Stolz, gross und unabhängig will er sein Land machen. Zur Führungsnation der muslimischen Welt soll die Türkei sich aufschwingen. Erdogan sieht in diesem Ziel nicht eine politische Option, sondern eine Berufung. Er glaubt sich von Gott auserwählt für eine weltgeschichtliche Mission, und er hält mit dieser Überzeugung nicht hinter dem Berg.
Mit seinem plakativ-religiösen Sendungsbewusstsein steht Erdogan als Politiker nicht allein. Wie alle gewählten Staatslenker dieses Typs hat er das Problem, dass der „höhere Auftrag“ sich mit Wahlen und Plebisziten im Grunde schlecht verträgt. Eine gottgegebene Position benötigt nun mal keine demokratische Legitimation. Allein die Akklamation der Untertanen wäre ihrer würdig.
Das türkische Volk hat dem selbsternannten Sultan diese devote Bestätigung verweigert. Nach wochenlanger einseitiger Indoktrination mit weitgehender Gleichschaltung der Medien, nach einer in Teilen dubiosen Abstimmung – so wurden etwa die Regeln mitten im Spiel geändert – kamen die Gegner der Verfassungsreform auf sensationelle 48,6 Prozent. Eigentlich ist Erdogan damit als „Reis“demontiert. Mit seinem Zittersieg ist er auf das Format eines ganz normalen Politikers zurückgestutzt.
Das knappe Plebiszit müsste Anlass sein, nun entsprechend „normale“, also abwägende, integrierende und kompromissfähige Politik zu betreiben. Doch dafür scheint der Präsident kaum in der Lage. Lediglich ein paar versöhnliche Sätze an die Adresse seiner Gegner hat er gesagt. Sie gingen unter im Lärm seiner Hetzreden. Offensichtlich lebt der Mann in einer schwarzweissen Welt: Entweder man folgt ihm bedingungslos, oder man gehört zu den „Verrätern und Terroristen“.
Nun hat der „Auserwählte“ also 51,4 Prozent geschafft. Er ist blamiert, und trotz Siegesposen weiss er das. Gegen den Anschein ist seine Macht in Frage gestellt. Angeschlagene Boxer sind gefährlich. Erdogan ist ebenso rachgierig wie machtbesessen. Wer weiss, gegen wen alles er das angestrebte Machtmittel der Todesstrafe so dringend in die Hand bekommen will! Dass die Justiz ihm keine Steine in den Weg legen wird, dafür haben er und die 51,4 Prozent gesorgt.
Die Türkei stand am Scheideweg und ist nun in Richtung Diktatur unterwegs. Ob sie noch einmal umkehren kann?