Atemlos verfolgt man die Entfaltung der Verhängnisse, Verstrickungen, Geheimnisse, Verhältnisse, Süchte, Eitelkeiten der Familie Weston, die sich anlässlich eines Begräbnisses in der exorbitanten Hitze des ausgedehnten, topfebenen, auch heute noch dünn besiedelten ehemaligen Landes der Osage (Oklahoma) zusammenfinden.
Alptraum im Flachland
Violet Weston (Meryl Streep), medikamentensüchtig, enthemmt, einsam, spielt umwerfend, die DarstellerInnen der grösseren und kleineren Figuren neben ihr– die drei Töchter (Julia Roberts, Julianne Nicholson und Juliette Lewis), die Männer, die Enkelin - sind absolut überzeugend.
Dem Drehbuch liegt das gleichnamige Bühnenstück von Tracy Letts zugrunde (New York 2007), das am New Yorker Broadway 650 mal aufgeführt worden ist. Bei der Produktion der Kinoadaptation war George Clooney mit dabei. Und John Wells, Schauspieler, Theater-, Film- und Fernsehproduzent, Autor und seit einigen Jahren – wie in diesem Fall – Filmregisseur, weiss, wie man kaputtes Familienleben interessant inszeniert.
In den amerikanischen Plains, im prächtigen Haus der Westons, entfaltet sich der "American Alptraum".
Der andere Brennpunkt
Unauffällig bleibt der andere, sozusagen verdunkelte Brennpunkt der nordamerikanischen Ellipse. Er wird hierzulande auch von der medialen Rezeption von Wells Film wenig beachtet: Johnna, die junge Cheyenne (Misty Upham), von Violets Gatte Beverly als Hausmädchen und Stütze engagiert. Violet reagiert zunächst nur mit einem Anflug verächtlicher Eifersucht auf ihre Präsenz – die in der Folge beständig, aber marginal bleibt, gleich der das Haus der Westons weit umgebenden flachen Landschaft, des Osage County, welches seine indianischen Ureinwohner einst das ‘Zentrum der Erde’ nannten.
„She’s a stranger in my house. There’s an Indian in my house,“ klagt Violet über Johnna, sie erlebt sie als Fremdkörper. „I don’t know what to say to an Indian.“ Man nennt sie heute „Native Americans, Mama“, verbessert die älteste Tochter Barbara (Julia Roberts). „They aren’t any more native than me“, gibt die Mutter zurück.
Warum sind wir hier?
Mag sein, dass die Familie Weston gerade wegen ihrer Egozentrik und ihrer Unverbundenheit mit dem ihnen fremden Boden verrückt geworden ist („the Plains … a spiritual affliction“). Auf dem Weg zur Familienversammlung fragt sich Barbara, welche Idioten hier überhaupt hätten siedeln wollen. „We fucked the Indians for this?“ „Well, genocide always seems like such a good idea at the time“, antwortet, das Auto gelangweilt durch die Weiten steuernd, ihr Partner.
Der Neffe Charles, den man „Little Charles“ nennt, hat aus eigener Schuld das Begräbnis verpasst. Er nimmt den Bus. Wegen seiner Verspätung ist er unerklärlich verzweifelt und bricht an der Busstation in Tränen aus. Im Hintergrund sieht man eine Wandmalerei: ein Indianer im Federschmuck.
Ein Vexierbild
Es ist wohl richtig und vielleicht sogar beabsichtigt, dass die Bedeutung von Siedlungsgeschichte und Ureinwohnern der Aufmerksamkeit des Publikums, das von den Familienwirren, Wells’ Inszenierung und der Brillanz der Stars im Osage County geblendet ist, entgehen kann. Die Zeugen des dramatischen Geschehens auf der Leinwand befinden sich dann in einem ähnlichen Zustand wie die exzentrischen Mitglieder der porträtierten Upper-Middleclass-Gemeinschaft: sie übersehen, was das Vexierbild, das sie bieten, auch noch zeigt. Denn um die ganze ephemere Aufregung herum breitet sich mit seinen Feldern und Wassern stumm und ruhig das alte Indianerland aus. Und im Hause waltet Johnna, meistens ebenfalls stumm und ruhig. Die zur Weston-family gehörenden Protagonisten ihrerseits – welche der Regisseur übrigens nur mit US-Amerikanern besetzt haben wollte – wirken ruhiger, je näher sie der Trauer über das Untergegangene sind.