Wie auch immer: „Garibaldi“ ist überall. Gerade in diesen Tagen vor dem grossen Jahrestag: Am 17. März feiert Italien den 150. Jahrestag seiner Einigung. Selbst Berlusconi huldigt ihm. Und dies, obwohl Garibaldi ein linker Revolutionär war, ein bekennender Sozialist. Doch an Garibaldi kommt auch der Cavaliere nicht vorbei. „Er ist mein Freund“, sagt Berlusconi. Doch auch Julius Cäsar nennt er seinen Freund.
„Der Superheld“ titelt das Freitagsmagazin der „Repubblica“ letzte Woche. Auf dem Titelbild wird Garibaldi als Superman dargestellt. In Turin wird jetzt ein 15 Millionen-Euro-Museum eröffnet. Da sitzt Garibaldi lebensgross auf seinem weissen Pferd (obwohl es wahrscheinlich schwarz war). Überall finden Veranstaltungen statt. Neue Garibaldi-Bücher werden publiziert. Sogar lutschen kann man ihn: In einem Turiner Nobelrestaurant gibt es das „Gelato Garibaldi“. Das gegenwärtige italienische Polit-Personal eignet sich wenig zur Heldenverehrung. So verehrt man eben einen Toten. Einen Linken, der nichts von Bunga Bunga weiss, und niemanden vor Gericht zerren kann.
Ein Haudegen, ein Verrückter
Garibaldi ist einer der ersten Guerilla-Führer, lange vor Lenin, Mao oder Ho Chi-Minh. Er ist der Che Guevara seiner Zeit – nur erfolgreicher.
Der Mann, der bis zu seinem Tod das Halstuch seiner verstorbenen Frau trägt, ist zwar Italiens Volksheld Nummer eins: Doch er ist eine tragische Figur. Er kämpft, opfert sich, wird gefangen, zum Tod verurteilt, kämpft wieder. Nie kommt er von seinem Weg und seinen Prinzipien ab. Doch er erreicht nur die Hälfte dessen, was er erreichen wollte. Adlige Trittbrettfahrer ernten seine Früchte.
Garibaldi ist ein Haudegen, ein Verrückter auch, ein Energiebündel. Sicher ist er eine der grandiosesten Figuren des 19. Jahrhunderts. Er liebt den Krieg, den Kampf, die Herausforderung. Er ist ein work-a-holic: ein war-a-holic. Doch es ist nicht ein Krieg um des Krieges willen. Er kämpft für eine edle Sache. Dafür nämlich, dass die Bevölkerung selbst bestimmen kann, was sie will. Er kämpft gegen die fremden Mächte, die Italien ausbeuten. Er kämpft für die Einführung der Republik: für eine parlamentarische Demokratie. Und all das in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Viele seiner Ideen sind Ideen der Französischen Revolution. Für ihn sind alle Bürger gleich. Er kämpft für die Rechte der Armen, er zerschlägt die Feudalstrukturen und verteilt das Land den Bauern.
Es wären Filme ohne Happy End
Giuseppe Garibaldi wird am 4. Juli 1807 in Nizza geboren. Schon früh zieht er in den Kampf. Nachdem erste Aufstände gescheitert sind, fährt er 1836 nach Südamerika. Dort kämpft er zunächst in Brasilien für die Unabhängigkeit von Rio Grande do Sul. Und dort lernt er seine brasilianische Frau Anita kennen, die eigentlich Ana Maria heisst.
Italien feiert nicht nur Garibaldi. Zur Heldenverehrung gehört auch Anita. Sie begleitet ihn in seine Kämpfe. Sie ist eine jener Frauen, über die man viele Filme drehen könnte: Sie ist schön, stark, entschlossen. Sie kämpft und schiesst an der Seite ihres Mannes. Sie kann reiten wie ein Gott, sie ist charmant und zärtlich. Doch es wären Filme ohne Happy End.
Mit 28 stirbt sie in seinen Armen
1848 kehrt Garibaldi nach Italien zurück. Überall schart er Freiwillige um sich. Sie tragen rote Hemden. Deshalb werden sie Rothemden genannt: Camicie rosse. Garibaldi kämpft im Norden Italiens gegen die Habsburger, im Süden gegen die spanischen Bourbonen. Er siegt und wird geschlagen. Er ist Anführer der Revolutionsarmee in Rom. Er verliert und muss flüchten. Zahlreiche seiner Rothemden sterben.
Anita erkrankt an Malaria. Sie hatte vier Kinder geboren. Jetzt ist sie mit dem fünften Kind schwanger. Sie ist 28 Jahre alt. Sie stirbt in Garibaldis Armen in Ravenna. Der Feldherr gibt auf, dankt ab und flieht nach New York. Doch er kommt wieder. Jetzt wird er endgültig zum Mythos. Auf Sizilien, bei Marsala, unterstützt er mit tausend Freiwilligen einen Bauernaufstand – und wirft die Bourbonen von der Insel. Im legendären „Zug der Tausend“ („Spedizione dei Mille“) befreit er Süditalien und steht plötzlich vor Rom. In fast allen italienischen Städten erinnert heute eine „Via dei Mille“ an diesen Siegeszug, der von der Bevölkerung stürmisch bejubelt wird.
