Entscheidend sei aber ein Mix aus persönlicher Freiheit, starker gesellschaftlicher Vernetzung, körperlicher und geistiger Gesundheit, Sicherheit des Arbeitsplatzes und stabilen Familien.
Die UNO-Generalversammlung hat im April eine Sondersitzung über das ungewohnte Thema Glück und kollektives Wohlbefinden abgehalten. An dem Treffen nahmen mehr als 600 Diplomaten, Politiker und Wissenschaftler teil, darunter die Präsidentin Costa Ricas, Laura Cinchilla, und der Premierminister von Bhutan, Jigma Thinley. Das kleine Himalaja-Königreich Bhutan hat bereits vor 40 Jahren das „Brutto-Glück“ zu seinem nationalen Ziel erklärt. Öffentliche Investitionen oder Gesetzesänderungen sollen nur dann beschlossen werden, wenn feststeht, dass sie der Allgemeinheit nützen. Es ist die Antithese zum Streben nach Reichtum.
Die Unglücklichsten leben in Westafrika
Ob sich das Glück staatlich organisieren lässt und ob die Menschen in Bhutan glücklicher sind als anderswo, müsste noch erforscht werden.
Dem „World Happiness Report“ zufolge sind die glücklichsten Länder Dänemark, Norwegen, Finnland und die Niederlande. Die Schweiz ist Sechster, Deutschland steht auf Platz 30. Die am wenigsten glücklichen Menschen leben in Togo, Benin, der Zentralafrikanischen Republik und Sierra Leone. Diese Rangliste bestätigt die Sprüche, wonach es besser ist, reich und gesund zu sein als arm und krank.
Sind also die lachenden Kinderaugen in Slums und glückliche Eingeborene auf Südseeinseln nur Märchen? Täuscht sich der Reisende, wenn er etwa im Landesinneren von Laos auf lauter freundliche Menschen trifft, die praktisch ohne Geld mit einer Subsistenzwirtschaft zurechtkommen?
"Das gefühlte Glück"
Nach den Kriterien der UNO liegt die Armutsgrenze derzeit bei einem Einkommen von zwei Dollar pro Tag. Dass aber zwei Dollar in Laos und in Schweden nicht den gleichen Wert darstellen, liegt auf der Hand.
Die Lebensqualität kann daher nicht aus dem Bruttosozialprodukt der einzelnen Staaten beziehungsweise ihrem durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen abgelesen werden, wie es heute bei internationalen Vergleichen noch immer der Brauch ist.
Die UNO will jetzt ein neues Element in ihre Statistiken einführen: das gefühlte Glück. Auf der für Juni nach Rio de Janeiro einberufenen Weltkonferenz über nachhaltige Entwicklung soll ein Glücksindikator definiert werden. Eine Reihe von Staaten wünscht, dass der „Erdgipfel“ (oder „Rio+20“, wie die Konferenz auch genannt wird, weil sie 20 Jahre nach der grossen Umweltversammlung erneut in der brasilianischen Metropole stattfindet) neue Parameter zur Messung des Entwicklungsstands beschliesst.
Immer mehr Fachleute halten die Wachstumsrate des Bruttosozialprodukts nicht für einen Garanten nachhaltiger Entwicklung. Im Gegenteil: Kurzfristige Gewinne führen oft zur Zerstörung der natürlichen Ressourcen. Als Beispiel wird die Abholzung der Tropenwälder angeführt.
