Von allen Seiten werden Attacken auf den Landschaftsschutz geplant. Bauen ausserhalb der Bauzonen soll wieder erleichtert werden. Der Bund überarbeitet das Raumplanungsgesetz. Die Zubetonierung der Landschaft geht unterdessen in hohem Tempo weiter.
Kantönligeist in der Raumplanung
Eigentlich gibt es seit 1969 einen Raumplanungsartikel in der Bundesverfassung. Doch, wie üblich in der föderativen Schweiz, liegt die Ausführung dieser Grundsatzgesetzgebung bei den Kantonen, die ihrerseits die Kompetenzen teilweise an die Gemeinden delegieren. Somit wären nach dem Gesetz alle zur gemeinsamen Sorge für die haushälterische Bodennutzung verpflichtet. Doch das Kleingeschriebene hat seine Tücken: Wie diese Aktivitäten koordiniert und „auf die gewünschte Entwicklung des Landes ausgerichtete Raumordnung interpretiert und verwirklicht“ werden, dieser hehren Verpflichtung kommen Walliser, Zuger oder Zürcher in leicht unterschiedlicher Manier nach. Kantönligeist eben.
Die Zielsetzungen der Raumplanung sind zwar formuliert, doch wie sind die Bedürfnisse der wachsenden Gesellschaft dabei zu berücksichtigen? Siedlungswachstum auf Kosten der Land(wirt-)schaft, Gebäude- und Strassenbau – die verschiedensten Nutzungsansprüche führen zu Interessenkonflikten, die umso grösser werden, je kleiner die verbleibenden Grünflächen zusammenschrumpfen. Die Schonung der Natur und Landschaft ist eine Herkulesaufgabe. Die Erfordernisse der Raumplanung geraten immer wieder zwischen Hammer und Amboss, in diesem Fall zwischen Hoch-, resp. Tiefbau und Landschaftsschutz, resp. Natur- und Heimatschutz.
Skandalöses Wachstum ausserhalb der Bauzonen
In den letzten 25 Jahren ist die überbaute Fläche im Land innerhalb der ausgeschiedenen Bauzonen um 26 Prozent (398 Quadratkilometer) gewachsen. Dass das Wachstum ausserhalb dieser Bauzonen im der gleichen Zeit 19 Prozent (186 Quadratkilometer) betrug, ist erklärungsbedürftig.
Pro Natura verweist darauf, dass sich die Gebäudearealflächen der Landwirtschaft in diesem Zeitraum nahezu verdoppelt haben. Dies ist ein Beispiel der Interpretationsvielfalt der lokalen Bauordnungen. Immer weniger Bauern, dafür immer mehr (landwirtschaftliche?) Gebäudeflächen – „ein Skandal“, findet Pro Natura.
Die nächste Revision des Raumplanungsgesetzes
Umweltministerin Doris Leuthard und ihre Crew arbeiten seit Monaten an dieser Revision von grosser Tragweite. Dass das Uvek dabei den Kantonen zu mehr Flexibilität verhelfen will, ist erstaunlich. Statt einer Eindämmung dieses Trends, der in klarem Widerspruch zur Gesetzgebung steht, geht es in die andere Richtung. Die „regionalen Bedürfnisse“ sollen wieder vermehrt berücksichtigt werden.
Da fragt sich manch einer: Welches sind denn diese Bedürfnisse und aus welcher Ecke werden sie vorgebracht? Man braucht nicht Raimund Rodewald (Geschäftsführer der Stiftung Landschaftsschutz) zu heissen, um von einer klaren Verschlechterung des status quo zu sprechen.
Zuger Agitation gegen Natur und Heimatschutz
Aus der Innerschweiz, genauer aus FDP-Kreisen Zug, kommt ein Vorstoss von Joachim Eder, der es auf die Gutachten der ENHK (Eidgenössische Natur- und Heimatschutz-Kommission) abgesehen hat. Diese sollen ihren verbindlichen Charakter verlieren. Eder fordert noch mehr: Es soll künftig auch kein nationales Interesse mehr geltend gemacht werden können, um in geschütztem Gebiet bauen zu können. Er will damit verhindern, dass „gegen jeden Betonklotz Klage eingereicht werden könne“.
Über diese Begründung liesse sich trefflich diskutieren. Jedenfalls ist jetzt die Raumplanungskommission des Ständerats gefordert. – Welches sind wohl dort die Betonklotz-Hauptprotagonisten?
Wer bezahlt die Zersiedelung?
Natürlich dreht es sich bei all diesen Fragen ums Geld. Das Bundesamt für Raumplanung hat anfangs 2017 eine Studie vorgestellt, die nachweist, dass die Zersiedelung der Schweiz, das „Häuslebauen“ draussen in den Dörfern, die Öffentlichkeit (die Steuerzahler) immer mehr kostet. Denn: die grassierende Zersiedelung und das verherrlichte Landleben werden über die Steuern subventioniert.
2013 hat das Stimmvolk der Schweiz das neue Raumplanungsgesetz gutgeheissen. Die Beschränkung der Baulandreserven und die Rückzonung überschüssigen Baulands waren Kernelemente; die Unterscheidung von Bauzone und Nichtbaugebiet offenbar von der Mehrheit gewünscht. Keine vier Jahre später laufen die Attacken gegen „das Volk“. Das Bundesamt für Raumentwicklung stellt fest, dass jährlich Hunderte neuer Wohnhäuser auf geschütztem Gebiet erstellt werden. Die oben erwähnte Revision wollte unser Kulturland besser schützen. Ist das so falsch?
