Glückliche Schweiz, die sich zumindest derartige Sorgen nicht machen muss. Ständig daran denken, wer im In- und Ausland denn würdig sein könnte, ein Stück Metall und das dazu gehörende farbige Band an die Brust geheftet zu bekommen. Nicht zu vergessen die winzig kleine Anstecknadel in Form einer kleinen roten Kugel, die mitgeliefert wird und dann für den Alltag herhalten muss. Denn dezent und zugleich doch gut sichtbar trägt der Franzose, seltener die Französin, diesen roten Punkt – am besten auf blauem Untergrund mit weissem Hemd - am Revers von Sakkos und Westen und signalisiert damit: Ich habe Verdienste.
Ausserdem bleibt der Schweiz erspart, hinterher darüber wachen zu müssen, ob diese Ritter, Offiziere und Kommandeure der Ehrenlegion sich in ihrem restlichen Leben dieser Auszeichnungen auch weiter würdig erweisen. Und ausserdem die Bürde, dass man gewisse Geehrte, sozusagen besonders Verdienstvolle, ja auch noch weiter befördern muss: vom Ritter zum Offizier, vom Offizier zum Kommandeur. Dabei muss man darauf achten, keine Eifersüchteleien auszulösen und niemanden zu vergessen.
Die Institution Ehrenlegion
211 Jahre ist Frankreichs höchster Orden nun schon alt, und er ist mehr als nur ein Orden. Er ist eine wahre Institution, mit einer Kanzlei in einem der schönsten Pariser Stadtpaläste am linken Seine-Ufer, unweit des Orsay-Museums, mit einem Grosskanzler und einem Grossmeister an der Spitze, mit einem eigenen Museum und zwei Internaten, die im Prinzip ausschliesslich von weiblichen Nachfahren der Träger der Ehrenlegion besucht werden. „Erziehungshäuser der Ehrenlegion“ heissen sie offiziell. Man trägt dort Uniform, bevorzugt tiefblau. Das eine dieser Erziehungshäuser steht standesgemäss im noblen, westlichen Pariser Vorort Saint-Germain-en-Laye, das andere aber mitten in der Hölle der nördlichen Pariser Problemvororte, in Saint-Denis, dort aber zumindest in unmittelbarer Nähe, ja vielleicht gar im Schutz der Basilika von Saint-Denis, wo Frankreichs Könige reihenweise begraben liegen.
Jahreszeiten der Ehrenlegion
Es gibt hierzulande bestimmte Jahreszeiten, da hagelt es richtiggehend Ehrenlegionen. Am Neujahrstag zum Beispiel waren es beim letzten Mal gleich 619. Und die sogenannte “Promotion de Pâques” an Ostern ist auch nicht zu verachten. Wie die Ostereier fallen da die Orden in die Schösse der Geehrten. Jedes der zur Zeit ganz besonders zahlreichen Ministerien darf bzw. muss sogar eine gute Hand voll von zu Ehrenden vorschlagen.
Und da hatte Frankreichs Kulturministerin Filipetti beim Ausfüllen der Liste diesmal unter anderem eben auch an Bob Dylan gedacht. Das Problem dabei: Der Grosskanzler der Ehrenlegion hat das letzte Wort. Und dieser Grosskanzler ist traditionell ein General ausser Dienst. Zurzeit heisst der Mann Georgelin, einer, der immerhin mehrere Jahre lang Generalstabschef der gesamten französischen Armee war. Einem solchen General ist einer wie Dylan fast per Definition ein rotes Tuch. Schliesslich, so soll sich der General empört haben, sei der Herr Künstler, ja während des Vietnamkriegs gar Pazifist gewesen. Ausserdem, man stelle sich vor, habe er Drogen konsumiert.
Das Wort „indigne” ist gefallen. Bob Dylan sei der französischen Ehrenlegion nicht würdig, hat der General befunden.
Von wegen Würde
Mit der Würde und den Orden ist das aber so eine Sache. Es reicht, die fünf Jahre der Präsidentschaft Sarkozy unter die Lupe zu nehmen.
Kaum hatte Nicolas Sarkozy 2007 die Wahl gewonnen, hat er zum Beispiel einem gewissen Guy Wildenstein die Ehrenlegion umgehängt. Dessen Verdienste? Er hatte für Sarkozys UMP-Partei und ihren Wahlkampf damals kräftig Geld gesammelt, und zwar in den USA. Nebenbei ist er Erbe einer der weltweit grössten und teuersten Kunstsammlungen überhaupt - mit Galerien in New York, Paris, Tokio und sonst noch wo - sowie dem Wildenstein-Institut in Paris, das unter anderem das offizielle Werkeverzeichnis von Renoir herausgegeben hat und im Prinzip die Referenz in Sachen Impressionismus schlechthin ist.
