Am 5. Juni 2016 ist Abstimmungs-Wochenende. Unter anderen Themen soll mit der Milchkuhinitiative (Initiative für eine faire Verkehrsfinanzierung) erreicht werden, dass 1,5 Milliarden Franken jährlich zusätzlich im Strassennetz verbaut werden können. Diese Mittel würden anderswo fehlen, wo sie nachhaltiger verwendet werden könnten. In Zeiten der Sparübungen eine fatale Idee.
"Vorwärts kommen" - wer genau ist gemeint?
Ich bezeichne mich zwar nicht als Kuh, auch wenn ich mich – angesichts der Milliardensubventionen für unsere Landwirtschaft – manchmal schon etwas als Milchkuh vorkomme. Doch diesmal geht es nicht um die Kühe unserer Bauern, auch wenn im Initiativ-Komitee mit Adrian Amstutz (Präsident ASTAG), Emil Frey (Emil Frey AG), Ulrich Giezendanner (CEO Giezendanner Transport AG) wortgewaltige Exponenten der SVP und der Bauernlobby das Sagen haben. Sie werden tatkräftig unterstützt von Hans-Ulrich Bigler (Direktor Schweiz. Gewerbeverband), Rolf Hartl (Präsident Erdölvereinigung), Martin Haefner (VR Präsident AMAG AG) und anderen.
Dass ausgerechnet Ueli Maurer, dem SVP-Bundesrat, die Aufgabe zustand, die ablehnende Bundesratshaltung zur Initiative zu kommunizieren, muss in ihm wohl unterschiedliche Gefühle geweckt haben. Neben dem Bundesrat und dem Parlament lehnen auch alle 26 Kantonsregierungen diese Initiative ab – auch wenn sie unter dem vielsagenden Motto „Vorwärts kommen!“ segelt. Neben der SVP sprechen sich alle übrigen Parteien gegen die Initiative aus.
"Damit der Verkehr fliesst" - tönt gut, aber einseitig gemeint
Das Ganze ist etwas zu durchsichtig. Da lancieren der Autogewerbeverband Schweiz (AGVS) und Auto Schweiz (Vereinigung der Automobilimporteure) diese Initiative, um mit einer „fairen“ Verkehrsfinanzierung die Benachteiligung der Strasse zu erreichen, „da die Schweizer Verkehrspolitik falsch läuft und es so nicht weiter gehen kann“. Darüber, was fair ist und darüber, was falsch läuft, kann man getrost verschiedener Meinung sein.
Der Strassen- und Autolobby darf es nicht verwehrt sein, für ihr Anliegen zu kämpfen. Das Argument, „damit der Verkehr fliesst und die Sicherheit auf Schweizer Strassen gewährleistet ist“ tönt zwar gut, doch wissen wir alle, dass da ganz andere Faktoren involviert sind und das Versprechen auch bei Annahme der Initiative niemals eingehalten werden könnte.
Die Initianten beanstanden, dass heute die Hälfte der Mineralölsteuer zweckentfremdet, nicht in die Strasseninfrastruktur investiert würde. Da drängt sich die Umkehrfrage auf: wie ist das jetzt beim Bau der zweiten Röhre durch den Gotthard, die ausschliesslich dem Autoverkehr zugutekommt? Wie viel von den 2,8 Milliarden Franken bezahlt der Automobilist? Einen Klacks. (In diesem Zusammenhang darf allerdings daran erinnert werden, dass der Bau dieser zweiten Röhre hunderte von Millionen Franken absorbiert, die sonst zweckmässiger in die Sanierung der gefährlichsten Unfall- und Staustellen im Unterland hätten verwendet werden können).
Wer ist da auf einem Auge blind?
Bei Annahme der Initiative würden zum Beispiel im Bildungsbereich bereits nächstes Jahr rund 400 Millionen Franken fehlen, erinnerte Ueli Maurer mit gewohnt markigen Worten an der Pressekonferenz im März 2016. Das Sparprogramm des Bundes sieht bekanntlich vor, ab 2017 jährlich rund eine Milliarde Franken einzusparen – dies wird ja an erster Stelle von der SVP und FDP gefordert. Wer ist da auf einem Auge blind?
Die besten und nachhaltigsten Investitionen, die sich unser Land leisten soll, sind jene in die Bildung unserer Jugend. Mehr denn je ist unsere Wirtschaft von der Topausbildung des Nachwuchses abhängig. Von neuen, cleveren Lösungen, die an unseren Hochschulen im Verbund Bildung/Wirtschaft ausgetüftelt werden, hängt ein Grossteil des wirtschaftlichen Erfolgs und des gesellschaftlichen hohen Lebensstandards der kleinen Schweiz ab. Vor diesem Hintergrund wirkt die Diskussion um die neue Verwendung der Mineralölsteuer reichlich weltfremd.
Somit ist auch das erklärte Ziel der Initiative – zu dessen Komitee übrigens auch Petra Gössi und Gerhard Pfister, die beiden designierten Präsidenten der FDP und CVP gehören – nicht nur kurzsichtig, sondern prioritätenmissachtend.
