«Die Globalisierung galt einst als Schlüssel für Frieden durch weltweiten Wohlstand. Doch die Idee des freien Handels verliert immer mehr an Bedeutung. Das Welthandelssystem kennt immer weniger Gewinner.»
Mit diesen Worten beginnt ein aufrüttelnder Film des früheren Staatssekretärs David Syz. Viele Entwicklungsländer hätten kaum oder überhaupt nicht von der Globalisierung profitiert. Einigen gehe es noch schlechter als vorher.
China festige seine Grossmachtambitionen. Die USA setzten weiter auf Amerika First. Sie schützten ihre Industrie, auch die als hocheffizient geltende Landwirtschaft. «So wird der globale Wettbewerb auf dem Rücken der Armen ausgetragen.»
Der Auslandsender der Bundesrepublik, die «Deutsche Welle», zeigte den Film kürzlich mit riesigem Erfolg. Insgesamt sahen ihn 1,2 Millionen Menschen. 800’000 in der englischen Version und 400’000 in der spanischen Vertonung. Eine arabische Übersetzung soll folgen. Am Sonntag, 21. Mai, wird der Film auch im Schweizer Fernsehen (SRF 1) gezeigt.
Der Jurist und Wirtschaftsfachmann David Syz arbeitete lange in der Privatindustrie und sass in mehreren Verwaltungsräten. Er war der erste Staatssekretär im neu gegründeten Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco). Nach seiner Pensionierung 2004 schrieb er sich in der «New York Film Academy» ein. «Dort war ich 30 oder 40 Jahre älter als der zweitälteste Teilnehmer», sagt er uns. Fünf Filme hat er bisher gedreht: über den Stahlkrieg, die Armut in der Dritten Welt, den Hunger, den Kampf um Arbeit – und jetzt über den Welthandel.
Sein neuestes Werk, «Globalisierung in der Krise», gibt zu wenig Hoffnung Anlass. «Nationalismus und Protektionismus tragen ihre Früchte», heisst es in dem Film, der kürzlich in Zürich uraufgeführt wurde. «Nicht die Besten gewinnen, sondern die Reichsten. Die geopolitischen Ziele der Mächtigen machen viele Arme zu Verlierern.»
Journal21: David Syz, ist die Globalisierung am Ende?
David Syz: «Nein, sie ist eine Realität, man kann sie nicht rückgängig machen, aber man muss sie besser organisieren. Die Globalisierung ist keine falsche Idee, aber alles ging viel zu schnell. Man glaubte, mit der Öffnung der Grenzen könne die ganze Welt von dem zusätzlichen Wachstum profitieren. Das ist ein Irrtum. Vieles ist ein Flickenteppich und nicht nachhaltig. Man zog auch nicht in Betracht, dass es in vielen Ländern einen Nationalismus gibt, der nicht bereit ist, die Grenzen zu öffnen. Dann kommen Leute wie Trump und Xi, die total ihre eigenen Interessen durchsetzen wollen. Das führt zu einer Kumulation von Problemen, die alles in Frage stellt.»
Dennoch spricht die Nigerianerin Ngozi Okonjo-Iweala, die Generaldirektorin der WTO, der Welthandelsorganisation, von einem Erfolg. Eine Milliarde Menschen habe die Globalisierung aus der Armut befreit, sagt sie im Interview mit David Syz. Doch das heisse nicht, dass Globalisierung perfekt ist.
Der renommierte peruanische Ökonom Hernando de Soto ist skeptischer: «Globalisierung funktioniert, aber sie hat nicht mehr als 30 Prozent der Weltbevölkerung erreicht», erklärt er in dem Film.
Journal21: Was soll verbessert werden?
David Syz: «Das ganze Regulierungssystem der Welthandelsorganisation WTO muss neu überdacht werden. Man muss bereit sein, die armen Länder einzubeziehen. Man kann diese doch nicht einfach ausklammern. Doch diese Länder müssen auch wollen. Viele sind nicht bereit, das Regelwerk der Globalisierung zu akzeptieren. Viele bleiben lieber auf ihrer Korruption sitzen und sagen: Das können wir besser, schickt uns Geld, dann ist alles gut.
