Was Nicolas Sarkozy wohl getan hat, als er nach diesem Urteilsspruch, aus seiner Sicht ein unverzeihlicher Affront, in das sorgsam behütete Luxusanwesen von Carla Bruni im 16. Pariser Nobelarrondissement zurückgekehrt war? Ist er völlig ausser sich die schweren Vorhänge hinaufgeklettert und hat sie heruntergerissen? Hat er zwei oder drei Tafeln Schokolade verschlungen, um die Nerven zu beruhigen, damit das übermässige Zucken seiner Schultern wieder zum normalen Rhytmus zurückfindet? Ganz abstellen lässt es sich ohnehin nicht.
Auf Carla zu Hause jedenfalls war Verlass. Nur drei Stunden nach dem Urteil hat sie ihre Instagramseite angeworfen und unter dem Hashtag „Injustice“ (Ungerechtigkeit) die denkwürdigen Sätze geschrieben: „Welch unsägliche Verbissenheit gegen Dich, mon amour! Der Kampf geht weiter, die Wahrheit wird ans Licht kommen!“
Ein Berg von Affären
Na dann, auf zum Kampf! Der wird allerdings ein langer werden. Fast neun Jahre nachdem Nicolas Sarkozy nach seiner Wahlniederlage gegen François Hollande den schützenden Élyséepalast verlassen und damit auch seine juristische Immunität abgeben musste, ist die Angelegenheit, in der jetzt das Urteil in erster Instanz gesprochen wurde, nur eine von sage und schreibe zehn Affären, in denen sich die französische Justiz seit 2012 für den ehemaligen Staatspräsidenten interessiert oder interessiert hatte.
So viel Arbeit mit einem ehemaligen Staatsoberhaupt hatten Frankreichs Untersuchungsrichter und Staatsanwälte zuvor noch nie gehabt. Zwischenstand der langwierigen Ermittlungen: Nicolas Sarkozy ist in einer Affäre nun verurteilt, in zwei weiteren bereits angeklagt, in vier anderen könnte es noch zur Anklage kommen, in drei Fällen hat die Justiz die Verfahren eingestellt.
Bestechung, Wegwerfhandys, falscher Name
In der Angelegenheit, in der Sarkozy nun verurteilt wurde, ging es darum, dass der ehemalige Präsident 2014 gemeinsam mit seinem Freund und langjährigen Anwalt, Thierry Herzog, versucht hatte, einen obersten Richter am Pariser Kassationsgericht zu bestechen. Selbiger, Gilbert Azibert, ein mit allen Wassern gewaschener und bestens vernetzter Magistrat kurz vor der Pensionierung, sollte ihnen Informationen liefern aus laufenden Ermittlungen in einer anderen Affäre, in die Sarkozy verstrickt war: die Bettencourt-Affäre, in der er verdächtigt wurde, bei der Multimilliardärin und L’Oréal-Erbin Lilianne Bettencourt für seinen Wahlkampf und vor seinem Wahlsieg 2007 Bargeld abgeholt zu haben, letztlich aber freigesprochen wurde.
Sarkozy wollte vor allem, dass seine Terminkalender, die in dieser Affäre beschlagnahmt worden waren, ihm wieder rückerstattet werden und nicht in einer weiteren, in der sogenannten Libyen-Affäre, gegen ihn verwendet werden könnten. Richter Azibert sollte herausfinden, wie die damit befassten Richter zu handeln gedächten und gegebenenfalls auf sie einwirken. Als Gegenleistung hatte Präsident Sarkozy versprochen, Richter Azibert für seine letzten Berufsjahre zu einem gutbezahlten Posten unter der Sonne von Monaco zu verhelfen, einen Posten, den er letzten Endes aber nicht bekommen hat.
Bekannt wurde die ganze Geschichte durch abgehörte Telefongespräche zwischen Sarkozy und seinem Freund und Anwalt Thierry Herzog im Rahmen einer dritten, in der Libyen-Affäre. Beide waren sich bewusst, dass ihre normalen Telephone angezapft waren. Also hatte Anwalt Herzog für sich und Freund Sarkozy zwei Wegwerfhandys erworben, sie auf den Namen eines alten Schulfreundes, Paul Bismuth, angemeldet und auf diesen Linien mit dem Ex-Präsidenten dann in aller Offenheit geplaudert.
Im Grunde haben sich beide dabei nicht anders verhalten als die Drogendealer, die in den Pariser Vororten, nur ein paar Steinwürfe vom neuen Justizpalast entfernt, auf dieselbe Art miteinander kommunizieren, um von der Polizei nicht belästigt zu werden. Im Fall von Sarkozy und Herzog hatte die Polizei jedoch auch die Wegwerfhandys entdeckt und abgehört.
