Ein paar Tage Ende Juni reichten aus, um erneut jener Bruchlinien gewahr zu werden, die die israelische Gesellschaft seit Jahrzehnten durchziehen.
Drei Themen beherrschten die Frontseite der Tageszeitung „Ha’aretz“: die Breitseite des ehemaligen Ministerpräsidenten Ehud Barak gegen die Regierung Netanyahu, der Prozess gegen den israelischen Soldaten Elor Azaria und der Protest der Orthodoxen gegen gemeinsames Beten von Männern und Frauen an der Klagemauer.
Bei aller Verschiedenheit machten sie deutlich, was das Land umtreibt. Die Liste der Vorwürfe, die Barak gegen seinen Nachfolger im Amt erhebt, ist lang. Israel zu einem Apartheid-Staat zu machen, ist einer davon, durch seine Politik das Projekt des Zionismus zu verraten, ein anderer. Als der beste Beweis dafür, dass Netanyahu Israels innere Sicherheit und moralische Integrität aufs Spiel setzt, gilt seinen Kritikern dessen Verhalten gegenüber dem Soldaten Elor Azaria, der einen bereits verletzt am Boden liegenden Palästinenser mit gezielten Schüssen getötet hatte. Statt den Eltern des Opfers sein Beileid auszudrücken, versicherte Netanyahu die Eltern des Täters seiner vollsten Unterstützung und gab damit jenen Kräften im Land Auftrieb, denen arabisches Leben weniger gilt als israelisches.
Verglichen damit nimmt sich der Protest der Orthodoxen an der Klagemauer vergleichsweise harmlos aus. Und doch ist auch er ein Indiz für die Zerrissenheit der israelischen Gesellschaft. Orthodoxe gehen gegen Säkulare vor. Orientalische Einwanderer fühlen sich von den alteingesessenen Ashkenasim diskriminiert. Arabische Israeli sehen sich als Bürger zweiter Klasse in einem Staat, der sich als ausschliesslich jüdisch versteht.
Wen wundert’s, wenn angesichts solcher Spannungen manche Politiker die Bedrohung von aussen als willkommene Ablenkung von den internen Konflikten begrüssen? Benjamin Netanyahu, der Nazi-Vergleiche schnell zur Hand hat, versteht sich auf diese Taktik besonders gut. Auch dies wirft Ehud Barak ihm vor. Warum dieser seine Kritik allerdings nicht bereits dann vorbrachte, als er selbst noch mit Netanyahu im Kabinett sass, bleibt sein Geheimnis und macht ihn seinerseits in höchstem Masse anfechtbar.
Einige wenige Tage in Israel reichten aus, sich der vertrackten Situation des Landes von neuem bewusst zu werden. Lösungen waren auch jetzt keine in Sicht.