Können die bevorstehenden Friedensgespräche den Bürgerkrieg beenden? So schön es wäre, so unwahrscheinlich ist es. Erste Schritte allerdings sind nicht unmöglich.
Genf II wird stattfinden, zuerst in Montreux, dann in Genf. Kurz vor dem Beginn wurde klar, dass auch die Exilpolitiker Syriens, die sogenannte Nationale Koalition (genauer der eine ihrer beiden wichtigsten Flügel), vertreten sein werden. Früher hatten sie noch mehrmals erklärt, sie würden sich nicht an den Gesprächen beteiligen, wenn auch Asad dabei sei. Sie hatten verlangt, dass eine Teilnahme für sie nur in Frage käme, wenn garantiert sei, dass Asad abtrete. Asad sitzt fester im Sattel denn je - und die Nationale Koalition kommt dennoch.
Asad denkt nicht daran abzutreten
Die Amerikaner und die Russen haben die Koalition unter Druck gesetzt. Die USA gingen so weit, sie zu warnen. Wenn sie nicht käme, könnten sie ihre Hilfe an "die syrische Opposition" einstellen. Aussenminister John Kerry erklärt, die USA seien immer noch der Meinung, Asad müsse abtreten. Doch das sind wohl Lippenbekenntnisse. Ihr Ziel ist es, die Koalition an den Verhandlungstisch zu bringen.
Es steht heute schon fast sicher fest, dass Asad und sein Regime vertreten sein werden und dass sie nicht daran denken abzutreten. Im Gegenteil, sie befinden sich in einer besseren Lage als je seit dem Beginn des Aufstandes. Die Rebellen kämpfen blutiger und verlustreicher gegeneinander als gegen Asad. Die syrische Armee ist dabei, die Widerstandsnester rund um Damaskus, Vorstadt um Vorstadt und Slum um Slum auszuhungern. Seit Monaten werden sie umzingelt, beschossen und zur Übergabe gezwungen.
Wer leitet das Übergangsregime?
Formell bestehen die Amerikaner darauf, dass Genf II eine Folgekonferenz von Genf I sei. Damals, am 30. Juni 2012, hatte die erste Syrien-Konferenz in Genf sich zum Ziel gesetzt, ein Übergangsregime in Syrien zu errichten. Amerikaner und Russen stimmten dem zu. Die Rede war von einem "Syrian led political process".
Doch die Resolution spricht nicht davon, wer dieses Übergangsregime zu leiten habe. Heute erklären die Syrer sowie die Verbündeten der Asad-Regierung, dies sei Präsident Asad und seine "legale" Regierung. Die Amerikaner mögen dies anders verstehen. Sie sind der Ansicht, dass in der vorgesehenen Übergangsregierung Asad keine Rolle mehr spielt - oder zumindest eine untergeordnete. Die USA verlangen, dass auch Asads Gegner in der Übergangsregierung vertreten sind.
Doch Asad und seine Freunde sehen das anders. Für sie soll es 2014 in Syrien Wahlen geben, vielleicht auch "Reformen", doch werden Asad und seine Regierung es sein, die diese Wahlen und möglichen Reformen durchführen.
Umschwung zugunsten Asads
Für das Asad-Regime stellte im vergangenen August die erfolgreiche Giftgas-Diplomatie der Russen einen Wendepunkt dar. Moskau stellte sicher, dass die Amerikaner (und mit ihnen die Europäer) nicht mit Waffengewalt gegen Syrien vorgehen würden. Diese Sicherheit bedeutete für Asad und seine Anhänger einen entscheidenden Umschwung. Das Regime sah sich ermutigt und gefestigt.
Die Opposition wurde gespalten. Ihre säkularen Widerstandskräfte fühlten sich verraten. Sie hatten darauf gehofft, dass es früher oder später zu einem libyschen Szenario kommen könnte. Oder – wenn nicht – so würde die westliche Seite doch immerhin der Opposition mehr und mehr helfen.
Der Verzicht des Westens, in Syrien militärisch einzugreifen, stärkte die Position der Islamisten innerhalb des Widerstandes. Sie besassen weiterhin Partner in Saudi-Arabien und im Golf. Sie hatten Geld, Waffen und Motivation, den Krieg fortzuführen. Mehr und mehr Kämpfer neigten nun ihnen zu. Doch dann, in jüngster Zeit, seit Dezember, wurde das islamistische Lager geschwächt, weil immer mehr interne Kämpfe ausbrachen.