Die hoch problematischen Liberalisierungswünsche auf der Traktandenliste des Bundesrats und Parlaments, sie widersprechen klar den 2013 gutgeheissenen Schutzbestimmungen. Wenn heute dafür geworben wird, dass z. B. die unzähligen, von der Landwirtschaft nicht mehr benötigten Scheunen und Ställe in Ferienhäuser umgebaut werden können – wo würde das hinführen? Auch die Idee nach mehr Baufreiheiten für die Landwirtschaft in ihrer Zone wurde damals klar abgelehnt. Die versuchte Wiedereinführung durch die (Stall-)Hintertür ist eine schlichte Lobby- Zwängerei.
Dass die Bauern ebenfalls nicht einverstanden sind mit der Stossrichtung dieser Auflockerungsattacken, erstaunt nur vordergründig. Des Rätsels Lösung: Sie sind gegen die Strafen, die bei illegalem Bauen ausserhalb der Bauzonen vorgesehen sind.
Verschärfung der Lex-Koller?
Nur indirekt, aber dennoch, hat die Frage der vorgesehenen Verschärfung der Lex-Koller mit dem Thema Landschaftsschutz zu tun. Dieses Bundesgesetz (Bundesgesetz über den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland) verbietet Ausländern den Erwerb von Wohnliegenschaften, sei es als Renditeobjekt oder als Zweitwohnung. Wie die gelebte Praxis aussieht, wissen wir alle.
Man kann darüber streiten, ob für die vorgeschlagene Revision tatsächlich kein Grund bestehe, wie Economiesuisse der Meinung ist. Und wenn ausgerechnet der Verband der Immobilien-Investoren gar von einem „unwürdigen Trick“ spricht, müssten wir hellhörig werden. Längst kaufen Ausländer landauf, landab Liegenschaften – Wohnhäuser und Geschäftsliegenschaften, der Beispiele sind unzählige. Mit welchen „Tricks“, um das Wort des Immobilien-Investoren-Verbands zu gebrauchen, lassen wir offen. Darum geht es nicht.
Worum geht es dann? Jede Investition in Liegenschaften, die steigende Nachfrage nach dieser Anlagemöglichkeit, verstärkt mit einer gewissen Verzögerung den ständig steigenden Druck auf die schwindende grüne Landschaft. Es spielt dabei keine Rolle, ob fremdes oder einheimisches Geld. Doch wenn in diesen turbulenten Zeiten des Anlagenotstandes ausländische Investoren in grossem Stil beginnen, sich die Schweiz als „safe haven“ auszusuchen, um hierzulande aus-, um- oder neu zu bauen, läuft das den Zielsetzungen der Raumplanung zuwider.
Erinnert sei in diesem Zusammenhang an die kürzlich publizierte Medienmitteilung: „Da baut sich ein Ausländer sein Dorf“ (gemeint ist Vitznau). Oder an die Situation an der Piazza in Ascona: Gleich reihenweise werden Hotels durch Investoren aus den Erdölstaaten „übernommen“ (worauf sich die händereibenden Verkäufer sofort hinter den Bau von Mehrfamilienhäusern machen, um das kassierte Geld anzulegen).
Misswirtschaft mit unserer Biodiversität
Stefan Eggenberg, Direktor von Info Flora, fordert in einem eindrücklichen Aufruf in der NZZ von uns allen mehr Druck auf die Politik, denn, so schreibt er, „wir betreiben Misswirtschaft mit unserer Biodiversität“. Natur und Landschaft sind ein grosses und enorm wichtiges Kapital der Schweiz, meint der Direktor des nationalen Daten- und Informationszentrums für Wildpflanzen sicherlich zu Recht. Seiner Erfahrung nach sind die Biodiversitätsverluste in unserem Land „erschreckend“. Auch Biodiversität gehört zum Thema Landschaft. Ein Drittel der einheimischen Pflanzenarten musste in den letzten Jahrzehnten auf die neue Rote Liste der gefährdeten Pflanzen aufgenommen werden, da sie enorme Bestandesverluste erlitten haben.
Eggenberg sieht eines der grössten Probleme beim unsachgemässen Stickstoffeinsatz der Landwirtschaft, gemeint ist das Ammoniak, das aus der Gülle in die Luft entweicht, was dazu führt, dass die ursprünglichen Standortunterschiede verschwimmen. Damit werden Landschaften immer austauschbarer, die Pflanzenwelt immer einheitlicher.
17 von 18 Zielen nicht erreicht
Simona Kobel, Pro Natura, erinnert daran, dass der Bundesrat vor fünf Jahren die Strategie formulierte, um die Biodiversität zu fördern. Nur: 17 der 18 gesetzten Ziele wurden nicht erreicht. Ein niederschmetternder Befund.
Warum ich diese Beispiele überhaupt erwähne? Die Folgen dieses Trends sind nicht nur ein Luxusproblem, wie viele meinen. Am Hochwasser im Emmental vom Juli 2014 wurde klar, dass in jener Gegend – vor 150 Jahren noch eine Moorlandschaft – früher solche ausserordentlichen Regenmengen wie von einem riesigen, natürlichen Schwamm aufgesogen wurden. Heute ist die Landschaft entwässert; über Drainagen fliesst das Wasser direkt in die Bäche, was zu solchen katastrophalen Hochwassern führt. Intakte Ökosysteme repräsentieren eben auch einen Wert in Franken und Rappen.
Wir alle können uns involvieren. Es geht um unsere Lebensgrundlage: saubere Luft, sauberes Wasser. Dies sollten wir nicht nur den Politikern und Lobbyisten zur Beurteilung überlassen.