“Obbedisco“ – ich gehorche
Doch die Popularität Garibaldis macht einigen Adligen im Norden zu schaffen. In Turin, im Königreich Piemont-Sardinien regiert König Vittorio Emanuele II. mit seinem Ministerpräsidenten Camillo Benso Conte di Cavour. Beide wollen zunächst kein vereintes Italien. Beide fürchten, dass eine vereinte Halbinsel eine Republik würde, so wie Garibaldi es will. Vittorio Emanuele aus dem Hause Savoyen bräuchte es dann nicht mehr.
Doch der König und der Graf wissen auch: Die Vereinigung ist nicht mehr zu stoppen – und Garibaldi wird stärker und stärker. So greifen Vittorio Emanuele und Cavour zu einer List: Plötzlich befürworten sie ein vereintes Italien – vorausgesetzt, es wird eine Monarchie. Jetzt unterwirft sich Garibaldi dem König. „Ich gehorche“ sagt er: „Obbedisco“.
Einerseits hat Garibaldi gewonnen: Italien wird vereint. Doch in einem zweiten, wichtigen Punkt hat er verloren. Italien wird keine Republik, sondern eine Monarchie – ein Land, in dem weiterhin eine kleine Kaste Adliger und Reicher dominiert. Ein Land auch, das die Feudalstrukturen im Süden nicht antastet.
Er kann es nicht lassen
Garibaldi hat die blutige Drecksarbeit zur Einigung Italiens gemacht. Jetzt stehlen ihm die Adligen aus Turin den Sieg. Sie funktionieren Garibaldis Errungenschaften zu ihren Gunsten um. Betrübt nimmt der Feldherr am 17. März die Proklamation des Königsreichs zur Kenntnis. Der Beitrag Vittorio Emanueles und Cavours zur Vereinigung Italiens wird noch heute weit überschätzt.
Das neue Königreich ist noch nicht das Italien von heute. Es fehlt Venetien, wo noch immer die Habsburger herrschen. Und es fehlen vor allem Rom und der vom Papst beherrschte Kirchenstaat in Zentralitalien. Garibaldi kann es nicht lassen. Wieder zieht er mit Freiwilligen in den Krieg – diesmal gegen den Papst. Und wieder: Die Adligen fürchten, dass ein Sieg Garibaldis die Republik bringen könnte. Jetzt zieht der König gegen Garibaldi in den Kampf. In Aspromonte streckt der Feldherr die Waffen und wird festgenommen. Als eine riesige Protestwelle durchs Land geht, wird er freigelassen.
Und wieder kämpft er für „sein“ vereintes Italien: diesmal für die Befreiung Venetiens. Jetzt wird er auf die Insel Caprera verbrannt. Dort, im Nordosten Sardiniens, besitzt er ein Haus. Doch er bleibt nicht. Nun zieht es ihn in den deutsch-französischen Krieg von 1870/71. Er kämpft auf französischer Seite und wird Befehlshaber eines internationalen Korps. Er bleibt der einzige Kommandant auf französischer Seite, der nie geschlagen wird.
Er stirbt an einem 2. Juni – was für ein Zufall
Am Schluss seines Lebens ist er verbittert. Zwar hat er wesentlich dazu beigetragen, dass die fremden Mächte aus Italien verschwanden und der Papst seinen arroganten weltlichen Herrschaftsanspruch aufgeben musste. Doch den Kampf für die Republik hat er verloren. Viele Jahre lang ist Garibaldi Freimaurer. Dann entpuppt er sich mehr und mehr als Sozialist. Er lobt Marx und nimmt 1867 in Genf an einem internationalen sozialistischen Friedenstreffen teil. Auf Caprera wird er krank. Seit einigen Jahren lebt eine neue Frau an seiner Seite. Die Reiseschriftstellerin Marie Esperance von Schwartz. Sie ist englische Staatsbürgerin deutscher Herkunft. Sie sorgt für ihn und seine Kinder. Offenbar ist sie seine Geliebte. Ihr übergibt Garibaldi seine Memoiren zur Veröffentlichung. Von Schwartz lässt sich später in Ermatingen (Kanton Thurgau) nieder, wo sie stirbt.
Welch ein Zufall. Garibaldi stirbt am 2. Juni 1882. Der 2. Juni ist heute der italienische Nationalfeiertag. Nicht wegen Garibaldis Todestag. Am 2. Juni 1946 haben die Italiener in einer Volksabstimmung die Monarchie abgeschafft und die Republik eingeführt. Also: Auf den Tag genau 64 Jahre nach seinem Tod ist Garibaldis Traum endlich wahr geworden.
Vielleicht, vielleicht
Was wäre gewesen, wenn er nicht nachgegeben und sich nicht dem König unterworfen hätte? Wenn es kein „obbedisco“ gegeben hätte? Er hatte das Volk auf seiner Seite. Seine Rothemden hätten leidenschaftlich gegen den wenig beliebten Savoyer-König gekämpft. Vielleicht wäre Italiens Einigung dann später erfolgt: dann aber vielleicht als Republik. Und vielleicht auch wären dann die Feudalstrukturen im Süden zerschlagen worden – Strukturen, die heute hauptverantwortlich sind für die Unterentwicklung im Süden und das Mafia-Unwesen. Vielleicht, vielleicht.
Siehe auch: http://www.journal21.ch/ein-hochpolitischer-liebesroman