Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie – kluger Journal21-Leser und alerte Journal21-Leserin – als Fussgänger, Velofahrer oder Automobilist verletzt oder getötet werden, ist bei weitem grösser, als dass Sie sich mit dem schon im Dezember in der chinesischen Provinzmetropole Wuhan entdeckten Corona-Virus 2019-nCoV anstecken und an einer Lungenentzündung erkranken. Im Flugzeug zu reisen wiederum ist sehr viel weniger riskant, als sich im Strassenverkehr zu bewegen, dennoch aber gefährlicher, als vom Wuhan-Virus – das noch nicht mal einen richtigen Namen hat – angegriffen und aufs Krankenbett geworfen zu werden.
Kalkulierbar
Das Risiko ist, wenn nicht irrelevant oder klein, so doch kalkulierbar. Das vor knapp zwei Monaten erstmals auf einem Markt mit lebenden Tieren in Wuhan, der 11-Millionen-Metropole der Provinz Hubei, aufgetauchte Virus wurde von chinesischen Wissenschaftlern schnell analysiert und als Corona-Virus identifiziert. Wuhans Stadt- und Hubeis-Provinzregierung versuchten anfänglich, das Ganze unter Kontrolle zu halten, d. h. auf gut Partei-Chinesisch zu verheimlichen. Doch das gelingt im digitalen Zeitalter selbst im streng überwachten China nicht mehr ganz. Staats-und Parteichef Xi Jinping, nach eigenem Bekunden der Transparenz verpflichtet, zog am 20. Januar die Reissleine. Ein allumfassender Kampf gegen das Atemweg-Virus wurde eingeleitet.
Sars
Xi forderte umfassende Information und Transparenz. Die Nationale Gesundheitskommission informiert seither zeitgerecht, faktisch und unaufgeregt über alles im Zusammenhang mit dem Virus. Wuhan und vierzehn weitere Städte in der Provinz Hubei mit insgesamt 35 Millionen Einwohnern wurden unterdessen von der Aussenwelt abgeschnitten. Eine der Hauptgründe für das offene Vorgehen: Noch allzu schlecht ist in China das Corona-Virus Sars – das akute, schwere Atemnot-Syndrom – in Erinnerung. Damals wurde das im November 2002 aufgetauchte und analysierte Virus monatelang der Bevölkerung verheimlicht.
Ohne Maske
Erst im April 2003 wurde die behördliche Manipulation publik. Ihr Korrespondent konnte damals China vier Monate lang nicht verlassen. Zu einem Interview mit dem Schweizer Boulevardblatt wollte der Redaktor unbedingt ein Bild mit Maske. Das bekam er nicht, weil zum einen keine Masken mehr in Apotheken zu kaufen waren und zum andern für Ärzte die Nützlichkeit von Masken nicht über alle Zweifel erhaben ist. Ihr Korrespondent hat Sars ohne Maske aber hygienisch sehr vorsichtig überlebt. In den sozialen Medien zeigt sich jetzt aber einer der SRF-Korrespondenten mit Maske, passend zu der sich ebenfalls pandemisch verbreitenden internationalen Panikmache.
Grenzenlos
Die nationale chinesische Führung reagierte ungleich Sars diesmal rechtzeitig auf die Epidemie, die sich mittlerweile zur Pandemie auf rund 20 Länder weltweit verbreitet hat. Nach Erkenntnis der Wissenschaft verbreitet sich das Wuhan-Corona-Virus schnell, doch der Krankheitsverlauf ist im Vergleich zu Sars 2003 etwas weniger gravierend. Im gegenwärtigen Zeitalter der Globalisierung verbreitet sich jedes Virus in Windeseile, schliesslich gibt es ja Direktflüge sogar von Wuhan nach Europa. Das stimmt zwar, doch bereits früher, als das schnellste Verkehrsmittel bis Ende des 18. Jahrhunderts das Pferd war, kannte die Verbreitung von Krankheiten keine Grenzen.