Das Schlimmste ist: Afrika hat innerhalb der letzten fünf Jahre null Fortschritte gemacht. Viele betrachteten die Globalisierung als Vehikel, um für sich selbst noch mehr Profit herauszuschlagen. Weitergegeben wird nichts.»
Gibt es auch positive Entwicklungen?
«Die Amerikaner schickten früher billige, subventionierte Landwirtschaftsprodukte in die Entwicklungsländer. So verhinderten sie, dass die armen Länder eine konkurrenzfähige Landwirtschaft aufbauen konnten. Das ist vorbei. Die WTO setzte ein Verbot von Exportsubventionen für Agrargüter durch. Davon profitiert die Dritte Welt.»
Welche Rolle spielt China?
David Syz: «Zu den Gewinnern der Globalisierung gehört China. Der freie Welthandel hat in den letzten 20 Jahren vielen Chinesen und Chinesinnen geholfen, ihren Wohlstand zu verbessern und aus der grössten Armut herauszukommen. Doch China spielt eine sehr problematische Rolle.
Die Chinesen geben Cash, und das ist das grosse Problem. So sagen sich arme Entwicklungsländer: ‘Ja, nehmen wir Cash, ist doch egal, was dann nachher geschieht.’ Fast überall haben die Chinesen ihre Finger drin.
In Sri Lanka wurde mit chinesischen Krediten für viele Milliarden ein Hafen gebaut, den niemand brauchte. Jetzt ist das Land gegenüber China riesig verschuldet und kann den Kredit nicht zurückzahlen. Also, sagen sich die Chinesen, dann übernehmen wir halt den Hafen.
Oder die Seidenstrasse. Sie bringt den Anrainerstaaten wenig bis gar nichts. Frau Merkel sagte beschönigend, das sei ein Beitrag zur Entwicklung der Länder, durch welche die Strasse führt. Das stimmt einfach nicht. Kasachstan und die anderen Anrainer profitieren gar nicht davon. Das ist reine chinesische Expansionspolitik.»
Beispiel: Peru
Nördlich der Hauptstadt Lima, beim Städtchen Chancay, sind die Chinesen dabei, unter Protesten der Bevölkerung einen Mega-Hafen zu bauen. Dieser soll China dabei helfen, den Pazifik zu erschliessen. Der Griff nach den peruanischen Fischreserven ist nur eine Frage der Zeit.
Die peruanische Aktivistin und Künstlerin Miriam Arce kämpft dagegen. «Natürlich ist die Lage des Hafens für die Chinesen grossartig», sagt sie. «Sie exportieren nicht nur Fischmehl. Sie exportieren von hier aus auch Mineralien nach China.»
Die Fischerei ist ein wichtiger Wirtschaftszweig Perus. Der neue Hafen ist ein schwerer Schlag für die lokale peruanische Fischindustrie. Chinesische Trawler werden hier anlegen und an der peruanischen Küste fischen. «Die Chinesen vergreifen sich bereits jetzt an Perus Fischbeständen», sagt ein Fischerei-Experte. Viele Fischer verlieren ihre Existenzgrundlage.
Peru hat von der Globalisierung nicht profitiert. Drei Viertel der Peruaner und Peruanerinnen arbeiten informell ohne jede Versicherung. Keine Regierung war fähig, einen geoordneten Arbeitsmarkt zu schaffen.
De Soto erklärt: «Sogar die offiziellen Statistiken sagen, dass Peru eines der ärmsten Entwicklungsländer ist. In Wirklichkeit geht es uns noch schlechter als die Statistiken sagen.»
Journal21: Der Westen pumpt Milliarden in die Entwicklungsländer, und Sie sagen, es habe kaum Fortschritte gegeben. Ist Entwicklungshilfe also unnütz?
