Journal21: Herr Minder, Sie haben vor drei Jahren Ihre Abzocker-Initiative im Bundeshaus eingereicht. Sehen Sie heute schon einigermassen klar, wann diese Initiative zur Abstimmung vor das Volk kommt?
Nein, wir haben vielleicht erst ungefähr die halbe Wegstrecke bis zur Urne zurückgelegt. Das Traktandum für einen Gegenvorschlag kann drei Mal hin und hergehen zwischen Ständerat und Nationalrat. Am 9. März kommt das Geschäft wieder vor den Nationalrat. Die Frist für einen Gegenvorschlag läuft im August dieses Jahres aus. Dann kann es nochmals eine Fristverlängerung für ein Jahr zur Differenzbereinigung zwischen den beiden Räten geben – aber nur, wenn die Vorschläge der beiden Kammern auf der gleichen juristischen Ebene liegen – also auf Verfassungs- oder Gesetzesebene.
Ich glaube nicht, dass es zu einer Abstimmung über die Abzocker-Initiative vor den Parlamentswahlen im November kommt. Mit allen denkbaren Fristen ist es möglich, dass die Volksabstimmung erst 2013 stattfinden wird.
Besteht die Möglichkeit, dass Sie Ihre Abzocker-Initiative noch zurückziehen?
Eigentlich ist das eine provokative Frage. Nach all den Verzögerungsmanövern kommt das für mich nicht mehr in Frage.
Sie haben sich ja vor einem Jahr mit Christoph Blocher über eine so genannte Einigungslösung verständigt: Wenn das Parlament auf Gesetzesebene ein Paket verabschiedet, das die Kernforderungen Ihrer Initiative (30 Punkte, die darin enthalten sein müssen), würden Sie Ihre Initiative zurückziehen.
Ja, aber vom Zustandekommen dieser Einigungslösung im Parlament sind wir weiter denn je entfernt. Sehen Sie was in Bundesbern abläuft. In der Realität liegen die Chancen für diese Einigungslösung bei Null.
Also, kommt es mit höchster Wahrscheinlichkeit zur Abstimmung über Ihre Initiative?
So ist es. Und nehmen wir einmal theoretisch an, ich würde die Abzocker-Initiative zurückziehen, das gäbe eine Riesenempörung im Volk. Ich habe um die 6000 Mails bekommen, in denen die Leute ihrem Zorn über die Abzocker-Praktiken in den börsenkotierten Grossfirmen Luft machen. Da finden Sie Ausdrücke, die einen das Fürchten lernen. Die Leute sehen doch, was da passiert ist. Zum Beispiel bei Swiss Re im Jahr 2008: Riesenverluste, und trotzdem bezieht ein Peter Forstmoser als Verwaltungsratspräsident in diesem Jahr Entschädigungen von 3,2 Millionen und Walter Kielholz als Vizepräsident 2,8 Millionen Franken. Dabei dürfe es gemäss Obligationenrecht nur Tantiemen für Verwaltungsräte geben, keine fixen und keine variablen Entschädigungen, schon gar nicht in einem Verlustjahr.
Werden Sie von Blocher unterstützt, wenn es zu einer Abstimmung kommt?
Aber natürlich. Blocher hat sich ja eindeutig festgelegt in den Medien. Er müsste bei einer Änderung seiner Meinung wortbrüchig werden. Er hat gesagt, wenn die Einigungslösung nicht zustande kommt, so wird die SVP meine Initiative unterstützen.
Sie haben erklärt, die kürzlich gegen eine substanzielle Opposition von der Novartis-Aktionärsversammlung genehmigte Entschädigung für Verwaltungsratspräsident Vasella in der Höhe von 20 Millionen Franken sei „Wasser auf die Mühlen meiner Abzocker-Initiative“. Wie meinen Sie das?
Laut Geschäftsbericht beträgt die Entschädigung für Vasella 8 Millionen für seine Funktion als Verwaltungsratspräsident und 12 Millionen für die Renteneinzahlung. Es gibt keine plausible Begründung für diese Bezüge. Schon gar nicht ist dieser Betrag von 12 Millionen für die Rente ihm gesetzlich geschuldet, wie es im Geschäftsbericht von Novartis heisst. Wo ist ein entsprechender Gesetzesparagraph für diese Behauptung?
Sind Sie überzeugt, dass solche Exzesse gestoppt werden, wenn Ihre Abzocker-Initiative vom Volk angenommen wird?
