Seine Majestät liess uns am 5. September 1988 in einem Gästehaus noch warten, bevor er Zeit für ein Gespräch hatte. Zu dritt – eine amerikanische Kolumnistin, ein japanischer Korrespondent und ein Redaktor des «Tages-Anzeigers» – waren wir per «Royal Flight», im Jet des Sultans, innert einer Stunde von der Hauptstadt Maskat nach Salala im Süden des Landes geflogen worden, wo Kabus bin Said in der Nähe des Souk einen prächtigen Sommerpalast unterhielt.
Ermöglicht hatte das nicht alltägliche Treffen ein älterer, geheimnisumwitterter britischer Berater des Sultans, der unter anderem einst als Diplomat der Krone in Aden und Hongkong gedient hatte und fast jedes Jahr seine Sommerferien in Grindelwald verbrachte, weshalb er als interessierter Zeitgenosse auch mit der Schweizer Presse vertraut war.
Vorbei damals die Zeiten, als die Einwohner Salalas abends auf ihre Dächer stiegen und Weihrauchfeuer entzündeten, wenn der Sultan in der von Palmenhainen durchzogenen Stadt am Meer eingetroffen war. Auf den Weihrauch gossen die Leute jeweils noch duftendes Öl, so dass ganz Salala von Wohlgeruch erfüllt war. «Die Stadt sah aus, als ob sie eine einzige Feuerflamme wäre», erzählte ein Bewohner. Dafür beherbergt Salala heute den 1998 eröffneten Container-Hafen Mina Raysut, der in Konkurrenz zu Dubai, Karachi oder Singapur zum «Rotterdam des Indischen Ozeans» werden sollte.
Ein anglophiler Offizier
Das Gespräch mit dem 47-jährigen Kabus bin Said verlief im Palast in der Folge überraschend locker und informell. Auf jeden Fall gelöster, als es die Miene des Herrschers hätte vermuten lassen, die von zahllosen Fotografien und Gemälden herunter hoheitsvoll auf seine Untertanen blickte – anlässlich des Nationalfeiertags am 18. November jeweils von jedem Lampenpfahl entlang der Strasse vom internationalen Flughafen ins Zentrum der Hauptstadt. Seine Majestät liess privat auch Humor aufblitzen, eine Eigenschaft, die er sich mutmasslich während seiner Ausbildung als junger Offizier an der britischen Militärakademie Sandhurst angeeignet hatte.
Auch die Antworten des traditionell gekleideten Sultans waren überlegt und wohlformuliert. Oman, wenn auch keinesfalls arm, ist nicht so reich wie die übrigen Monarchien der arabischen Halbinsel und kann sich nicht, wie zum Beispiel Saudi-Arabien oder die Vereinigten Arabischen Emirate, schlicht Einfluss kaufen. Das Sultanat ist auf gute Nachbarschaft angewiesen, sei es mit dem kriegerischen Jemen oder dem fundamentalistischem Iran jenseits der Strasse von Hormus. Die USA indes unterhalten in Thumrait im Süden des Landes einen Luftwaffenstützpunkt und hatten früher auf der Insel Masirah Truppen stationiert. Das Motto der omanischen Aussenpolitik: «Allen ein Freund und keinem ein Feind».
Ein fairer Partner des Iran
Vor allem gute Beziehungen zum Iran waren Qabus bin Said äusserst wichtig und er agierte denn gelegentlich als Vermittler zwischen den seit der Islamischen Revolution von 1979 verfeindeten Akteuren Teherans und Washingtons, zuletzt 2015 vor Abschluss des von Donald Trump inzwischen aufgekündigten Atomvertrages. Der Sultan pflegte auch inoffizielle Kontakte zu Israel und empfing 2018 Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zu einem Besuch. Über den Inhalt des Treffens wurde nichts bekannt. Schon früher hatten Yitzhak Rabin und Shimon Peres Oman besucht
Sultan Kabus erlaubte, dass iranische Schmuggler in Musandam, der felsigen Halbinsel im Norden des Landes, Handelssanktionen umgehen konnten, indem sie aus Häfen jenseits der Strasse von Hormus in Schnellbooten, die häufig mit Schafen beladen waren, über die Meerenge preschten, um sich auf dem Markt der omanischen Küstenstadt Khasab mit elektronischen Geräten, Medikamenten und anderen begehrten Waren einzudecken. Dem Besucher wurde erklärt, dass diejenigen unter den braun gebrannten Schiffsbesatzungen mit hellem Teint Iraner wären, die sich auf einer Rückfahrt von der Küstenwache der Islamischen Republik hätten erwischen und ins Gefängnis stecken lassen. In Oman zahlten die Schmuggler zwar Zoll und Abgaben, nicht aber im Iran.