David Syz: «Man muss grundsätzlich darüber diskutieren. Ich bin der Meinung, man soll nicht einfach Geld schicken. Es darf keine Projekte geben, die man nicht hautnah begleitet. Man kann als Entwicklungshelfer nicht einfach – wie das oft geschieht – in einem Hotel sitzen und den Regierungen Geld überweisen. Man muss ins Feld, man muss an Ort und Stelle das Projekt, das man finanziert, begleiten. Und zwar nicht nur am Anfang. Das funktioniert oft immer noch nicht. Man muss Geduld haben und dabei bleiben, sonst ist das Projekt nicht nachhaltig.
Immer wieder kommt es vor, dass man ein Aufbauprojekt fünf Jahre begleitet. Und wenn man dann den Hahn zudreht, zerfällt alles innerhalb kürzester Zeit. Wir haben zum Beispiel in Moçambique geholfen, ein Zollsystem aufzubauen. Das hat funktioniert. Am Tag, als wir aufhörten das Projekt zu betreuen, zerfiel alles. Hoffnungslos.»
Mikrokredite
Viele sahen in Mikrokrediten eine Lösung vieler Probleme. Der Film zeigt eine peruanische Familie, die dank Mikrokrediten eine erfolgreiche Werkstatt für Gaskocher aufgebaut hat.
Hernando de Soto sagt: «Mikrokredite sind nur ein Startgeld. Sie sind ein Schritt in die richtige Richtung, aber kein Schlusspunkt.» Dabei geht es jeweils um wenige hundert Dollar. David Syz ist pessimistisch: «Einer von hundert, der einen solchen Kredit erhalten hat, kann etwas daraus machen. Bei den anderen passiert nichts.»
«Eine gute Sache»
Am Schluss des Films versucht der Ökonom de Soto sich dann doch noch für die Globalisierung stark zu machen. «Globalisierung ist noch immer eine gute Sache. Sie bringt die Menschen näher zusammen, über Nationalismus und Religionen hinweg. Wer wirklich globalisiert ist, wird auch in Zukunft stärker sein als jene, die nicht globalisiert sind.» Aber natürlich, sagt er auch, sei er nicht zufrieden mit einem System, das 70 Prozent der Bevölkerung vergesse. David Syz sagt: «Ich bin pessimistisch geworden.»
Strassenkino
Seine Filme haben Erfolg, auch in Entwicklungsländern. Einmal zeigte er einen seiner Filme in den Strassen von Dakar. Eine riesige Leinwand wurde aufgebaut, Stühle aus benachbarten Häusern wurden auf die Strasse gestellt – alles perfekt organisiert ... von Ordnungskräften der Muslimbrüder.
Journa21: David Syz, wieso drehen Sie Filme?
David Syz: «Ich möchte die Leute sensibilisieren, sie dazu bringen, sich zu engagieren. Ich sagte mir, ich will der jungen Generation die Probleme aufzeigen. Ich bin sicher 300 Mal in Schulen in der ganzen Schweiz aufgetreten, habe meine Filme gezeigt und mit den Klassen angeregt diskutiert.
Ich habe im Seco sehr viel gelernt. Dieses Wissen will ich weitergeben. In der Wirtschaft dominiert die Betriebswirtschaft, von Volkswirtschaft haben viele keine Ahnung.
Ursprünglich wollte ich die Parlamentier und Parlamentarierinnen in Bern sensibilisieren und ihnen das Problem der Globalisierung näherbringen. Ich sah oft, was für ein kompletter Unsinn im Bundeshaus erzählt wird. Doch dann habe ich gemerkt, dass diese Leute gar nicht zuhören wollen. Einmal zeigte ich einen meiner Filme in der Wandelhalle. Nur ganz wenige schauten zu. Parallel dazu fand eine Lobby-Veranstaltung der Schokoladenindustrie statt. Die Abgeordneten zogen es vor, dort dabei zu sein.»
Globalisierung in der Krise
Gewinner und Verlierer im Welthandel
Ein Film von David Syz
Regie: Heikko Böhm
Kamera: Simon Usteri
Produzenten: Patrick M. Müller, David Syz
Schnitt: Felix Balke
Produktionsleitung: Noira Daviet
Produktion ecodocs ag