Seit dem Einmarsch russischer Streitkräfte in der Ukraine hat es das Personal russischer Botschaften im Westen gewiss nicht leicht. Immer wieder müssen deren Presseabteilungen gegen die angeblich lügnerischen antirussischen Berichte in westlichen Medien über das Geschehen in der Ukraine Stellung beziehen. Diese «Gegendarstellungen» sind in der Regel derart hanebüchen verdreht, dass sie höchstens in Kreisen der «Putin-Versteher» ernst genommen werden. Sie sind auch nicht primär für ein westliches Publikum verfasst, sondern «für die Chefs in Moskau».
Jüngstes Beispiel einer solchen Kritik ist eine Stellungnahme der russischen Botschaft in Bern, auf deren Website am 13. April ein Text unter dem Titel «Über Rechtfertigung des Terrorismus in der NZZ» erschienen ist. Die Stellungnahme bezieht sich auf einen Artikel des NZZ-Osteuropa-Korrespondenten Ivo Mijnssen vom 8. April über die aktuelle Situation in der südukrainischen Stadt Melitopol, die seit dem Frühjahr 2022 von Russland besetzt wird.
Melitopol – keine südukrainische Stadt?
Schon die Bezeichnung «südukrainische Stadt» ist laut der Erklärung der russischen Botschaft eine bewusste Wahrheitsverzerrung, denn der Journalist Mijnssen verschweige geflissentlich, «dass die Gegend von Melitopol 1783 zusammen mit der Krim zum Teil Russlands wurde» und dieses Territorium erst 1923 von den Bolschewiken willkürlich und ohne Volksabstimmung der ukrainischen Sowjetrepublik zugeschlagen worden sei. Was die russische Botschaft in Bern hingegen völlig ausblendet, ist die Tatsache, dass die frühere Sowjetukraine 1991 völkerrechtlich zu einem unabhängigen Staat wurde, deren territoriale Integrität auch von Moskau in mehreren Verträgen garantiert worden ist.
Die Stadt Melitopol zählte vor dem russischen Überfall rund 150’000 Einwohner und ist Teil des ukrainischen Gebiets Saporischja. Diese Oblast hat Russland inzwischen formell zum russischen Staatsgebiet erklärt, was mit einer im vergangenen Herbst hastig inszenierten Volksabstimmung legitimiert wurde, die der Korrespondent Mijnssen mit gutem Grund als «manipuliert» bezeichnet. Auch diese Charakterisierung eines angeblichen Volksentscheides in einer vom imperialen Aggressor kontrollierten Stadt ist gemäss der russischen Botschaft in Bern eine bösartige Lüge.
Mijnssen berichtet in seinem NZZ-Artikel ausführlicher über verschiedene Sprengstoffanschläge und Angriffe mit amerikanischen Himars-Raketenwerfern auf bestimmte Einrichtungen im russisch okkupierten Melitopol, über die in verschiedenen Medien in den vergangenen Wochen und Monaten berichtet wurde. Verübt wurden diese Anschläge offenbar durch ukrainische Armee-Einheiten und vor allem durch ukrainische Partisanengruppen. Die russische Botschaft bezeichnet die entsprechenden Schilderungen kurzerhand als «Verherrlichung des Terrorismus». Nach dieser einseitigen Logik müsste folglich auch der Widerstand russischer Patrioten und Untergrundkämpfer gegen die Nazi-Besetzer während des Zweiten Weltkrieges als «terroristische Umtriebe» verunglimpft werden.
Abschreckende Drohung?
Schliesslich wird in der Botschaftserklärung aus Bern in ziemlich drohendem Unterton unterstrichen, dass nach dem russischen Strafgesetzbuch, Artikel 205.2 die öffentliche Rechtfertigung von Terrorismus und dessen Propagierung zu Geldstrafe oder Gefängnishaft von fünf bis sieben Jahren verurteilt werden kann. Die Warnung könnte darauf abzielen, den NZZ-Korrespondente Mijnssen vorläufig vom Risiko abzuhalten, weitere Erkundungs- und Reportagereisen in russisch kontrollierte Gebiete zu unternehmen.
Damit hätte die Botschaft in Bern mit ihrer grobschlächtigen Breitseite zumindest erreicht, einen der kompetentesten Kenner und Beobachter der aktuellen Verhältnisse in der Ukraine von der journalistischen Berichterstattung über den russischen Angriffskrieg vor Ort auszugrenzen. Für seine Leser wäre das ein Verlust, für Putin und seine Propagandisten ein gewisser Gewinn.
Auf den Punkt gebracht
Allzu viel Bedeutung sollte man solchen Episoden aber nicht beimessen. Erstens ist es beileibe nicht das erste Mal, dass die russische Botschaft in Bern gegen die Berichterstattung helvetischer Medien über den russischen Eroberungs- und Vernichtungskrieg in der Ukraine vom Leder zieht. Zweitens dürften auch die zuständigen Leute in der Presseabteilung der Botschaft sich wenig Illusionen über die Wirkung solcher Propaganda-Erklärungen machen, die in ihrer groben Schlichtheit hierzulande bestenfalls in den Reihen zynischer Putin-Claqueure Gehör und Wiederverwertung finden.
Geschrieben sind diese publizistischen Fleissübungen in erster Linie «für die Chefs in Moskau». So hat der in der Schweiz lebende Schriftsteller Michail Schischkin die Sache prägnant auf den Punkt gebracht. Die Presseleute in der Berner Botschaft, die über solchen Texten brüten müssen, von deren Substanz und Nützlichkeit sie wohl selber nicht überzeugt sind, sind um ihren Job nicht zu beneiden.