Bernard-Henri Lévy schreibt nicht wortwörtlich - so weit geht er dann doch nicht -, dass er der Initiator des Kriegs in Libyen gewesen sei, und behauptet auch nicht, dass die militärische Intervention gegen Gadhafi ohne ihn nie zustande gekommen wäre, vermittelt gleichzeitig aber doch den Eindruck, dass dem in gewisser Weise so gewesen sei. Er überliefert Äusserungen von libyschen Aufständischen, Mitgliedern des Nationalen Übergangskomitees CNT und zahlreichen Kommentatoren, die alle darauf hinauslaufen, dass der Einsatz von Bernard-Henri Lévy zwischen März und August bis hin zum Sturz von Gadhafi entscheidend für die Entwiclung in Libyen gewesen sei.
BHL, der sich bereits vor 40 Jahren in Bangladesh engagiert hatte, dann Jahre lang in Sarajewo oder in Afghanistan für den später ermordeten Massoud, sieht sich nur all zu gerne als Handelnder in einer grossen Sache, hat nichts dagegen, wenn in seinem Zusammenhang an André Malraux erinnert wird und an dessen Einsatz im spanischen Bürgerkrieg, und lässt es sich nicht nehmen, daran zu erinnern, dass in Frankreich schon einmal ein Schriftsteller einen Krieg ausgelöst hat: Francois- René de Chateaubriand, Anfang des 19. Jahrhunderts gegen Spanien - mit dem kleinen Unterschied, dass der wichtigste Autor der französischen Romantik damals für kurze Zeit selbst Aussenminister war.
Ein selbsternannter Aussenminister
Bernard-Henri Lévy hingegen hat sich dieses Amt in einem kurzen, aber entscheidenden Moment Anfang März dieses Jahres einfach selbst angeeignet, und Präsident Sarkozy hat dies zugelassen. Der Philosoph war Anfang März, knapp 2 Wochen nach Ausbruch des Aufstandes in Beghazi, nach Libyen geeilt, hatte dort Kontakte mit den Mitgliedern des Nationalen Übergangsrates CNT geknüpft, am 5. März dann zum Telephon gegriffen, Nicolas Sarkozys Handynummer gewählt und die Frage gestellt: "Bist Du bereit, Vertreter der libyschen Auständischen zu empfangen?" Auch wenn man politisch durchaus nicht auf derselben Linie liegt, duzt man sich, man gehört zur selben Kaste, darf der Leser den transkripierten Dialogen entnehmen. Frankreichs Präsident gab jedenfalls sein Einverständniss für ein Treffen.
Zwei Tage später sass BHL im Elyseepalast dem Staatspräsidenten gegenüber, verhandelte - wie er in seinem Buch ausführlich beschreibt - über den Empfang der Vertreter des libyschen Übergangsrates und erreichte dabei vor allem, dass das französische Aussenministerium und dessen Hausherr, Alain Juppé, über die bevorstehende Initiative nicht informiert wurden.
Drei Tage später überschlagen sich dann die Ereignisse: Die Libyer und BHL sind im Elysee, erklären hinterher der Presse im Innenhof des Präsidentenpalastes, Frankreich habe den Nationalen Übergangsrat CNT offiziell als Vertreter Libyens anerkannt, und Bernard-Henri Lévy verkündet an anderem Ort, vor Kameras und Mikrophonen - von Präsident Sarkozy angeblich dazu aufgefordert - dass Frankreich gezielte Militärschläge gegen die Truppen Gadhafis befürwortet.
Aussenminister Juppé, der schon während des Bosnienkriegs dasselbe Amt bekleidet hatte und dem BHL seitdem ein enormer Dorn im Auge ist, verfiel in eisige Wut, als er an diesem 10. März in Brüssel bei einem Gipfel der EU-Aussenminister von der Initiative des französischen Präsidenten und Bernard-Henri Levys Rolle dabei erfuhr und seinen europäischen Kollegen stammelnd eingestehen musste, dass er selbst von all dem keine Ahnung hatte.
Zur rechten Zeit am rechten Ort
De facto war Benrnard-Henri Levy schlicht und einfach zur rechten Zeit am rechten Ort gewesen. Denn Präsident Sarkozy hatte bereits seit Mitte Februar, unmittelbar nach Ausbruch der Aufstände in Benghazi, den Generalstab der französischen Armee mit Planungen für Militärschläge beauftragt und es geschafft, David Cameron, den britischen Premier, davon zu überzeugen , es ihm gleich zu tun. Und bereits am 25. Februar soll Sarkozy in engstem Kreise den Satz von sich gegeben haben: "Gadhafi muss weg."
In seinem Buch jedenfalls streut BHL Präsident Sarkozy eine gehörige Portion Rosen, beschreibt Frankreichs Präsidenten in der Rolle des Kriegsherrn, u.a. als "einen Block aus Entschlossenheit und Ernsthaftigkeit in dieser Situation". In Vorwahlkampfzeiten für den unpopulären Staatschef ein Geschenk und Balsam auf so manche Wunden.