Glück steht nicht proportional zum Wohlstand
Der 158 Seiten starke Weltglücksbericht dient als Diskussionsgrundlage. „Das Bruttosozialprodukt war lange das Werkzeug, um die Wirtschaften und die politischen Leistungen zu messen“, erklärte UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon auf der Sondersitzung der Generalversammlung, „aber es berücksichtigt nicht die wirtschaftlichen und sozialen Kosten des sogenannten Fortschritts.“
Der japanische Vize-Aussenminister Joe Nakano sprach von einem „Glücksparadox“: In vielen entwickelten Staaten, einschliesslich Japans, habe die Zufriedenheit der Bewohner nicht proportional zum wirtschaftlichen Wohlstand zugenommen. Jüngere Studien ergeben, dass sich die Menschen in Deutschland, Österreich, Belgien und Grossbritannien heute weniger glücklich fühlen als früher. Der Projektleiter des Weltglücksberichts, Jeffrey Sachs, stellte fest, dass sich das Pro-Kopf-Einkommen in den USA seit 1960 verdreifachte, „doch die Nadel des persönlichen Glücksgefühls hat nicht ausgeschlagen“.
Jeffrey Sachs hat auf der Columbia University ein „Erdinstitut“ gegründet. Zusammen mit den Forschern John Helliwell und Richard Layard zeichnet er für den Weltglücksbericht verantwortlich. Der Hansdampf in allen Gassen ist nicht unumstritten. 1991 beriet er den russischen Präsidenten Boris Jelzin bei der Abwicklung der sowjetischen Staatsbetriebe. Das Ergebnis der wilden Privatisierungen war, dass sich ein Dutzend „Oligarchen“ 60 Prozent der Wirtschaft unter den Nagel rissen, während die Mehrheit der Bevölkerung verarmte.
Ähnliche Folgen hatten die von Sachs verschriebenen Schocktherapien 1985 in Bolivien und 1989 in Polen.
Junge und Alte sind glücklicher als Mittelalterliche
Ungeachtet dieser Bilanz wirkt Sachs seit Jahrzehnten immer wieder als Konsulent der UNO und ihrer Fachgremien. Der Weltglücksbericht mit seinen zahlreichen Graphiken fasst die Ergebnisse der bisherigen Studien zusammen. So erfährt man, dass nach den Umfragen des Gallup-Instituts 68 Prozent der Weltbevölkerung die Religion als wichtig für den Alltag betrachten und dass Menschen, denen ein hartes Leben zuteil wird, am gläubigsten sind. Ob der Glaube das Glücksempfinden steigert, bleibt jedoch unbeantwortet.
Dem Bericht zufolge ist die Menschheit insgesamt heute ein bisschen glücklicher als vor 30 Jahren. Die Jungen und die Alten seien glücklicher als die Gruppe der 40- bis 50-Jährigen. In den hochentwickelten Staaten seien Frauen in der Regel glücklicher als Männer, während es in den Entwicklungsländern eher umgekehrt ist. Ein sicherer Arbeitsplatz und berufliche Anerkennung seien wichtiger als ein hohes Einkommen. Sobald die Grundbedürfnisse befriedigt sind, flache die Glückskurve ab. Menschen, die nach Reichtum und Luxus streben, fühlten sich eher unglücklich, stellt der Bericht fest.
Die Glücksforschung ist eine Zukunftssparte. Die Suchmaschine Google zeigt auf Eingabe dieses Wortes 92.000 Resultate an. Frühe Glücksforscher waren der chinesische Philosoph Lao Tse und die Griechen Sokrates, Platon und Aristoteles. Für die Klassiker führt ein tugendhaftes Leben zum Glück. Eine Ausnahme war Epikur, der unter Glück das Erleben von Lust und die Abwesenheit von Schmerz verstand. Ein vermutetes „Glücks-Gen“ hat man bisher nicht entdeckt. Die UNO-Generalversammlung nahm erstmals im Juli 2011 eine Resolution an, die Glück zu einem ganzheitlichen Entwicklungsansatz macht.
Bhutans Premier Thinley predigte an der jüngsten Sondersitzung die Rückkehr zu den traditionellen Werten des Fernen Ostens. „Wir müssen ein Gleichgewicht zwischen den Bedürfnissen des Körpers und des Geistes finden und den falschen Glauben ablegen, wonach mehr Konsum mehr Glück bedeutet“, erklärte er vor den Vertretern der übrigen 192 UNO-Mitglieder.