Die Gegner der Durchsetzungsinitiative rechnen den Befürwortern die brachiale Aushebelung demokratischer, rechtsstaatlicher und humanitärer Prinzipien vor. Diese Vorwürfe sind stichhaltig, scheinen indessen die Adressaten nicht sonderlich zu beeindrucken. Sie knüpfen an die Vorlage bestimmte Erwartungen von einer Stärke, an der Einwände abprallen.
Es könnte hilfreich sein, die Initiative mal nicht hinsichtlich der angerichteten Schäden zu diskutieren, sondern hinsichtlich des Nutzens, den sie in den Augen der Befürworter stiftet.
Subjektivität als Norm
Der Nutzen der Durchsetzungsinitiative leitet sich aus der Sicht ihrer Unterstützer ab von der gefühlten Kluft zwischen einer als ideal ausgemalten Schweiz und ihrer subjektiv wahrgenommenen Realität. Ob das Ideal nostalgisch oder utopisch ist, spielt keine Rolle, auch, ob es sich bei der Realität um eine zwar problembeladene, aber die menschenmöglich beste handelt. Politisch meinungsbildend sind die persönlichen Einschätzungen.
Für die Befürworter leben zu viele Ausländer in der Schweiz, von denen zu viele die Sozialkassen belasten und zu viele kriminell sind. Deshalb entspricht die Durchsetzungsinitiative im Pro-Lager erstens einer Notwendigkeit und zweitens – weil an der Urne legitimiert – den demokratischen, rechtsstaatlichen und humanitären Grundsätzen.
Das Grosse und Ganze
Diese Auffassung verbindet sich mit dem helvetisch verstandenen Gastrecht, das verliert, wer den im Gastland herrschenden Gepflogenheiten den Respekt verweigert. Dass der den Ausländern zugebilligte Gästestatus in Widerspruch gerät zur Integrationsforderung, ist für die Bejaher der Initiative eine der zahlreichen unerheblichen Subtilitäten.
In den Blick genommen wird das bedrückende Grosse und Ganze, was keine weitere Differenzierung benötigt als die grobe in Schwarz und Weiss. Das erleichtert den Befund, die Ausländer- und Asylpolitik habe zu einem die einheimische Bevölkerung ruinierenden Chaos geführt, verursacht von einem schlappen Bundesrat, einem bedämmerten Parlament, einer kuscheligen Justiz und von den samt und sonders linksgedrehten Medien.
Der Zweck heiligt die Mittel
Den Verantwortlichen für die zum Himmel schreiende Entwicklung muss endlich, so drängen die Anhänger der Initiative, ein Riegel geschoben werden. Die Not gebietet Härte. Was sein muss, muss sein. Nach allen Seiten sorgfältig austarierte Lösungen schaffen bloss Schlupflöcher, die mit dem Volksbegehren endlich geschlossen werden. Der Zweck heiligt die Mittel.
Aus dieser Optik garantiert die Durchsetzungsinitiative Ordnung und Sicherheit als Bedingungen für Freiheit und Wohlstand. Der Nutzen ist klar. Er besteht für die schweigende Mehrheit zusätzlich darin, «denen da oben» zeigen zu können, wo der Bartli den Most holt.
Lufthoheit über Stammtischen
Dem Volkszorn und der bis zum Hass gesteigerten Angst vor Ausländern, weil sie uns um Hab und Gut bringen und an Leib und Leben gefährden, ist mit der Abstraktheit staatspolitischer und rechtstheoretischer Erörterungen nicht beizukommen. Gewichtiger sind die individuellen Befürchtungen aufgrund eigener Erfahrungen sowie kolportierter Schauergeschichten und Verschwörungsmärchen.
Wer unter den politischen Protagonisten es versteht, diffuse Befürchtungen und paradiesische Hoffnungen mit handgestrickten und hemdsärmligen Antworten zu bedienen, hat über den Stammtischen die Lufthoheit gewonnen. Wo der eigene Durchblick fehlt und mit ihm die Bereitschaft, Vorurteile gegen Urteile auszuwechseln, wirkt die demagogische Vereinfachung der lästigen Komplexität vertrauenserweckend als heimelige Konkretheit.