Omans Aufstieg dank Kabus bin Said vom rückständigen Wüstenland zum modernen Staat ist oft erzählt worden. Etwa dass das Land vor 1970, als der 29-jährige Kabus seinen konservativen Vater Said bin Taimur mit Hilfe der Briten vom Thron putschte und ins britische Exil schickte, ganze zehn Kilometer asphaltierter Strasse besass – vom Sultanspalast bis zur alten Landepiste in Ruwi. Dass es damals in Oman, das fast so gross wie Deutschland ist, auch kein Telefon, ja überhaupt keine nennenswerte Infrastruktur gab, so zum Beispiel lediglich zwölf Spitalbetten. Oder dass auf Geheiss des alten Sultans die Stadttore in Maskat bei Sonnenuntergang geschlossen wurden und das Radiohören, das Tragen von Sonnenbrillen oder das Kaufen von Zement verboten waren.
Eine sanfte Entwicklung
Berichtet wird auch, dass vor 1970 nur wenige Kinder, ausschliesslich Knaben, eine von drei Volksschulen besuchten. Heute gehen über 90 Prozent der omanischen Kinder zur Schule und es gibt seit 1986 in der Nähe von Maskat die Sultan-Kabus-Universität, an der heute rund 15’000 Studentinnen und Studenten immatrikuliert sind. Seit 2001 steht in Maskat die Grosse Sultan Kabus Moschee, die 20'000 Gläubigen Platz bietet, und seit 2011 mit dem Royal Opera House, eröffnet mit Puccinis «Turandot», die einzige Oper der arabischen Halbinsel.
Kabus galt als grosser Musikliebhaber und er soll im nicht ganz billigen Opernhaus mitunter heimlich Orgel gespielt haben. Und bereits 1985 hatte er ein omanisches Symphonieorchester gegründet. Er war zudem ein eifriger Leser, seit Jugendtagen, als er zwar behütet, aber eher einsam aufwuchs, und seit seiner Rückkehr aus Grossbritannien im Jahre 1964, als er auf Anordnung seines Vaters unter Hausarrest gestellt wurde.
Omans Entwicklung wurde nur möglich, weil das Sultanat nicht den Fehler machte, sich von einem der Ismen leiten zu lassen, die damals in Mode waren, sondern auf eine Entwicklung setzte, die den Bedürfnissen des Landes gerecht wurde. Dies geschah fast ohne teure Prunkbauten oder Prestigeprojekte wie zum Beispiel in Dubai oder Abu Dhabi, dafür mit Investitionen in eine moderne Infrastruktur: in Strassen, Schulen und Spitäler.
Auch der Privatsektor wurde gefördert und in Muscat wurde 1988 eine Börse eröffnet. Mit Bedacht investierte das Sultanat ferner in den Tourismus, wobei jedoch nie von Massentourismus die Rede war. Gab es zu Beginn der 1980er Jahre nicht einmal eine Handvoll Hotels, die internationalen Ansprüchen genügten, gibt es heute eine Anzahl Luxusherbergen für jeden Geschmack, nicht zuletzt das «Al Bustan Palace» am Meer in Maskat, das einst als standesgemässe Bleibe für die hochrangigen Teilnehmer eines Treffens des Golf-Kooperationsrates (GCC) gebaut wurde.