Klare Ziele Russlands und Irans
Die Ausgangspositionen für Montreux und Genf sehen so aus: Russen und Iraner wissen, was sie wollen. Sie haben ihre Position zäh beibehalten. Sie kämpfen dafür, dass das Asad-Regime weiter besteht. Ihre Gründe dafür sind unterschiedlich. Für Iran geht es um seine Brücke nach Libanon zu Hizbullah und um das Fortbestehen des alten Bündisses mit dem Syrien der Asads. Es geht für Teheran auch generell um die iranische Position im arabischen Nahen Osten, sowie – wohl immer mehr – um den Widerstand gegen Saudi-Arabien und dessen Krieg gegen den Schiismus.
Für die Russen geht es um das Prinzip: Regime-Wechsel durch "Freiheitskämpfer" sind zu vermeiden, dies sowohl in der nächsten Umgebung Russlands, lies Ukraine, Kaukasus, aber auch gewissermassen präventiv etwas ferner, lies Syrien. "Freiheitskämpfer" sind in der russischen Sicht "Terroristen", und Terroristen werden durch das westliche Ausland eingeschleust und animiert.
Die Russen wissen, dass „islamische Terroristen“ auch vom Westen gefürchtet, ja bekämpft werden. Dies gibt Moskau Spielraum. Die Russen können versuchen, ihre westlichen Konferenzteilnehmer als Partner zu gewinnen, indem sie auf das gemeinsame Interesse verweisen, das darin besteht, den "islamischen Terroristen" in Syrien das Handwerk zu legen.
Abbröckelnde westliche Positionen
Die Haltung des Westens (das heisst der Amerikaner und Europäer) ist weniger konsequent. Sie ist auch gefächerter, weil es sich um viele diplomatische Zentren handelt, die nur mehr oder weniger koordiniert vorgehen.
Die westliche Meinung war früher, "Asad muss gehen. Ein Staatsoberhaupt, das auf seine eigene Bevölkerung schiesst und sein eigenes Land zerstört, soll nicht weiter regieren!" Doch als Asad nicht ging, weichten sich die westlichen Forderungen auf. Asad sah sich nicht gezwungen zu gehen. Seine alawitisch dominierte Armee und seine Sicherheitskräfte stehen weiter hinter ihm - auch Teile der syrischen Bevölkerung, Minderheiten und Regimegünstlinge. Zudem wird er entscheidend von aussen unterstützt: von Russland, Iran und China.
"Früher oder später"
Die westlichen Diplomaten scheinen noch immer an ihrer bisherigen Meinung festzuhalten: Asad muss gehen. Sie fügen aber hinzu: "früher oder später". Was heisst: Zunächst kann er bleiben. Immerhin wird die westliche Seite versuchen, darauf zu dringen, dass Asad nicht völlig unkontrolliert an der Macht bleiben kann.
Falls die Russen dem zustimmen, würde das wohl bedeuten, dass einmal mehr Friedenstruppen und Uno-Beobachter ins Spiel gebracht werden könnten, wie zu Beginn der Unruhen ab Dezember 2011.
Doch die syrische Regierung hat bereits klar gemacht, dass sie keine derartige Intervention von neutraler Seite dulden werde. Die Russen und die Iraner sowie die Chinesen dürften diese Forderung unterstützen. Zu Beginn der Unruhen war vorgesehen, dass die Arabische Liga und dann die Uno Beobachter nach Syrien schickt. Schon damals wehrte sich Damaskus dagegen. Heute haben sich die Positionen weiter verhärtet. Damaskus ist sich sicher, dass Russland hinter Asad steht. Ebenso sicher ist man sich in Syrien, dass die Amerikaner nicht eingreifen werden. Aus diesen Gründen dürfte Damaskus noch entschiedener als bisher auf seine eigene „Souveränität“ pochen.
Gibt es noch amerikanische Druckmittel?
Welche Druckmittel haben die Amerikaner noch? Kerry hat bereits erklärt, dass im Falle eines Scheiterns der Konferenz der Westen über "weitere Druckmittel" verfüge. Als solche kämen wohl verschärfte Boykottmassnahmen in Betracht.
