Milo Rau, der in Bern geborene Theatermacher mit internationalem Flair, wütet in der „Zeit“ auf einer ganzen Feuilletonseite gegen den westlichen Umgang mit der Flüchtlingskrise. Titel: "Betroffenheit reicht nicht". Das Engagement von NGO’s und freiwilligen Helfern, die sich um Flüchtlinge auf deutschen Bahnhöfen oder auf der Insel Kos kümmern, bezeichnet er bitterböse als „zynischen Humanismus“ und als „narzistisches Konsumgut und Biografie-Bonus“. Schuld am globalen Flüchtlingselend ist nach Raus Meinung „der Kapitalismus“ und sein „auf strukturellem Rassismus aufbauendes Wirtschaftssystem“.
Einverstanden, die Welt scheint in letzter Zeit tatsächlich aus den Fugen geraten. Ob daran allein oder primär „der Kapitalismus“ die Ursache für die bedrückenden Flüchtlingsströme nach Europa, im Nahen Osten, in Afrika oder nach Nordamerika ist, darüber kann man ja gewisse Fragezeichen setzen. Gäbe es ohne „Kapitalismus“ keinen Bürgerkrieg in Syrien, keine Bombardierungen in Jemen, keine Diktatur in Nordkorea, keine Versorgungsschwierigkeiten in Venezuela oder in Kuba? Keinen Krieg in der Ostukraine? Muss man China zum „Kapitalismus“ oder zum „Sozialismus“ zählen? Wir fragen ja nur.
Immerhin hat der rasende Krisenkritiker Milo Rau eine Antwort parat auf die Frage, wie denn die verelendende Welt vom teuflischen Kapitalismus und dem verlogenen Zugriff der „europäischen Mitleidindustrie“ zu retten wäre. Das Heil brächte seiner Meinung nach „eine Poesie des Herzens, des Verstandes und der Tat“. Eine interessante Formulierung, die Neugier weckt, was damit denn konkret gemeint sein könnte. Doch dazu ist bei Rau nicht der Hauch einer wegweisenden Erklärung oder eines erhellenden Beispiels zu vernehmen. Hier verrät der Autor entschieden seinen eigenen Aufruf, dass Betrofenheit nicht genügt. Oder sollte er mit seinem rettenden Rezept von der „Poesie des Herzens, des Verstandes und der Tat“ die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel meinen?