu wichtig, um damit zu spielen.
Der AHV-Fonds schmilzt
Das Defizit der AHV belief sich 2015 auf 558 Millionen Franken, jenes von 2014 auf 320 Millionen. Zur Erinnerung: Die AHV wird im Umlageverfahren finanziert. Die jährlichen Einnahmen sollten also die jährlichen Ausgaben decken. Verlässliche und nachvollziehbare Prognosen des Bundes rechnen mit einer jährlich grösser werdenden Finanzierungslücke.
Dieser misslichen Situation soll im Reformprojekt „Altersvorsorge 2020“ Rechnung getragen werden. Dort wird hart darum gerungen, welchen Sanierungsanteil höhere Prämien, höheres Pensionierungsalter, höhere Mehrwertsteuer oder tendenziell sinkende Renten haben sollen. Die ganze Übung soll dann für längere Zeit das Problem Altersvorsorge in ausgewogener Weise lösen. Da auch dort von linker Seite gleichzeitig Rentenerhöhungen gefordert werden – was quer in der Landschaft steht – ist jetzt auch zu durchschauen, warum mit der Initiative AHVplus vorzeitig Fakten geschaffen werden sollen. Weitgehend auf Kosten der Jungen.
Geld verteilen ist einfach
Geld zu verteilen ist einfacher, als sich darüber Gedanken zu machen, woher es kommen soll. Die entsprechende Rentenerhöhung hätte bis im Jahr 2030 ein Loch von 5,5 Milliarden Franken zur Folge. Längst ist aber bekannt, dass dannzumal auch ohne das von den Initianten geforderte Geschenk in der AHV sieben Milliarden fehlen werden, zusammen also satte 12,5 Milliarden Franken.
Realisiert man, dass heute vier, in zwanzig Jahren aber nur zwei Erwerbstätige einen Rentner finanzieren und diese Bezüger erst noch eine viel längere Lebenserwartung haben … genau, Sie haben Recht mit Ihrer Frage: Wer soll das bezahlen? Die Beantwortung dieser Frage ist nicht einfach. Höhere Mehrwertsteuer – es träfe die ganze Bevölkerung. Höhere Lohnabzüge – zu finanzieren durch Berufstätige und Arbeitgeber.
Beides zusammen hiesse höhere Lohnnebenkosten und somit Verschlechterung der internationalen Konkurrenzfähigkeit, die heute schon durch den starken Franken unter Druck ist. Oder sind wir bereit, das Rentenalter von 65 auf 67 Jahre zu erhöhen, also zwei Jahre länger zu arbeiten bis zur Pensionierung?
Rentenalter 67?
Auch hier zuerst die Fakten. Bei Einführung der AHV im Jahr 1948 betrug die Lebenserwartung bei Geburt in der Schweiz 66 Jahre. Heute, 68 Jahre später, beträgt sie 82 Jahre – 16 Jahre längeres Leben und somit Bezugsdauer der AHV-Rente.
So erfreulich das ist, so nüchtern sind die Konsequenzen zu betrachten: Immer mehr Ältere beziehen immer länger eine immer höhere Rente (diese wurde zu wiederholten Malen der Kaufkraft angepasst), die letztlich durch immer weniger Arbeitende aufgebracht werden muss.
Einen ähnlichen Trend beobachten wir in vielen anderen westlichen Ländern. Deshalb haben bereits mehrere OECD-Länder eine vorläufige Erhöhung des Rentenalters um ein bis zwei Jahre beschlossen. Auch die Schweiz wird nicht darum herumkommen, selbst wenn die Gewerkschaften dies als absolutes No-Go abstempeln.
Eine solche fundamentale Änderung müsste natürlich mit entsprechenden gesetzlichen Vorschriften verbunden sein. Nicht in jedem Beruf wäre sie durchsetzbar. Und nicht wenige Firmen und Konzerne müssten ihre heute praktizierte egoistische Usanz der frühzeitigen Pensionierung aufgeben. Doch, wer weiss, vielleicht hilft bei diesem Paradigmenwechsel die demographische Entwicklung. Sie lässt bekanntlich einen grossen Mangel an Arbeitskräften erwarten.
Unsichere Renten?
Nach sieben Jahrzehnten AHV stehen unsicherere Zeiten an. Die höchst komfortable garantierte AHV-Rente ist eine grosse Errungenschaft. Viele Menschen im Land betrachten sie mittlerweile als eine Art Grundrecht, um in der dritten Lebensphase relativ komfortabel und sorgenlos leben zu können.
Einiges deutet darauf hin, dass diese stabile Grosswetterlage stürmischeren Zeiten Platz machen wird. Vergessen wird auch gern, dass in diesen siebzig Jahren die ausbezahlten Leistungen, aber auch die Ansprüche der Pensionierten stark gestiegen sind. Dass unser Land in Sachen Reformen des politischen Systems unverständlich zögerlich vorankommt, ja diese immer wieder verschleppt werden, passt leider haarscharf in diesen Rahmen.
Ob dies damit zusammenhängt, dass die verantwortlichen Damen und Herren schwierige, unpopuläre Themen angesichts des nächsten Wahltermins lieber in die Zukunft verschieben? Mit anderen Worten: sich zulasten der jüngeren Generation absetzen – diese soll es dann richten.
Solche National- und Ständeräte sind mindestens auf einem Auge blind. Sich der Realität zu verschliessen ist nie erfolgversprechend.
Kompromissbereitschaft statt politische Mätzchen
Die Zukunft der AHV ist viel zu wichtig, um sie politischen Hardlinern zu überlassen. Extremstandpunkte sind der Sache abträglich. Wenn SGB-Präsident Rudolf Rechsteiner die Vorschläge der Nationalratskommission zur Altersvorsorge vom August 2016 im „Tages-Anzeiger“ in gewohnt klassenkämpferischer Art als „Rentenmassaker, knallharten Sozialabbau, Verantwortungslosigkeit“ bezeichnet, entspricht das seiner Optik und Kampfstrategie. Extremforderungen von Arbeitgeberseite sind der Sache ebenfalls abträglich, wie etwa die Idee des automatischen Mechanismus zur Erhöhung des Rentenalters.
Im Hinblick auf das Generationenwerk „Rentenreform 2020“ ist es deshalb auch unklug, wenn die SVP/FDP-Mehrheit jetzt aus Übermut im Parlament dazu tendiert, das Fuder zu überladen. Besonnene Köpfe müssen an Kompromisslösungen arbeiten, um zu verhindern, dass die AHVplus-Initiative vom Volk angenommen wird und damit ein Konsens für die „Rentenreform 2020“ schon mal in weite Ferne rückt. Denn auch dannzumal wird wohl das Volk das letzte Wort haben.