Ein wohltätiger Despot
Alle diese sicht- und spürbaren Leistungen haben es Kabus bin Said ermöglicht, so lange unangefochten an der Macht und unter den 2,6 Millionen Omanern, zu denen sich fast so viele Ausländer gesellen, beliebt zu bleiben. Auch den Arabischen Frühling, der 2011 Tunesien und Ägypten teils nachhaltig veränderte, hat Omans Herrscher nach Erlassen einiger Reformen relativ unbeschadet überstanden (https://www.journal21.ch/wo-weihrauch-ist-ist-auch-feuer). Zwar kam es im Land damals vereinzelt zu Kundgebungen, bei denen die Demonstranten aber jeweils auch ihre Dankbarkeit und ihre Loyalität gegenüber einem Sultan bezeugten, der seinen Untertanen ein früher undenkbares Mass an Wohlstand beschert hat.
«Selbst wenn Kabus ein uns Briten freundlich gesinnter, Musik liebender Herrscher mit wohltätigen Absichten ist, er ist trotzdem ein Despot», schrieb der Londoner «Guardian» seinerzeit. «Er toleriert keine Kritik und seine Bürger haben nur wenige Rechte.» Wie zum Beispiel in Katar oder in Kuwait gibt es zwar auch in Oman Wahlen und ein Parlament, doch sind die Kompetenzen der Volksvertretung äusserst beschränkt. Kritiker bemängeln auch die gelegentliche Verletzung von Menschenrechten. Presse- und Meinungsfreiheit zum Beispiel gibt es in Oman nicht.
Ein Cousin als Nachfolger
Derweil ist nach dem Tod des Sultans, der weder Brüder noch Kinder hatte, die Nachfolgefrage unerwartet rasch und reibungslos beantwortet worden. Neuer Herrscher Omans wird Kabus’ 65-jähriger Cousin Haitham bin Tarik al Said, der Kulturminister war und bisher zumindest gegen aussen eine eher unbekannte Grösse geblieben ist.
Sultan Kabus hatte schon vor geraumer Zeit einen handgeschriebenen Brief verfasst, der erst nach seinem Tod geöffnet werden durfte und in dem der Herrscher seinen letzten Willen hinterlegte. Der nationale Verteidigungsrat öffnete das Schreiben in Anwesenheit der versammelten Königsfamilie und diese ernannte, wie vom Verstorbenen bestimmt, Haitham zum neuen Sultan. Wie geschickt dieser den Kurs seines Vorgängers verfolgen wird, bleibt abzuwarten. Auch ist unbekannt, wie stark Haithams Position innerhalb eines Königshauses ist, in dessen 250-jährigen Geschichte es wiederholt zu blutigen Machtwechseln gekommen ist.
Kabus bin Said starb mutmasslich an Darmkrebs, gegen den er sich im Ausland hatte behandeln lassen. Wie krank er wirklich war, wurde in Oman stets als Staatsgeheimnis behandelt. Noch Anfang Jahr hatte der Hof in Maskat offiziell mitgeteilt, der Gesundheitszustand Seiner Majestät sei stabil und er untergehe die vorgeschriebenen Behandlungen. Die staatliche Nachrichtenagentur meldete, Kabus bin Said sei gestorben, nachdem er «eine umfassende Renaissance» des Landes eingeleitet habe. Diese Renaissance habe unter anderem in «einer ausgeglichenen Aussenpolitik» resultiert.
Dem Nachfolger des Sultans dürfte es schwerer fallen, in einer gefährlich instabil gewordenen Region erfolgreich zu regieren, nicht zuletzt auch angesichts einer sich verschlechternden Wirtschaftslage und steigender Staatsverschuldung. Und irgendwann, die Schätzungen variieren, wird sich auch die Ölförderung erschöpfen. Bis dann müsste die «Omanisierung» der Wirtschaft abgeschlossen sein – weg von der Abhängigkeit von Bodenschätzen und von überwiegend ausländischen Arbeitskräften. Omans «goldenes Zeitalter» könnte nach dem Tode von Sultan Kabus erheblich an Glanz verlieren.