Wer das Werk des Schweizer Autors Thomas Hürlimann kennt und schätzt, wird sich auf den neuen Roman „Heimkehr“, der in diesen Tagen ausgeliefert wird, freuen. Nach langer, schwerer Krankheit meldet sich einer unserer besten Autoren wieder zu Wort – man darf gespannt sein.
Eher Widerspruch denn Freude dürfte eine andere, ein paar Wochen zurückliegende Wortmeldung unseres Autors hervorrufen. Es geht um eine 1. August-Rede, die Hürlimann aus gesundheitlichen Gründen in Walchwil nicht halten konnte. Sie wurde in der „Schweiz am Wochenende“ veröffentlicht, unter einem Titel, der allein schon gewaltig provoziert. „Toleranz ist ein anderes Wort für Feigheit“ liest man da und glaubt, nicht recht gelesen zu haben.
Im ersten Teil seiner Rede geht Hürlimann, mit der verbalen Hellebarde bewaffnet, auf die Sprachpolizisten oder Sprachfundamentalisten los, die im Namen der political correctness unsere Sprachgewohnheiten neu regulieren und, nach ihrem Verständnis, purifizieren möchten. Da ordnet sich Hürlimann in die Reihen vieler seiner Kolleginnen und Kollegen ein, die ihr Recht auf ein anarchisches, kreatives Sprachgebaren reklamieren und sich gegen engstirnige und oft nur noch lächerliche Regulierungsmassnahmen wehren. So weit so gut. Man kann ihm nur beipflichten.
Was aber hat unseren Autor geritten, seine Empörung auf den Begriff „Toleranz“ zu richten? Warum soll Toleranz „ein verlogener Begriff“ sein, „ein anderes Wort für Feigheit“? Natürlich gilt der Begriff für ein weites Feld und an den Rändern dieses Feldes kann das Wort auch mal für Gleichgültigkeit, Duckmäusertum und Feigheit stehen. In der Hauptsache und im Allgemeinverständnis bleibt Toleranz eine erstrebenswerte Haltung, ein Bekenntnis zur Offenheit, zum Geltenlassen anderer Meinungen zum Beispiel, was ja eher ein schmerzlicher denn ein feiger Akt zu sein pflegt. Voltaire, Champion der Aufklärung, hat in seinen Büchern viel über Toleranz, hauptsächlich in religiösen Zusammenhängen, geschrieben. Im „dictionnaire philosophique“ nennt er die Toleranz ein Erbgut der Menschheit und anderswo hält er sie gar für „auf Erden das Beste“.
Neben den möglichen, herbeigeredeten Problemen mit dem Toleranzbegriff gibt es doch heutzutage ein sehr viel virulenteres Problem: die weit verbreitete Intoleranz.