Man sollte eigentlich meinen, dass es 55 Jahre nach der Eroberung der Palästinensergebiete auf der Westbank und im Gazastreifens durch israelische Truppen höchste Zeit ist, den völkerrechtlichen Status dieser Gebiete endlich einmal verbindlich zu definieren und seine politischen und rechtlichen Schlussfolgerungen daraus zu ziehen.
Wie reagiert Natanyahu auf die Levy-Empfehlungen?
Eine Untersuchungskommission unter Leitung des ehemaligen Richters Edmond Levy hat jetzt der Regierung Netanyahu die Empfehlungen einer längeren Untersuchung vorgelegt und wenn die Regierung bisher auch noch nicht darauf reagiert hat, so hätte die von ihr eingesetzte Levy-Kommission kaum vorteilhafter für sie befinden können: Die 1967 eroberten Palästinensergebiete westlich des Jordan seien „nicht besetzte Gebiete“. Zumindest nicht in völkerrechtlichem Sinn.
Sollte Benjamin Netanyahu sich diese – ihm natürlich äusserst genehme – Interpretation zu eigen machen, dann stehen der Region erneut schwere Zeiten bevor, und dann dürften die ohnehin fast völlig geschwundenen Hoffnungen auf eine Wiederbelebung des Friedensprozesses endgültig abgeschrieben werden. Denn eine der Grundvoraussetzungen eines Friedens wird durch diese juristische Interpretation nachhaltig torpediert.
Gegen die Zweistaaten-Theorie
Die Zweistaaten-Theorie scheitert dann daran, dass Israel seinen Besitzanspruch auf das gesamte Gebiet westlich des Jordan – das historische Palästina – mit solch einer juristischen Formel untermauert.
Die Kommission befindet nämlich (in ihrer Denkweise folgerichtig), dass Israelis oder Juden das Recht haben, sich überall in diesen Gebieten niederzulassen. Ein Recht, das diametral entgegengesetzt ist dem Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat – so, wie er von der internationalen Gemeinschaft schon längst zum festen Bestandteil der sogenannten „Road Map“ für einen Nahostfrieden gemacht worden ist.
Andere Lesarten auch in Israel
Nicht immer haben israelische Juristen die Lage so beurteilt. Selbst das Oberste Gericht hat immer wieder Entscheidungen gegen den Bau neuer Siedlungen oder die Enteignung von palästinensischem Eigentum gefällt. Und es war die ultranationalistische Regierung Ariel Sharons, die den Begriff der „illegalen Siedlungen“ und „illegalen Siedlungsposten“ erfand. Nur was die Regierung beschlossen und abgesegnet hatte, sollte „legal“ sein, alles andere nicht.
Meist war das nur Augenwischerei. Vor allem, um in Washington den Eindruck zu erwecken, Jerusalem handle ja doch nach Recht und Gesetz. Kein Wort davon, dass es das eigene und nicht das international gültige Recht und Gesetz war. So basiert die Annektierung Ostjerusalems oder der syrischen Golan-Höhen auf einem vom israelischen Parlament verabschiedeten Gesetz, obwohl das Völkerrecht (besonders die Vierte Genfer Konvention) klarstellt, dass ein Besatzer nichts am Status von besetzten Gebieten ändern darf.
"Befreite Gebiete" für Ultranationalisten
Schon früh aber entwickelte Jerusalem die von eigenen Juristen abgesegnete Theorie, die Vierte Genfer Konvention sei auf die im Sechstagekrieg eroberten Gebiete nicht anwendbar und wenn Israel trotzdem Teile dieser Konvention beachte, dann freiwillig und als Geste des guten Willens. Die Begründung: Diese Gebiete haben vor und zur Zeit des Sechstagekrieges keinem souveränen Staat gehört und nur wenn sie einen solchen weggenommen worden wären, wäre die völkerrechtliche Voraussetzung für den Status der „Besatzung“ gegeben.
Ultranationalisten begannen damals in Israel, von den „befreiten“ Gebieten zu sprechen, so weit mochten aber selbst nationalistische Regierungen nicht gehen. Die „Westbank“ aber wurde schon früh in „Judäa und Samaria“ umbenannt – wie diese Gegend zu biblischen Zeiten hiess. Und keine israelische Regierung liess Zweifel daran aufkommen, dass man je bereit sein würde, diese Gebiete wieder zu verlassen.
Taten und Worte
Ganz besonders die Regierung Netanyahu tat bisher alles, um eine Aufgabe der Westbank zu verhindern. Sie nahm sogar in Kauf, mit der Ablehnung eines Siedlungsstopps die zaghaften Verhandlungen mit Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas zu sabotieren. Verbal versichert Netanyahu zwar immer seine Friedensbereitschaft, aber seine Taten sprechen eine andere Sprache. Macht er nun die Empfehlungen der Levy-Kommission offiziell zu seiner Maxime, dann vereint er Worte und Taten. Dass er die Empfehlungen ablehnen könnte, dafür sind die Aussichten aber mehr als gering.