Doch ob solche in Syrien überhaupt noch greifen würden, wo das Regime sich ohnehin völlig auf die Russen und die Iraner abstützt, ist fraglich. In Iran haben die Boykottmassnahmen der Amerikaner deshalb gewirkt, weil auch die Russen mitmachten, und wichtiger noch, weil die iranischen Erdölexporte stark eingedämmt wurden, weil die USA den internationalen Zahlungsverkehrt mit Iran unterbunden hatten.
Die Angst der Saudis vor der Demokratie
Saudi-Arabien und die Golfstaaten verfolgen nicht die gleichen Ziele in Syrien wie die USA und "der Westen". Sie werden wohl die Rebellen weiter unterstützen. Dazu gehören auch jene Gruppen, die sich der Qaeda angeschlossen haben, sowie die Nusra-Front und ISIS. Solange diese gegen Asad kämpfen (und im Falle von ISIS auch gegen Maleki im Irak) gelten sie nicht als Feinde – vorausgesetzt natürlich, sie werden nicht in den eigenen Ländern, in Saudi-Arabien und am Golf, aktiv.
Die Golfstaaten sind überzeugt, die Qada, die Nusra-Front und ISIS seien in ihren eigenen Ländern neutralisiert. Was sie fürchten, sind vielmehr einerseits "die Schiiten" und anderseits Demokratien in arabischen Bruderstaaten – vor allem in Ägypten. Doch auch in Syrien würden sie eine demokratische Entwicklung nicht gern sehen. Sie fürchten, dass arabische Demokratien ihr eigenes politisches System – jenes des islamisch verbrämten Absolutismus – erschüttern könnten.
Dem "iranischen" Schiismus hat sich Riad offen entgegengestellt. Über die "arabische Demokratie" wird geschwiegen, sie wird heimlich bekämpft.
Der saudische "Krieg gegen die Schiiten"
Syrien ist für Saudi-Arabien und ähnlich gesinnte Erdölstaaten am Golf zum Schauplatz des "Krieges gegen den Schiismus" geworden. Dieser Krieg droht sich auf den Irak auszudehnen. Im Zusammenhang mit ihm stehen auch Mordanschläge in Libanon. Diesen Kampf wollen die Saudis nicht aufgeben. Wenn Syrien dabei zugrunde geht, nehmen sie das in Kauf.
In Montreux und Genf werden die Saudis eine dritte Kraft bilden. Einerseits sind sie kritisch gegenüber den Amerikanern eingestellt. Ihnen werfen die Saudis vor, sie seien dabei, ihren alten Verbündeten, Saudi-Arabien, im Stich zu lassen und sich ihrem Feind, Iran, zuzuwenden. Anderseits aber stehen die Saudis auch Russland kritisch gegenüber. Moskau werfen sie vor, Asad an der Macht zu halten.
Selbst wenn die Russen und die Amerikaner sich in Genf-Montreux zu einer gemeinsamen Haltung gegenüber Syrien durchringen sollten, dürften die Saudis und ihre Verbündeten zunächst weiter die islamistischen Kämpfer in Syrien unterstützen, um ihren "Krieg gegen den Schiismus" weiter zu führen. Diese Kampftruppen, die Genf ohnehin ablehnen, könnten dann versuchen, eine eventuelle russisch-amerikanische Einigung zu torpedieren. Doch eine solch russisch-amerikanische Zusammenarbeit ist zurzeit nicht mehr als eine theoretische Möglichkeit. Nichts deutet auf sie hin.
Rache an den Rebellen
Etwas realistischer ist die Absicht, lokale Waffenstillstände in Syrien zu verwirklichen. Die Vorschläge dazu kommen von Moskau und Damaskus. Die Frage ist, ob sichergestellt werden kann, dass nach den Waffenstillständen auch die Rebellen weiterhin über die politische Zukunft Syriens mitreden können.
Die Gefahr besteht, dass nach dem jeweiligen lokalen Waffenstillstand die syrischen Geheimdienste an die Macht zurückkehren und die volle Übernahme des jeweiligen Gebietes vorbereiten. Sie werden wohl auch Rache an den Rebellen nehmen – und niemand wird da sein, um sie daran zu hindern.