Seriösere Konzepte in der Pipeline
Wohl nicht überall bekannt ist die Tatsache, dass im Parlament die Vorlage „Fonds zur Finanzierung der Nationalstrassen und des Agglomerationsverkehrs“ (NAF) liegt. Diese sieht – im Gegensatz zur Milchkuhinitiative – ein konkretes Ausbauprogramm zur Behebung der Engpässe im Strassennetz vor. Auch eine Aufstockung der Mittel für die Strassenkasse ist darin vorgesehen. Übrigens auch eine Erhöhung der Treibstoffpreise ist geplant – darüber wird ja seit Jahren gestritten. Der Mineralölsteuerzuschlag sollte ursprünglich um 15 Rappen je Liter erhöhte werden – angesichts der rekordtiefen Erdölpreise eine geradezu „geschenkte“ Finanzierungsquelle.
Die gleichen Kreise, die nun für die Milchkuhinitiative weibeln, sind jedoch erfolgreich am Lobbyieren, damit dieser Zuschlag verwässert – wenn möglich ganz fallen gelassen wird. So wird momentan noch von 4 Rappen je Liter gesprochen…
Etwas unverständlich bleibt die Tatsache, warum es den Bundespolitikern nicht gelungen ist, die NAF-Abstimmung zeitlich vor die Milchkuh-Initiative zu schieben oder sie gar als Gegenvorschlag gleichzeitig mit ihr zur Abstimmung zu bringen.
Simple Slogans, kompliziertere Wirklichkeit
„Unsere Strasseninfrastruktur ist an vielen Orten komplett überfordert und muss dringend den heutigen und künftigen Verkehrsverhältnissen angepasst werden“, schreibt Urs Wehrli, Zentralpräsident des AGVS. Auch wenn wir alle wissen, dass dieser Zustand bei einer wachsenden Bevölkerungszahl und Autoflotte eigentlich den Normalfall darstellt, müsste doch ehrlicherweise gerade in der Schweiz berücksichtigt werden, dass Strassenbauvorhaben, insbesondere grössere, einschneidende, sehr oft längst pfannenfertig geplant vorliegen. Sie verzögern sich nicht wegen fehlender Finanzen, sondern zufolge zeitraubender Anfechtungen und
Rechtsmittelausschöpfungen Direktbetroffener. Paradebeispiel ist der zusätzliche Gubristtunnel, dem zu zweifelhafter Berühmtheit gelangten schweizerischen Stauschwerpunkt, dessen Planung seit 2001 läuft. Doch mit einfachen Slogans, dass wissen in Politik und Gesellschaft mittlerweile fast alle, lassen sich manchmal Abstimmungen gewinnen.
Wenn wir das gewusst hätten!
Oft, wenn in unserem Land nach umstrittene Abstimmungen die Folgen des Stimmentscheides für alle an Haut und Haar spürbar werden, rufen jene Kreise, die dafür verantwortlich sind: „Wenn wir das gewusst hätten, hätten wir anders gestimmt!“ Nicht nur bei der Zuwanderungsinitiative war dies so. Leider gibt es dagegen kein Rezept, denn das genaue Studium des roten Abstimmungsbüchleins ist nicht jedermanns Sache.
So auch in diesem Fall. Bei Annahme dieser Initiative müssten die zusätzlichen Finanzen anderswo eingespart werden. Die Konferenz der Kantonsregierungen (KDF) fürchtet nicht zu Unrecht, der Bund würde die finanziellen Lasten auf die Kantone überwälzen. Vor diesem Hintergrund und der Tatsache, dass 19 von 26 Kantonen für 2016 bereits mit Defiziten rechnen, warnt die KDF laut und deutlich vor unüberlegten Schnellschüssen. Bei einem Ja würden die Kantone die Steuern erhöhen oder Leistungen abbauen, spürbar.
Nimmt man das Beispiel des Kantons Zürich, wo der Regierungsrat im April 2016 mit einem ganzen Strauss von geplanten Leistungskürzungen zum Budgetausgleich aufwartete und alle Betroffenen gleichermassen erschreckte, kann man sich die langen Gesichter lebhaft vorstellen, müssten diese Abstriche noch zusätzlich erhöht werden.
Lauthals fordern bequemer als liefern
Ein zeitgemässes Phänomen ist die Tatsache, dass viele – Politiker, Wirtschaftsvertreter und Bevölkerung - momentan von den andern nur noch fordern, lauthals und penetrant. Dabei geht eine guteidgenössische Qualität in Vergessenheit, die des Gebens und Nehmens. Beispiel: Zwar beschloss der Souverän vor mehr als zehn Jahren, das Autobahnnetz neu zu definieren und die Zuständigkeit des Bundes zu erhöhen. 2013 verweigerte das gleiche Volk die dafür notwendigen zusätzlichen Mittel, die mit der Erhöhung der Autobahnvignette teilweise hätten erbracht werden sollen.
Angesichts dieser Erfahrungen wäre einer Kompromisslösung der Verkehrskommissionen zuzustimmen, die von allen Beteiligten ein gewisses Entgegenkommen erfordert. Egoistisch den ÖV gegen den Privatverkehr auszuspielen ist doch eher einfältig. Schliesslich hat das oben erwähnte Stimmvolk ja auch einer breit abgestützten Finanzierung der Bahninfrastruktur zugestimmt. Ein vergleichbares Kompromisspaket dürfte uns weiterbringen als unkoordinierte Einzelvorstösse, die allzu offensichtlich Einzelinteressen zugutekommen sollen.