53 Künstlerinnen und Künstler, viele davon international aktiv und vernetzt, wurden eingeladen, an ungewohnten Orten – eben «backstage» – im Ferienort Engelberg ihre Werke zu zeigen. Manches wirkt zufällig. Anderes überrascht und überzeugt.
Die Kunst versteckt sich. Wer sie finden will, bekommt einen kleinen Plan. 21 Standorte sind notiert, man macht sich auf den Weg und findet, so man Glück hat, zu den Skulpturen, Malereien, Videos, Zeichnungen, Installationen. Der eigens für diese Sommeraktion gegründete Verein «Backstage Engelberg» lud Künstlerinnen und Künstler ein, ihre Arbeiten an üblicherweise nicht zugänglichen Orten zu zeigen – ob im ausgedienten Eiskeller, in einer ebenso ausgedienten Schuhmacherei und in einer wiederum ausgedienten und schwer aufzufindenden Kegelbahn, in einer zum Partyraum umfunktionierten Scheune, in der heruntergekommenen Lobby eines früheren Hotels, aber auch mitten im glänzenden Luxus des Kempinski-Hotels und in einem heimeligen Fonduestübchen mit Holzofen und karierten Vorhängen.
Vor oder in all diesen Lokalitäten sitzen Freiwillige – junge Leute oder gestandene Engelbergerinnen, die die Kunst bewachen und notfalls auch erläutern. «Backstage Engelberg» entspricht in etwa der Art und Weise, wie es vielerorts Skulpturenausstellungen gab und gibt, etwa in Môtiers, in Bex oder in Biel. Auch da musste man, mit dem Plan in der Hand, nach der Kunst suchen. Auch da gab es überraschende Einblicke und ein neues Erleben der Landschaft. Und auch da glich der Parcours durchs Gelände ein wenig dem Eiersuchen am Ostersonntag. Ein Unterschied: Môtiers, Biel und Bex beschränkten sich auf das Schweizer Kunstschaffen, Engelberg blickt über die Grenzen.
Kopf des Unternehmens sind der international tätige Zürcher Galerist Peter Kilchmann als Präsident des Vereins «Backstage Engelberg» und Dorothea Strauss, die früher das Haus Konstruktiv in Zürich und anschliessend die Kunstsammlung der Mobiliar-Versicherung leitete und jetzt als freie Kuratorin tätig ist. Ein ganzes Komitee von Engelberger Persönlichkeiten ist mit von der Partie – von Florence Anliker, der Leiterin des Talmuseums, über den CEO der Engelberg-Titlis Tourismus AG bis zu Martha Bächler, früher Talammann von Engelberg und dann Obwaldner Wirtschaftsförderin. Kantonalbank, Hotels, Gewerbeverein und viele andere zahlen. Alex Höchli, seit 2011 Talammann von Engelberg, hielt die Eröffnungsansprache. «Backstage Engelberg» ist definitiv zur Bühne geworden, auf der vor allem die Künstlerinnen und Künstler agieren, dazu aber auch praktisch das «ganze Dorf». Damit wirklich alle in den Genuss der Kunst kommen, gibt es keine Eintrittspreise.
Grelles Licht und Halbschatten
Trotz des Titels «Backstage Engelberg» zieht sich nicht alle Kunst auf die Hinterbühne zurück, um im Halbschatten auf Entdeckung zu warten. Leiko Ikemuras majestätische Riesenskulptur, eine Art begehbare Hasenfrau, steht im hellsten Licht und wie eine Werbefigur souverän im Kurpark neben dem Hotel Kempinski. Dass ganz in der Nähe ein paar niedliche bronzene Gämsen grasen, ist ein hübscher ironischer Kontrast – ungewollt wohl, denn die Tiere figurieren auf keiner Künstlerliste.
