Seit 2000 lädt ein Kuratorium der Serpentine Gallery London einen Architekten, eine Architektin ein, nahe des Galeriegebäudes im Hyde Park einen temporären Pavillon zu erstellen. Dieses Jahr kam erstmals ein Künstler zum Zuge, der aus Chicago stammende Theaster Gates, der allerdings die Hilfe des Architekturbüros Adjaye Associates benötigte. Sein schwarzer Zylinder unterscheidet sich von den Vorgängern, die teilweise reichlich komplex waren, durch einfache Formgebung.
Der rund zehn Meter hohe Zylinder besteht aus einem Leichtmetallskelett, das mit Holzpanelen überzogen ist. Feine senkrechte Stege betonen die Vertikale. Der Sockelbereich wird durch eine zusätzliche Schicht aus vertikal gesetzten schmalen Holzbrettern akzentuiert. Durch den Zylinder ist eine Achse gelegt, die mit einem Steg und zwei engen, hohen Öffnungen angezeigt wird. Das durch die Achse ausgeschiedene Segment beherbergt im Innern eine Bar, während der Rest einen grossen, leeren Raum ergibt, der durch eine kleine Rundöffnung in der Decke Licht erhält. Der einzige Schmuck besteht aus sieben quadratischen, hellen Bildelementen. Vor dem einen Eingang befindet sich eine kleine Glocke. Soweit die nüchterne Beschreibung des Objekts.
Viele Assoziationen
Mit der Bezeichnung «Black Chapel» reiht sich der Pavillon selbstredend in die Tradition der sakralen Bauten ein, allerdings ohne eine Bindung an irgendeine Religion oder Konfession. Explizit wird mit den sieben Bildelementen eine Verbindung zur Kapelle von Marc Rothko in Houston hergestellt, die ebenfalls als ein für alle offenes und mit Kunst akzentuiertes Heiligtum konzipiert wurde.
In den begleitenden Texten tauchen weitere Querbezüge auf, so zu den Brennöfen der britischen Stadt Stoke-on-Trent und den Bienenkorböfen in den westlichen USA, obwohl sich diese – über einem Kreisgrundriss errichtet – durch die kontinuierliche Verjüngung nach oben doch recht stark vom Zylinder in London unterscheiden. Als Inspirationsquelle werden zudem der Petersdom in Rom, die antiken römischen Rundtempel, die Musgum-Lehmhütten in Kamerun, die Kasubi Tombs in Uganda, die ungarischen Rundkirchen, Voodoo-Kreise, ja sogar die durch Menschen gebildeten Kreise bei den Capoeira Kunstkämpfen erwähnt.
Das ist eine veritable Zitatenorgie, und die Liste liesse sich beliebig verlängern durch Kreisstrukturen, die auf irgendeine Weise mit dem Sakralen zusammenhängen. Doch die naheliegendste Quelle, die sich allen, welche mit der westlichen Architekturgeschichte vertraut sind, aufdrängt, wird in den offiziellen Kommentaren verschwiegen. Der Zylinder mit der leicht gewölbten Decke, in deren Mitte eine runde Öffnung ausgespart ist, erscheint als Paraphrase des Pantheons in Rom.
Der Künstler wollte eine profane Deutung des Raumes unbedingt vermeiden. Für ihn sollte das Innere der Kontemplation, der Ruhe, aber auch der Geselligkeit dienen. Die Glocke vor dem Eingang stammt von einer abgerissenen katholischen Kirche in Chicago und soll die verschiedenen geplanten Veranstaltungen einläuten.
Engagement für Schwarze
Der 1973 in Chicago geborene Theaster Gates thematisiert als Schwarzer die Kultur und Lebensbedingungen von Schwarzen, was in seinen vielfältigen Aktionen und Installationen durch das Adjektiv «Black» immer wieder zum Ausdruck gebracht wird. «Black Chapel» beispielsweise hiess auch eine umfangreiche Installation, die im Haus der Kunst München von Oktober 2019 bis Juli 2020 dauerte.
2019 sammelte Theaster Gates für den Gropius Bau in Berlin Fotos aus den 1940ern und 1950ern, die sich mit afroamerikanischer Identität auseinandersetzten. Im Kunstmuseum Basel untersuchte er mit dem Titel «Black Madonna» den Kult der schwarzen Madonnen und ergänzte historische Artefakte mit eigenen Werken sowie Fotodokumenten aus verschiedenen Archiven. «Black Chapel» in London ist zudem eine Hommage an seinen Vater, der ein einfacher Bauarbeiter war und insbesondere Dächer abdichtete. Das Rohe der Konstruktion soll an diesen Umstand erinnern, so wie auch die Bildelemente mit einer ähnlichen Technik hergestellt wurden, wie sie sein Vater für die Dächer benutzte.
Im Grunde wird der von Theater Gates inszenierte Rückbezug auf die harten Bedingungen der Arbeitswelt der Schwarzen erst im Vergleich mit den bisherigen Pavillons der Serpentine Gallery deutlich. Die Reihe begann im Jahre 2000 mit der Realisierung eines Entwurfes von Zaha Hadid. Mit «Black Chapel» wurde der zwanzigste Pavillon errichtet. Die Liste der Architektinnen und Architekten enthält Weltstars wie Daniel Libeskind, Toyo Ito, Oscar Niemeyer, Álvaro Siza mit Eduardo Souto de Moura, Rem Koolhaas, Frank Gehry, Peter Zumthor, Herzog & de Meuron, Bjarke Ingels. Es handelte sich bisher fast ausnahmslos um räumlich vielschichte Strukturen, während die «Black Chapel» aus einer einzigen geometrischen Grundform besteht und sich auf zwei Werkstoffe (Holz und Leichtmetall) sowie auf eine Farbe beschränkt.
Der Pavillon ist bis 16. Oktober zugänglich.
Alle Fotos © Fabrizio Brentini