Nein, das habe ich auch nie in einem absoluten Sinne behauptet. Aber ich würde heute behaupten, die skandalösen Boni-Vergütungen im Fall UBS wären so nicht passiert. Und der Fall Corti bei der Swissair, bei dem 12.5 Millionen Franken als Vorauszahlung geleistet wurden, wäre auch nicht passiert, denn nach den Bestimmungen meiner Initiative dürfen keine Vorauszahlungen an Manager oder Verwaltungsräte bezahlt werden.
Wird Ihre Initiative angenommen, würden ja auch die so genannten Depotstimmen an den Aktionärsversammlungen abgeschafft.
Ja, und das ist richtig. Wenn Sie heute als Aktionär Ihrer Depotbank keine speziellen Weisungen geben, wird ihr Stimmrecht als Ja-Stimme für die Vorlagen des Verwaltungsrates gezählt. Das ist doch ein unsinniges Gesetz. Bei dieser Praxis ist keine Willensäusserung des Aktionärs zu erkennen.
Dieses Lohnsystem mit exorbitanten Millionen-Gehältern und Boni für die Führungsetage hat sich ja wohl durch die Übernahme von amerikanischen Firmen in den börsenkotierten Schweizer Grossfirmen ausgebreitet. Ist eine Abkoppelung von dieser Kultur wirklich möglich? Und gibt es ein Land, in denen die Aktionärsdemokratie so funktioniert, wie Sie es sich wünschen?
Ich habe mich über die Entwicklung in Grossbritannien näher erkundigt. Die dortigen Regelungen werden gelegentlich als vorbildlich dargestellt. Dazu muss man festhalten, dass nach britischem Recht die Aktionäre seit 2002 nur im konsultativen Sinne zu den Vergütungsplänen für die Unternehmensführung Stellung beziehen können. Aber konsultative Abstimmungen sind keine echte Demokratie. Die Millionen-Vergütungen sind in Grossbrittanien auch nicht wirklich eingedämmt worden. Nur im Fall von GlaxcoSmithKline haben die Aktionäre den Vergütungsericht im Jahr 2003 abgelehnt. Bindende Bestimmungen zur Mitentscheidung der Aktionäre beim Vergütungssystem gibt es offenbar in Holland und in Australien.
Was halten Sie von der 1:12-Initiative der Jungsozialisten, nach der die höchste Vergütung in einem Unternehmen höchstens 12 Mal so gross sein darf wie der niedrigste Lohn? Ist das eine Konkurrenz für Ihre Abzocker-Initiative?
Für mich ist das ein Vorteil, denn die Jungsozialisten gehen erheblich weiter als ich und wollen eine radikale Limitierung bei den Vergütungen. Das gibt es bei mir nicht. Ich kann also den Leuten sagen, dass es meine Initiative braucht, um diejenige der Jungsozialisten zu verhindern. Ich habe immer gesagt, meine Initiative ist ein mittlerer Lösungsansatz. Sie sehen ja, dass ich jetzt links von der 1:12-Initiative der Jungsozialisten und rechts von der ständerätlichen Forderung nach einer speziellen Boni-Steuer überholt werde.
Gegen Ihre Initiative wird die Warnung ins Feld geführt, dass im Falle einer Annahme wichtige börsenkotierte Unternehmen ihren Sitz ins Ausland verlegen könnten. Ist das ein seriöses Argument oder nur Angstmacherei?
Richtig, mit diesem Argument wird von den Gegnern operiert. Aber schauen wir uns die realen Bedingungen an: Bei Néstlé beispielsweise müssen für den Entscheid einer Sitzverlegung Zweidrittel des Aktionariats anwesend sein und Dreiviertel der Anwesenden müssen einer Sitzverlegung zustimmen. Diese Hürden sind doch kaum zu überwinden.
Übrigens findet trotz meiner Initiative weiterhin ein reger Zuzug ausländischer Firmen statt - teilweise auch solche, die an der Börse kotiert sind, wie Transocean. Das zeigt doch, dass die Abzocker-Initiative keine abschreckende Wirkung hat.
Und was sagen Sie zu dem Argument, dass man bei Annahme der Abzocker-Initiative keine geeigneten Manager mehr finden werde für die grossen Schweizer Unternehmer?
Wir sehen ja, wohin die Entwicklung mit den jetzigen Top-Managern geführt hat. Wir brauchen andere und bescheidenere Leute in den Verwaltungsräten der Grossunternehmen, Leute mit gesundem Menschenverstand und wenn möglich einer persönlichen Verwurzelung in unserem Land.