Im Dorfzentrum stehlen die grellen Figuren von Maria Ceppi dem C. F. Meyer-Brunnen («Dem Sänger des Tales») die Schau. (Die grösste Figur musste allerdings entfernt werden. Offenbar machten Kinder sie allzu sehr zum Spielgerät. Oder waren Vandalen am Werk? Kunst kommt, wenn sie an die Öffentlichkeit drängt, eben bald einmal an ihre Grenzen.) Eine öffentliche Bühne bietet der Gegenwartskunst auch das Talmuseum, das sonst mehrheitlich bäuerliches Wohnen und Arbeiten sowie den Engelberger Tourismus dokumentiert. Jetzt aber wartet es mit Spannungen und Brüchen auf, zum Beispiel mit einer fotorealistischen Malerei des Engelberger Hausbergs, des Hahnen («angel mountain») von Angela Lyn sowie mit einer Fotoarbeit und einem Video des Albaners Adrian Paci.
Installationen ohne und mit Ortsbezug
Mit Paci verdeutlicht sich allerdings, wie auch bei Ikemura und Ceppi, ein Grundproblem von «Backstage Engelberg»: Lyn befasst sich in ihrer Malerei mit einer Engelberger Ikone; ihre Malerei hat einen klaren Standortbezug. Doch Pacis zwei Beiträge haben, bei all ihren möglichen Qualitäten, mit Engelberg nichts zu tun und werden erst noch in üblichem Museumskontext, also keineswegs «backstage» präsentiert. Hier wie bei manch anderen Ausstellungsbeteiligungen lässt sich fragen, warum sie nach Engelberg gelangten. Bei anderen wiederum werden die Beziehungen offensichtlich – so in einer sehr sparsamen und zugleich berührenden Installation von Zilla Leutenegger: Sie lässt im alten Teil des Talmuseum, einem hölzernen Engelberger Haus, die Tür zu einer Kammer leicht offenstehen. Man sieht den Schatten eines sich drehenden Spinnrades und hört dazu ein monotones Zählen: die Stimme der Frau, die im Verborgenen ihrer eintönigen repetitiven Arbeit nachgeht.
Auch die in Zürich lebenden Unterwaldner Judith Albert und Jos Näpflin zeigen eigens für die konkrete Situation entstandene Arbeiten: Näpflin fand für seine Video-Installation «Registration/Dörfli 1955» den idealen Schauplatz: das Fonduestübli als Ort der Gemütlichkeit im Garten eines Hotels. Er lässt einen kurzen Ausschnitt aus dem Heimatfilm «S’Waisechind vo Engelberg» (1955/56) abspielen und dehnt ihn auf 15 Minuten. «S’Waisechind vo Engelberg» ist ein trotz Mitarbeit von Sigfrit Steiner und Gustav Knuth rührseliger Kitschfilm in der «Heidi»-Nachfolge. Da treten als Statisten namenlose Männer, Frauen und Kinder aus dem Nidwaldner Weiler Dörfli auf, wo Näpflin, zur Drehzeit fünf Jahre alt, selber aufwuchs. Der Künstler recherchierte, befragte betagte Einwohner des Weilers, holte die Statisten – manche sind Näpflins Verwandte – aus ihrer Anonymität und gab ihnen die richtigen Namen.
Auch Judith Alberts Ausseninstallation an der Fassade des aufgehobenen Schlachthauses von Engelberg nimmt präzis Bezug auf Ort, Atmosphäre und Witterung im Hochtal: Die Künstlerin fotografierte die geschindelte Fassade und zerlegte das Ergebnis auf rund 1500 Rondelle aus recyceltem Kunststoff. Die Rondelle sind so vor der Fassade montiert, dass sie sich je nach Windstärke leise oder flatternd bewegen. Das erzeugt ein irritierendes Vibrieren und lässt uns die einfache ländliche Architektur neu erleben. Die Mondholzwerkstatt Wolfenschiessen war ihr dabei behilflich.