Ein perfekter Kommunikator für Sarkozy
Im Grunde hat Bernard Henri Lévy über Monate hinweg Präsident Sarkozys Libyenkrieg und gleichzeitig sich selbst bestens verkauft, war für den Staatspräsidenten der willkommene, perfekte Kommunikator, verteidigte den Militäreinsatz über Monate hinweg mit Innbrust und gewohnter Theatralik. In der Tat war Lévy ein Mittelsmann zwischen den Aufständischen und dem Elyseepalast, hat zum Beispiel dem Nationalen Übergangsrat in Libyen so manches Kommuniqué diktiert oder dessen öffentliche oder geheime Reisen nach Paris organisiert, Begegnungen mit Persönlichkeiten organisiert, mit dazu beigetragen, den Libyschen Übergangsrat hoffähig zu machen. Gleichzeitig hat BHL dabei aber nicht vergessen, sich selbst in Szene zu setzen, dank seines eigenen Vermögens die zahlreichen Reisen in den Wüstenstaat organisiert, stets begleitet von einer Truppe von Mitarbeitern, einigen Journalisten, Photographen und Kameraleuten - die Wochenmagazine lieferten die Bilder seines Einsatzes. Und stets im perfekt geschnittenen schwarzen Anzug und dem weit offen stehenden makellos weissen Hemd - sei es mitten in der Wüste, zwischen ramponiertem Kriegsgerät, vor einer Menschenmenge in Bengazi oder mit Aufständischen in Uniform über eine Generalstabskarte gebeugt.
Sogar in den USA ist er für die Sache der libyschen Aufständischen in der beliebten Fernsehsendung von Charlie Rose aufgetreten, und selbstverständlich wird über Bernard-Henri Lévys Libyen-Einsatz in Kürze auch noch eine DVD erscheinen
Mit dem jetzt erschienenen Buch hat der inzwischen 63 jährige Philosoph und unnachahmliche Selbstdarsteller seinem überdimensionalen Ego noch einmal Genugtuung getan.
Die Tageszeitung Le Monde schrieb dieser Tage sehr zutreffend und als Resumée der 640 Seiten starken Erzählung über Lévys libysches Abenteuer: "BHL sieht sich, wie ein neuer romantischer Byron, als Emanzipator eines Volkes. Und dies allen Ernstes."
Und eine gehörige Portion politische Blauäugigkeit
Tatsächlich gab Lévy diese Woche auch in einem Interview zum Besten, Libyen sei erst durch diesen Krieg zu einem Land, zu einer Einheit geworden. Die Waffenbrüderschaft und die gemeinsam erlebte Gefahr während der Kriegshandlungen habe mehr zum Zusammenhalt der Bürger Libyens beigetragen als ein verrückter und dümmlicher Diktator, der vier Jahrzehnte lang systematisch jede Entwicklung einer Zivilgesellschaft in seinem Land verhindert habe. Und BHL glaubt steif und fest daran, dass seine Freunde in Benghazi und Misrata - eine Stadt, die ihn zum Ehrenbürger ernannt hat - den Beweis liefern werden, dass auch gläubige Muslime durchaus in der Lage sind, für Meinungsfreiheit, Demokratie und Gleichheit der Geschlechter einzutreten, spricht in diesem Zusammenhang von einem wahrlich kapitalen Ereignis.
Woher er diese Gewissheit nimmt, bleibt unklar. Er liebe, so sagt er, diese Ärzte, Juristen, Lehrer, Professoren und Ingenieure einfach, die dem Nationalen Übergangsrat angehören und ihr Leben lang die Demokratie nur aus Büchern kannten und sie nun zum allerersten Mal selbst leben und umsetzen können.
Dass der Chef des Nationalen Übergangsrates, Moustapha Abdeljalil, aber klar gesagt hat, die Scharia werde der Grundstein der künftigen libyschen Verfassung sein, wischt Bernard Henri Levy mit der Bemerkung vom Tisch, der Übergangsrat sei keine verfassungsgebende Versammlung. Ausserdem möge man nicht nach wenigen Wochen schon eine Bewegung verurteilen, die versucht, so gut es geht, aus 42 Jahren Diktatur herauszufinden. Schliesslich seien zum Beispiel auf den Sturz von Louis XVI und die französische Revolution erst mal der Terror, dann die Restauration und zwei Konterrevolutionen gefolgt, bevor man rund ein Jahrhundert später erneut die Republik ausrufen konnte.
BHL ist jedenfalls davon überzeugt, verhindert zu haben, dass die französische Trikolore - wie er dies Anfang März gegenüber Präsident Sarkozy geäussert hatte- durch ein Nichteingreifen in Benghazi mit Blut besudelt worden ist, und durch seinen persönlichen Einsatz ein zweites Srebrenica unmöglich gemacht zu haben.