Als Guy Wildenstein das Imperium von seinem Vater erbte, hat er es in Dutzenden Scheinfirmen in Steuerparadiesen rund um den Erdball versteckt, die Witwe seines Vaters, seine Stiefmutter schamlos um ihren Erbteil betrogen - und den französischen Fiskus um Riesensummen. Nun läuft ein Verfahren gegen ihn. Eine Steuernachzahlung in dreistelliger Millionenhöhe ist ihm ins Haus geflattert.
Sonderlich würdig kommt Herr Wildenstein zurzeit nicht daher. Ähnlich schlecht ist es um die Würde des Herrn Servier bestellt, dem Pharmaindustriellen mit Wohnsitz im vornehmen Neuilly, dem Ex-Präsident Sarkozy ebenfalls höchstpersönlich den Orden an die Brust geheftet hatte. Gleich zweimal ist dieser fast 90-jährige skrupellose Biedermann jetzt angeklagt, weil eines seiner Medikamente, MEDIATOR, ein Schlankmacher, mit dem er Millionen gescheffelt hat, zwischen 500 und 2000 Menschen auf Grund seiner Nebenwirkungen ins Jenseits befördert hat.
Ganz zu schweigen von der fragwürdigen Würde einer ganz besonders dunklen Gestalt in den dunklen Afrikageschäften Frankreichs. Die Rede ist von Monsieur Bourgi, der in den letzten Jahrzehnten sicher mehr als einen Geldkoffer zwischen den Kontinenten hin und her getragen hat.
Schliesslich sind da, im Kontingent der verdienstvollen Ausländer, die die Ehrenlegion tragen, z.B. die würdigen Herren Ali Bongo, Sohn von Omar und Erbpräsident von Gabun und ein gewisser Wladimir Putin… Über Würde lässt sich ganz offensichtlich trefflich streiten.
Ehrenlegion ablehnen
Bob Dylan hätte sich angesichts dieses linkischen Gehabes der französischen Offiziellen eigentlich schon längst zu Wort melden und die Herrschaften ob ihrer Kleingeistigkeit zum lebenslangen Klopfen an der Himmelspforte verdammen sollen. Er hätte die Ehrenlegion Ehrenlegion sein lassen können, als das, was sie ist, nämlich ein Orden, der einfach viel zu oft verliehen wird.
Ausserdem: An diejenigen, die Preise und Orden ablehnen, erinnert man sich in der Öffentlichkeit noch Jahrzehnte später weitaus besser, als an all die quasi namenslos Geehrten.
Dylan würde sich mit einer offensiven Ablehnung der Ehrenlegion in bester Gesellschaft befinden. Jean-Paul Sartre etwa hat nicht nur den Literaturnobelpreis, sondern selbstverständlich auch diese Ehrenlegion abgelehnt. Simone de Beauvoir tat es ihm gleich. Camus, der die beiden bekanntlich nicht sonderlich leiden konnte, war zumindest in diesem Fall mit ihnen einig und winkte ebenfalls ab.
Léo Ferré, der alte singende Anarchist, wies sie selbstverständlich zurück, Georges Brassens sowieso, und in früheren Zeiten hatten dies zum Beispiel die Herren Berlioz und Ravel getan. Auch Marie Curie übrigens, die sich nach ihrem Tod nicht wehren konnte, ins Panthéon, der letzten Ruhestätte der grossen Geister Frankreichs überführt zu werden, wollte sich zu Lebzeiten nicht mit Frankreichs höchsten Verdienstorden geehrt sehen.
In manchen Fällen weiss der Grosskanzler der Ehrenlegion wenigstens von vorneherein, dass er erst gar nicht versuchen muss, jemandem den höchsten Orden der Republik anzutragen – so etwa - sollte er jemals auf den Gedanken kommen – den Mitarbeitern der geliebten satirischen Wochenzeitung „Canard Enchaîné“. Dort zumindest sind die Dinge klar geregelt. Einen wie auch immer gestalteten Orden anzunehmen, ist beim Blatt mit der bösen Zunge und den spitzen Federn ein Entlassungsgrund. Basta.