Gute Momente trotz fraglicher Auswahlkriterien
Wie wurden die 53 Künstlerinnen und Künstler ausgewählt? Manche stammen aus der Schweiz, viele aus dem Ausland. Sehr viele figurieren auf der Künstlerliste der Galerie Peter Kilchmann und bekommen in Engelberg mit Beispielen ihrer üblichen Bildproduktion überproportional Raum – Fabian Marti zum Beispiel, Andri Deplazes und Armin Boehm. Oder man findet (seltener) ihre Namen im Katalog der Sammlung der Mobiliar-Versicherung. Es gab weder eine Ausschreibung noch eine Jury und keinerlei öffentlich formulierte Vorgaben etwa in dem Sinne, dass die künstlerischen Beiträge für die aktuelle Ausstellungssituation neu zu erarbeiten wären.
Manche Präsenz wirkt denn auch zufällig: Warum gerade das und jenes und nicht anderes, zumal ein thematischer oder formaler Orts- oder Situationsbezug offensichtlich kein Kriterium war und ein Qualitätskriterium schwammig bleiben müsste? Beruht alles auf persönlichen Vorlieben des Galeristen und der Kuratorin? Wie und warum kam jemand auf die Künstlerinnen- und Künstlerliste? Mit «Vitamin B»? Dieses Auswahlkriterium mag allerdings nicht nur für «Backstage Engelberg», sondern für ganz viele kulturelle Aktionen gelten.
Trotz solcher Abstriche und trotz mangelnder konzeptueller Stringenz: Es gibt – über die erwähnten Beispiele hinaus – gute Momente in «Backstage Engelberg». Entdeckungen sind durchaus möglich, was nicht nur für die Künstlerinnen und Künstler gilt, sondern auch für die Schauplätze, die man sonst kaum zu Gesicht bekommt, etwa das Dachgeschoss des altertümlichen Hotels Bellevue-Terminus oder die Werkstatt, die der längst verstorbene Schuhmacher Walser vor Jahrzehnten ohne aufzuräumen verlassen hat. Olav Nicolai und seiner Installation sei Dank, dürfen wir heute diese Wunderkammer betreten und in Nostalgie schwelgen. Auch Ester Vonplon suchte sich eine ideale Örtlichkeit für die Präsentation ihres Videos «Eiszeit» mit beeindruckenden Bildern der arktischen Gletscherwelt. Sie wurde fündig im in den Fels gehauenen Eiskeller unter dem Restaurant Bänklialp.
Oder das hoch über dem Dorf thronende Hotel Terrace: Man sucht nach den sich beinahe ganz verflüchtigenden Wasserzeichnungen von Bruno Jakob im Zimmer 327, nach Daniele Buettis «Falling Dogs», die er auf die Jugendstil-Tapete stempelte, oder nach Katalin Deérs Installation mit Fotografien, welche Hände in ganz unterschiedlichen Stellungen und Funktionen dokumentieren. Man findet nicht nur diese Werke, sondern erlebt staunend die über hundert Jahre alten, einst glanzvollen, heute nicht nur leicht abgewohnten Räumlichkeiten – und fragt sich vielleicht, warum die Titlisbahn als Besitzerin des Hauses die vergangene Herrlichkeit nicht in ein prächtiges historisches Hotel verwandelt.
Ein weiteres Beispiel liefert der in Mexiko lebende Belgier Francis Alÿs, ein internationaler Star, mit seiner Videoinstallation «Kinderspiele». In einer Serie widmet er sich Kinderspielen, die er rund um die Welt in Videos dokumentiert. In Engelberg sind vier davon zu sehen – aus Afrika, aus Hongkong, aus Mexiko und aus Engelberg, wo sich Kinder im Schnee tollen: Eine schöne, subtil mit politischen Visionen spielende Arbeit, zu sehen im Gesellschaftsraum des ausgedienten Hotels Hoheneck. Ironie des Schicksals: In den Zimmern des Hauses, das deutlich bessere Tage gekannt hat, logieren heute Angestellte des neusten Engelberger Luxus-Etablissements Kempinski. Die gestylte Lobby dieses Hotels wiederum ist Standort einer Skulptur von Anselm Baumann.
Bis 18. August
Informationen: www.backstageengelberg.ch
zugänglich Donnerstag und Freitag 13 bis 17 Uhr, Samstag und Sonntag 13 bis 18 Uhr