Misstrauen statt Freudentaumel
Die Durchsetzungsinitiative begeistert als schlauer Bauplan für eine heile Schweiz. Dabei wäre es von Vorteil, sich auf einen helvetischen Charakterzug zu besinnen, nämlich aufs Misstrauen. Es müsste zur Prüfung ermuntern, ob alles Gold ist, was in der Durchsetzungsinitiative berauschend glänzt.
Der Freudentaumel würde mit der Ernüchterung enden und mit der Landung auf dem Boden der Wirklichkeit, also dort, wo sich die Gegner der Initiative bereits befinden.
Fatale Illusion
Die Befürworter mögen stolz sein auf ihre Gnadenlosigkeit, mit der sie in die Schlacht ziehen wie einst die alten Eidgenossen. Aber der heutige Stolz beruht auf der fatalen Illusion, Ausweisung bedeute Ausschaffung. Mitnichten. Das Ja zur Initiative lässt die Zahl der wegen ihrer Kriminalität ausgewiesenen Ausländer enorm anwachsen. ohne jedoch im selben Umfang die Ausschaffung zu bewirken.
Die Herkunftsländer zerstören die Illusion, weil sie Verurteilte bloss ausnahmsweise aufnehmen. Die Schweiz muss fertig werden mit einem stetig sich vergrössernden Heer von Ausgewiesenen. Das wird einerseits eine teure Sache, weil es Auslieferungsgefängnisse braucht, und anderseits eine verhängnisvolle, weil Ausgewiesene untertauchen und für ihr Überleben auch in die Kleinkriminalität abrutschen.
Unerwünschte Zustände
Teuer wird die Annahme der Initiative überdies, weil die Strafverschärfungen die Prozesse in die Länge ziehen. Ausländische Täter werden sich hüten, ein Geständnis abzulegen, um damit das beschleunigte Verfahren der Strafbefehle zu ermöglichen.
Als Folge der Strafverschärfungen werden die Anzeigen wegen häuslicher Gewalt massiv zurückgehen. Allein die Furcht, ein Familienmitglied könnte unters Damoklesschwert der Ausschaffung geraten, wird die Opfer und ihre Angehörigen vom Gang zur Polizei abhalten. Für eine Erhöhung der Dunkelziffer sorgt spätestens das Machtwort des Clans.
Unselig ist die Versuchung, mit dem Entscheid an der Urne Denkzettel zu verpassen. Sie sind für die Politik und die Medien zu pauschal. Das allgemeine Unbehagen liefert keine brauchbaren Anhaltspunkte für Änderungen. Denkzettel nähren Enttäuschungen und Frustrationen.
Programmiertes Scheitern
Die Befürworter können darüber lachen oder auch nur mit den Schultern zucken, dass die Initiative die hier wohnenden Ausländer vorsorglich kriminalisiert, Bagatelldelikte mit drakonischen Strafen belegt, den Gerichten die Einzelfallwürdigung verbietet und aufs Völkerrecht pfeift. Das alles mag als leere Drohung sozialromantischer und formaljuristischer Bedenkenträger abgetan werden.
Aber die zum Ja Bereiten sollten etwas aus dem Marschschritt geraten und Luft holen für den Lernschritt, dass die Initiative den erwarteten Nutzen nicht stiftet. Es kommt zu keinen Massen-Ausschaffungen. Das Land wird nicht sicherer. Es entsteht keine heile Schweiz. Der böse Bauplan scheitert.
Die Zweckdienlichkeit der Durchsetzungsinitiative ist miserabel, der Preis mit der Zerstörung der Schweiz ein Wahnsinn. Es kann doch nicht sein, dass wir uns selber vom Rechtsstaat in einen Unrechtsstaat ausschaffen.