Es gibt Studien, laut denen die hundert grössten Unternehmen der Schweiz zu einem grossen Teil von Ausländern geführt wird. Und diese Unternehmungen haben in vielen Fällen grosse Niederlassungen oder Zweigfirmen in den USA. Wären da die Auflagen der Abzocker-Initiative nicht eine Belastung zur Führung dieser Geschäfte in Amerika?
Ich begreife nicht, weshalb alle diese Firmen sich in den USA so stark engagieren. Alle haben doch dort grosse Verluste erlitten. Alle grossen Akquisitionen – Credit Suisse First Boston, Paine Webber, DLH – waren doch eine gewaltige Enttäuschung. Jetzt steckt die CS im Strudel von Steueraffären in den USA, die UBS wird vielleicht nochmals da hineingeraten. Diese Grossfirmen würden heute alle besser dastehen, wenn sie nicht derart umfassend in den amerikanischen Markt investiert hätten. Ich kenne Amerika, ich habe dort drei Jahre studiert. In der amerikanischen Wirtschaft ist alles nur auf Wachstum, Wachstum fixiert – aber nicht auf Nachhaltigkeit. Und Nachhaltigkeit sollte der wichtigste Faktor einer seriösen Geschäftspolitik sein.
Was sagen Sie zu dem Argument, Roger Federer verdiene ja auch hohe Millionenbeträge im Jahr, und das werde in der Öffentlichkeit nicht kritisiert?
Diese Frage ist mir auch schon mehrmals gestellt worden. Die Frage ist total deplaciert. Federer ist ja keine börsenkotierte Unternehmung. Er ist keinen Aktionären Rechenschaft schuldig. Er trägt aber auch das Risiko allein für sich: Wenn er nicht gewinnt im Spiel und die Zuschauer wegbleiben, verdient er auch weniger Geld.
Haben Sie eine Arbeitsgruppe für die Abzocker-Initiative?
Ich wollte von Anfang an bewusst keine bekannten Persönlichkeiten in dem Initiativ-Komitee haben. Ich wollte mich auch dagegen absichern, dass die Initiative nicht plötzlich hinter meinem Rücken zurückgezogen wird. Schliesslich habe ich etwa eine halbe Million Franken in diese Aktion investiert.
Es gibt Berichte, laut denen Sie sich eine Kandidatur für den frei werdenden Schaffhauser Sitz im Ständerat überlegen. Wie konkret sind solche Pläne?
Im Moment ist die Antwort eher nein. Aber es wäre vielleicht auch reizvoll, in dieser „Chambre de reflexion“ mitzumachen. Doch es gibt abschreckende Erfahrungen. Bei der Debatte über meine Initiative war ich entsetzt, wie träge und ineffizient dieses Dossier behandelt wurde.
Hätten Sie als Parteiloser in Schaffhausen als Ständeratskandidat eine Chance?
Ich glaube schon. Man kennt mich hier in Schaffhausen. Ich habe mich auch für Umweltfragen intensiver engagiert. Aber ich will keiner Partei beitreten. Es ist gut möglich, dass ich nochmals eine Initiative starte: Eine Beschleunigungsinitiative, die verlangt, dass Volksinitiativen schneller zur Abstimmung kommen. Der Urnengang könnte dann nicht mehr jahrelang verzögert werden wie bei meiner Abzocker-Initiative.
Thomas Minder (50) ist Chef der Traditionsfirma Trybol in Neuhausen am Rheinfall, die Produkte für Mund- und Körperpflege herstellt. Er besuchte nach der Grundschule die Ecole supérieure de commerce in Neuenburg und lebte mehrere Jahre in Paris und in New York. Seit 1999 ist er Alleininhaber von Trybol, die rund 20 Mitarbeiter beschäftigt.
Die wichtigsten Punkte der Abzocker-Initiative:
- Abstimmung der GV über die Gesamtsumme aller Vergütungen des Verwaltungsrates, ebenso über die Gesamtsumme aller Vergütungen der Geschäftsleitung und des Beirates
- Jährliches Einzelwahl des Verwaltungsrates und des VR-Präsidenten
- Keine Abgangs- oder andere Entschädigungen an VR- und GL-Mitglieder
- Keine Vorauszahlungen an VR- und GL-Mitglieder
- Keine Depot- und Organstimmrechtsvertretung
Wortlaut des Initiativtextes: http://www.volksinitiative-gegen-die-abzockerei.ch/infomappe.html