Der Untaten bewusst
Das Gericht, das jetzt ein historisches Urteil gesprochen hat – noch nie wurde ein Präsident der Fünften Republik wegen Bestechung verurteilt – sah es nach den jahrelangen Ermittlungen jetzt als erwiesen an, dass der Ex-Präsident, sein Anwalt und der oberste Richter einen Bestechungspakt geschlossen hätten.
Erschwerend, so befanden die Richter, komme hinzu, dass Nicolas Sarkozy, der während seiner Amtszeit laut Verfassung der oberste Wächter über die Unabhängigkeit der Justiz gewesen war, sich seiner Rolle als Ex-Präsident bedient habe, um via Bestechung in ein laufendes Verfahren einzugreifen. Zudem sei der Verurteilte schliesslich von Beruf auch noch Rechtsanwalt und hätte sich von daher um so mehr seiner Untaten bewusst sein müssen. Sarkozy, sein Anwalt und der Richter haben alle drei dasselbe Strafmass von drei Jahren Haft, davon zwei auf Bewährung, bekommen, Anwalt Herzog dazu noch ein schmerzliches Berufsverbot von fünf Jahren.
Verachtung für die kleinen Erbsen
Nicolas Sarkozy hat vor, während und jetzt nach dem Prozess sich stets so geäussert, als sei es eine schlichte Zumutung, eine Frechheit, ja ein Skandal, dass man ihm, als ehemaligem Präsidenten, überhaupt den Prozess mache. Die Anklage basiere auf einem Gerüst aus Lügen und sei ohnehin in erster Linie eine politische Verschwörung gegen ihn.
Nach der Urteilsverkündung stimmten auch prompt sämtliche Tenöre seiner Partei Les Republicains dieselbe Melodie an und bestärkten weiter die Legende, welche Nicolas Sarkozy schon als amtierender Präsident regelmässig in die Welt gestzt hatte: Untersuchungsrichter und Staatsanwälte in Frankreich seien mehr oder weniger allesamt rote Socken. Kaum war er damals 2007 im Amt des Staatspräsidenten angekommen, hatte Sarkozy sie als kleine Erbsen bezeichnet und über die Jahre hinweg immer wieder seine Verachtung gegenüber ihrem Berufsstand zum Ausdruck gebracht.
Nächste Affäre, nächster Prozess
Gerade mal 14 Tage darf sich der ehemalige Präsident nun ausruhen, bevor er schon wieder in den lichtdurchfluteten Hallen des von Renzo Piano erbauten neuen Justizpalastes in Paris erscheinen muss. Diesmal in der sogenannten Bygmalion-Affäre. Da ist Nicolas Sarkozy der illegalen Finanzierung seines verlorenen Wahlkampfs 2012 angeklagt.
Er und der Wahlkampfstab seiner Partei hatten die erlaubten Kosten von 23 Millionen Euro damals um satte 20 Millionen Euro überschritten und zwar auf recht perfide Art. Die Partei stellte hunderte fiktive Rechnungen für Beratertätigkeiten, Seminare oder Reisen aus über Summen, mit denen letztlich Wahlkampfkosten finanziert wurden. Sarkozy beteuert, dass er sich als damals amtierender Staatspräsident im Wahlkampf um Dinge wie Kosten und Geld nicht gekümmert und von dem Ganzen nichts gewusst habe.
Und das Geld von Ghadaffi?
Und irgendwann wird es auch zum sicherlich heikelsten Prozess gegen Nicolas Sarkozy kommen. Nach mehr als zehnjährigen Ermittlungen ist er seit 2018 wegen Bestechung und seit letztem Jahr sogar auch wegen Bildung einer kriminellen Organisation angeklagt und zwar in der Libyen-Affäre. Die Untersuchungsrichter sind überzeugt, ausreichend übereinstimmende Beweise zu haben, wonach Nicolas Sarkozy für seinen siegreichen Wahlkampf 2007 in den zwei Jahren davor Millionenbeträge von Ghadhafi bekommen hatte.
Die Ermittlungsakten lesen sich wie ein Kriminalroman mit allen Ingredenzien: Geldboten mit gefüllten Koffern, flüchtende Vermittler, Geheimdienstmitarbeiter und mindestens ein Toter. Kommt es wirklich zu der Verhandlung, wird man dabei über eine echte Staatsaffäre zu Gericht sitzen, in deren Hintergrund der absolut groteske sechstägige Staatsempfang Ghadhafis in Paris Ende 2007 schwebt, vor allem aber die von Sarkozy betriebene militärische Intervention in Libyen 2011, die mit dem Tod Ghadhafis endete.