Die Pest
Die erste Pest-Pandemie – die Justinianische Pest – im Mittelmeerraum brach 541 A. D. aus und hatte Auswirkungen bis ins 8. Jahrhundert. Millionen starben. Die zweite Pest-Pandemie – der Schwarze Tod – verbreitete sich von der burmesisch-chinesischen Grenze durch Ratten von 1346 bis 1353 bis hin nach Westeuropa aus. Es starben je nach Schätzung zwischen 75 und 150 Millionen Menschen bei einer damaligen Weltbevölkerung von rund 500 Millionen. Die dritte Pest-Pandemie brach 1896 aus und forderte bis 1945 12 Millionen Tote.
Die Grippe
Dann die Grippen. Medial kaum präsent ist die jährliche, ganz normale Grippe. Immerhin sind laut Weltgesundheits-Organisation WHO Jahr für Jahr weltweit drei bis fünf Millionen Menschen betroffen. Zwischen 300’000 und 650’000 sterben. Freilich ist die Todesrate mit rund einem Prozentpunkt weit unter Sars, bei der es bei knapp über 8’000 Infizierten zu 774 Todesfällen kam. Bei der normalen Grippe jedoch gibt es immerhin eine Impfung. Berühmt-berüchtigt ist noch heute die Spanische Grippe 1918–20, die bei weltweit 500 Millionen Fällen je nach Schätzung zwischen 25 und 50 Millionen Menschen das Leben kostete. Weitere Influenza-Pandemien: Die Asiatische Grippe 1957 mit einer Million Toten, die Hongkong-Grippe 1968 mit einer Million Toten, die Russische Grippe 1977/78 mit 700’000 Toten und die Chinesische H1N1-Schweinegrippe 2009 mit 30’000 Fällen, jedoch 18’000 Toten.
HIV, Ebola, Malaria
Neben Pest und Grippe gibt es natürlich unzählige weitere Krankheiten und Epidemien, die weltweit für Aufsehen sorgen. An HIV/AIDS beispielsweise sind seit 1980 über 35 Millionen Menschen gestorben. Die Ebola-Epidemie in Westafrika hat seit 2014 bei bislang 27’000 Fällen über 11’000 Tote gefordert. Ohne grosses mediales Aufsehen sterben jährlich auch über 400’000 Menschen an Malaria und über 1,5 Millionen Menschen an Durchfallerkrankungen. Statistiken weisen zudem weltweit pro Jahr 1,4 Millionen Verkehrstote und eine halbe Million Morde aus.
Ungewiss
Diese vielen Zahlen seien hier nur aufgeführt, um das Wuhan-Virus in einen hoffentlich Panik mindernden Zusammenhang zu stellen. Noch nämlich ist ungewiss, wie gefährlich das Corona-Virus 2019-nCoV tatsächlich ist. Chinesische Wissenschaftler schätzen insgesamt die möglichen Ansteckungen auf zwischen 30’000 und 200’000 Fälle. Chinas Zentralregierung, die WHO und auch das Bundesamt für Gesundheit in Bern bemühen sich derzeit unaufgeregt und auf Fakten basierend um Transparenz und Information.
Panik
Die Medien freilich machen hemmungslos weiter auf klicksichere Panik. Etwa: 24’000 Masken seien innerhalb von sechs Tagen bei einer Apotheke beim Zürcher Bahnhof verkauft worden, ist digital zu lesen und wird analog auf Papier übernommen. Ausverkauft! Ohne kritische, aufklärende Nachfrage. Oder: Das Zürcher Triemli-Spital weiss seit Sonntagabend, dass zwei Verdachtsfälle, die tagelang medial breitgeschlagen wurden, nichts mit Wuhan zu tun haben. Kommuniziert wird das zwei Tage später. Das sind nur zwei von unzähligen Beispielen. Kurz: Panikmache zahlt sich aus. Sie ist beileibe nicht nur auf Krankheiten beschränkt. Ein Beispiel: Bei der Irankrise anfangs Januar titelten findige Redaktoren digital ohne mit der Wimper zu zucken: Vor einem III. Weltkrieg? Immerhin mit Fragezeichen …