Ehrenlegion zurückschicken
Manchmal kann der schon verliehene Orden allerdings auch eine eindrucksvolle Waffe werden, um dem höchsten Vertretern der Republik, zum Beispiel dem Staatspräsidenten, zu signalisieren: Hoppla, Du weichst vom Weg ab, was da gerade im Namen der Republik geschieht, ist mit dem Tragen des Stücks Metall, das die Republik symbolisiert, nicht mehr vereinbar - also schicken wir es zurück, am besten als Sammelpaket.
So geschehen etwa im Jahre 2010, als Präsident Sarkozy einen ganzen Haufen dieser schon getragenen Orden vor vier bis sechs Zentimetern Durchmesser in Empfang nehmen durfte, aus Protest gegen seinen Umgang mit den Roma im Land oder gegen die Geringschätzung, die er gegenüber Frankreichs Forschern zum Ausdruck gebracht hatte. Solche Gesten, das muss man dieser Ehrenlegion lassen, haben dann doch immer noch eine gewisse Wirkung in der Öffentlichkeit dieses so verunsichert und orientierungslos wirkenden Landes.
Von Fussball und einer Meisterfeier
Woran man sich lieber nicht erinnern möchte, ist die Verleihung einer anderen Art von Orden, eines nicht klar identifizierbaren Objektes, das keiner klassischen Meisterschale ähnlich ist, eher einem Ufo-Objekt gleicht - kurzum die kaum zu beschreibende Trophäe, die der französische Fussballverband dem französischen Fussballmeister hierzulande verleiht.
Weil der französische Fussballmeister - der nebenbei gesagt Paris Saint-Germain heisst – fest in den Händen von Katar ist und man dem fundamentalistischen Gas-Staat am Golf und seinen Milliarden hierzulande so gut wie gar nichts abzuschlagen wagt, hat man den blasierten Millionenkickern für die Feier der Meisterschaft doch tatsächlich den Platz des Trocadero zur Verfügung gestellt. Warum?
Einfach weil Herr Scheich Nasser Al-Khelaifi, der 250 Millionen Euro in diesen geschichtslosesten aller europäischen Fussballvereine investiert hat - PSG existiert gerade mal seit 1970 - für das weltweite Image seines Clubs und für die Rentabilität seiner Investitionen unbedingt den Eiffelturm im Hintergrund seiner Siegesfeier haben wollte.
Er ist bedient worden, der Herr Scheich. Von wegen Siegesfeier und schöne Bilder: Rauchschwaden, fliegende Bierflaschen, Steine, Eisengittern und einige hundert wütende Rabauken, die die noblen Avenuen des 16. Arrondissement in Schrecken versetzten, haben das alles innerhalb von drei Stunden zunichte gemacht.
Missbrauch am Trocadero
Das Empörendste dabei - doch darüber hat niemand ein Wort verloren: Diese Esplanade am Trocadero, zwischen den halbrunden, neo-klassizistischen Säulenbauten im Stil der 30er-Jahre, um nicht zu sagen im Stil Mussolinis, ist seit über zwei Jahrzehnten in Paris offiziell der “Vorplatz der Menschenrechte” - "Le Parvis des Droits de l'Homme". Denn schliesslich ist in Bierflaschenwurfgeschossweite von dieser Natursteinfläche mit Blick auf den Eiffelturm im Jahr 1948 im Palais Chaillot die Universelle Erklärung der Menschenrechte unterzeichnet worden - ein gewisser Stéphane Hessel hatte damals als junger Diplomat dabei assistiert.
Und ganz nebenbei: Auch die bewundernswerte Hilfsorganisation ATD Quart Monde, die sich seit Jahrzehnten für die Menschenwürde der Armen stark macht und einst von General De Gaulles Schwester unterstützt wurde, hat diesen Platz seit 1987 zum Ort gemacht, von dem aus sie einmal im Jahr, am 17. Oktober, daran erinnert, dass Armut und Elend ein eklatanter Verstoss gegen die Menschenrechte sind.
Diesen Ort also haben die Stadt Paris und ihr sozialistischer Bürgermeister, sowie die Polizeipräfektur der Kapitale den kommerziellen Gelüsten der Kataris an diesem Tag sozusagen kampflos überlassen und damit erlaubt, dass dieser Platz und die Symbole, für die er steht, mit Füssen getreten wurden. Eine gewaltige Geschmacklosigkeit.
Ist dieses ganze Fiasko der Meisterschaftsfeier des Paris Saint-Germain letztlich nicht schlicht ein weiteres, sehr unappetitliches Beispiel dafür, dass die Finanzwelt zumindest glaubt, einfach alles zu dürfen und zu können und dass gleichzeitig die Politik letztlich nur noch sehr wenig vermag?