Der weltberühmt gewordene amerikanische Whistleblower Edward Snowden, der vor zwei Jahren westlichen Medien Dokumente über flächendeckende – zum Teil illegale – Datensammelpraktiken des US-Geheimdienstes zugespielt hatte, hat in der vergangenen Woche die Hoffnung geäussert, in der Schweiz Asyl zu finden. Er gab seine Erklärung in einer Skype-Schaltung aus Moskau am Genfer Filmfestival über Menschenrechte ab, wobei er darauf hinwies, dass er als Geheimdienstmitarbeiter der amerikanischen Botschaft mehrere Jahre in Genf gewohnt habe.
Falls ein solcher Antrag vorliegt oder noch eintrifft, sollte die Schweizer Regierung ihn wohlwollend prüfen und wenn immer möglich positiv beantworten. Weshalb? Snowden hat gewichtige Informationen über Abhörpraktiken amerikanischer und anderer verbündeter Geheimdienste enthüllt. Doch damit ist er keineswegs schon als niederträchtiger Vaterlandsverräter überführt, wie einige Kritiker meinen. In einigermassen funktionierenden demokratischen Staaten sollten die Öffentlichkeit oder zumindest die gewählten Volksvertreter wissen, in welchen Dimensionen die Geheimdienste Informationen über die eigenen Bürger abzapfen und speichern dürfen. Die Uferlosigkeit dieser behördlichen Sammelwut, über die Snowdens Dokumente aufklären, hat selbst eine so beherrschte Politikerin wie die deutsche Bundeskanzlerin Merkel zum Protest getrieben – auch ihr Mobiltelefon wurde abgehört.
Leider gibt es bisher keine Indizien, dass die amerikanischen Behörden den Whistleblower Snowden anders als einen kriminellen Verräter behandeln würden, falls er ihnen in die Hände fallen sollte. Die drakonische Härte, mit der der US-Soldat Bradley Manning wegen seiner – ähnlich gelagerten – Whistleblower-Aktivitäten behandelt und verurteilt worden ist, machen Snowdens Flucht nach Moskau verständlich. Präsident Obama hat keinerlei Bemühungen erkennen lassen, Snowden freies Geleit zu einer ernsthaften Anhörung vor einem Kongressgremium zu garantieren, obwohl er zunächst von der Nützlichkeit einer breiten Diskussion über dessen Enthüllungen gesprochen hatte.
Umso peinlicher bleibt es für die sogenannte freie Welt, dass Snowden ausgerechnet in Putins autokratischem Russland Zuflucht suchen muss. Wenn die amerikanische Regierung nicht die Grosszügigkeit aufbringt, diesen Geheimdienst-Analytiker grundsätzlich als das anzuerkennen, was er mit hoher Wahrscheinlichkeit ist – nämlich ein Staatsbürger mit ehrlicher Sorge über die unkontrollierte Totalüberwachung der Bürger –, dann sollten wenigstens andere demokratische Länder mit humanistischer Tradition ein besseres Beispiel setzen. Die Schweiz als neutrales Land könnte sich damit verdient machen, auch wenn das einige Risiken nach sich zieht. Selbst in den USA dürfte das auf breiteres Verständnis stossen. Immerhin ist der eindringliche Film von Laura Poitras über Edward Snowden dieses Jahr in Hollywood als bester Dokumentarstreifen ausgezeichnet worden.