Das Internet ist die Realität. Da, wo es diese Einrichtung nicht gibt, gibt es auch andere Realitäten nicht – jedenfalls für den Aussenstehenden. Seit fünf Tagen gibt es in mindesten 100 grossen und kleinen Städten Irans gewaltige und gewaltsame Proteste. Zu Beginn dieser Unruhen, als es noch Internet gab, konnten wir viel über die Heftigkeit, Wucht und den Witz dieser Revolte erfahren. Bilder, Audios und Texte vermittelten uns genug Brauchbares, um die Dimension dieser Ereignisse einschätzen zu können.
Auch der Korrespondent weiss nichts
Es dauerte aber nur 40 Stunden. Seitdem erfährt das breite Publikum im Iran ebenso wie im Ausland nichts oder fast nichts, was dieser Tage in der Islamischen Republik geschieht.
Am Dienstagabend wurde der ZDF-Korrespondent direkt aus Teheran zugeschaltet. Er sollte die Frage des Moderators beantworten, was im Lande los sei. Der Journalist vor Ort des Geschehens sagte aufrichtig, er wisse es nicht, da das Internet hermetisch abgeschaltet sei. Auch von seiner eigenen Erfahrung könne er nicht berichten, weil seine Gesprächspartner Angst hätten, vor der Kamera etwas zu erzählen.
Um nicht ganz zu schweigen, wiederholt er die im Ausland verbreitete Meldung von Amnesty International, wonach bis zu jener Stunde 106 Personen von Sicherheitskräften erschossen worden seien. Der Zuschauer ist an diesem Abend wieder einmal der Zeuge, wie selbst ein TV- Mann vor Ort Opfer einer gewollten Ahnungslosigkeit wird. Dieser Zustand der Unwissenheit und Unkenntnis wurde generalstabsmässig geplant und minutiös in die Tat umgesetzt.
Preisverdoppelung über Nacht
Genau um 24 Uhr gab die Regierung am Donnerstag vergangener Woche bekannt, ab sofort würden Benzinpreise verdreifacht bzw. verdoppelt. Je nachdem, ob man es sich auf dem freien Markt oder rationiert besorgen muss. Das schlafende Volk erfährt von dieser Preiserhöhung nichts. Und als es aufwacht, ist es Freitag, der Feiertag. Es dauert Stunden, bis sich herumspricht, was in der vergangenen Nacht geschehen ist.
Erst am Abend dieses Feiertages beginnen die ersten Proteste. Sonderbarererweise in den Städten der Erdölprovinz Khusestan, an der Grenze zum Irak. Am Samstag, dem ersten Arbeitstag der Woche, werden aber alle erfahren, erleben und erleiden, was es heisst, wenn plötzlich, buchstäblich über Nacht, der Preis des wichtigsten Energieträgers des Landes um 300 bzw. 200 Prozent teurer wird.
Schon am Vormittag beginnen in Dutzenden Städten die Proteste, am späten Nachmittag und am Abend sind 100 Städte und Ortschaften im ganzen Land Schauplätze gewaltiger, aber noch nicht gewaltsamer Demonstrationen. Die Bilder und Texte, im Nu in der ganzen Welt verfügbar, vermitteln den Iranern, im Land ebenso wie im Ausland, dass etwas Grundsätzliches im Gang ist.
Die Rache-Definition des Chefredaktors
Doch das wird nicht lange dauern. Am Samstagabend wird das Internet ausgeschaltet. Und zwar ganz hermetisch. Nicht einmal die Nachrichtenagentur Fars, die den Revolutionsgarden gehört, war zwei Tag lang erreichbar. Fünf Tage danach kann man nur jene Medien erreichen, die dem harten Kern der Macht ganz nah sind. Wie zum Beispiel Keyhan, dessen Chefredakteur von Ali Chamenei ernannt wird. Er heisst Hossein Schariatmadari und rühmt sich, von der ersten Stunde der Revolution den Geheimdiensten angehört und bekannte Intellektuelle im Gefängnis vernommen zu haben. Seine Sprache sei wie Beton, schrieb einmal ein westlicher Journalist, der ihn mehrere Stunden Interviewt hatte. Am Mittwoch schrieb Schariatmadari in seinem Leitartikel, Rache sei ein international anerkanntes Recht und wir sollen dieses Recht allen Verhafteten der letzten fünf Tage zukommen lassen, am Galgen.
Die iranische Regierung ist seit fünf Tagen praktisch die einzige Quelle, von der die Welt erfahren soll, was im Lande geschieht. Am Dienstagabend, während der ZDF-Korrespondent direkt aus Teheran seine Ahnungslosigkeit gestand, gewährte Revolutionsführer Ali Chamenei den Geschäftsleute ein Audienz und verkündete den Sieg.