Der Unterschied zwischen beiden wirft ein aufschlussreiches Licht auf Innovationen im 21. Jahrhundert.
Der Dieb
Gewiss, es gibt Ähnlichkeiten, die ins Auge springen. Beide, Edison und Jobs, hatten keine abgeschlossene akademische Ausbildung. Beide besassen das Talent, Grossprojekte anzureissen. Beide folgten einer inneren Stimme in ihren Entscheidungen. Beide terrorisierten ihre Mitarbeiter mit ihrem wetterwendischen Temperament. Aber Jobs war kein Erfinder wie Edison, einer, der wirklich Neues schuf. Edisons Innovationen legten buchstäblich den Grund zur Elektrifizierung des modernen Lebens. Mit dem Telegraphen, dem Phonographen und dem Kinematographen revolutionierte er die Kommunikation und die Reproduktion von Tönen und Bildern. Er trug – was weniger bekannt ist - Wesentliches bei zur Verarbeitung von Eisenerz oder zum Bau von Beton-Fertighäusern. Seine Erfindungen umfassen über tausend US-Patente und ebenso viele ausländische. Dagegen sind die meisten iProdukte nicht Apple-Originale. Die folgende Anekdote sagt alles. Im Prioritätsstreit zwischen Windows und McIntosh Ende der 1990er beschuldigte Jobs Bill Gates einmal, das graphische Interface von Apple gestohlen zu haben. Gates erwiderte ruhig: „Steve, du weißt nur zu gut, dass es mehr als einen Gesichtspunkt dazu gibt. Es scheint eher so, dass wir beide bei einem reichen Nachbarn namens Xerox eingebrochen sind. Ich wollte sein TV-Set stehlen und ich stellte fest, dass du es schon geklaut hast.“
Der Tweaker
Prioritätsansprüche bei Erfindungen sind notorisch heikel. Es bringt uns eher weiter, wenn wir Jobs als jemanden betrachten, der im Englischen „Tweaker“ genannt wird, also nicht eigentlich als einen Innovator, sondern einen Verbesserer von Innovationen, einen Optimierer und Perfektionierer. Als „tweaks“ werden - primär in der Computerbranche - kleine subtile Änderungen und Feinabstimmungen des Systems bezeichnet. Genau darin war Jobs ein Meister. Er war ein besessener Verbesserer. Das ging so weit, liest man, dass er sich, todkrank und schwer sediert im Spitalbett, die Atemmaske vom Gesicht riss und die Ärzte beauftragte, ihm fünf Versionen zu bringen, damit er sozusagen seine verbleibende Zeit mit dem besten Design optimieren konnte.
Wem verdanken wir den technischen Fortschritt?
Hier stellt sich eine interessante Frage: Wird der technische Fortschritt eher von Innovationsverbesserern wie Jobs als von Innovatoren wie Edison vorangetrieben? Die beiden Wirtschaftshistoriker Ralf Meisenzahl und Joel Mokyr haben in einer Studie die These vertreten, dass die technische Vorherrschaft Englands im frühen 19. Jahrhundert hauptsächlich auf den Tweakers beruhte, auf versierten und ambitionierten Tüftlern und Ingenieuren. James Watt z.B. war ein Innovator, er erfand die moderne Dampfmaschine, er verdoppelte mit ihr die Leistung ihrer Vorgängerinnen. Aber die Verfeinerer seiner Erfindung erhöhten deren Leistung rasch auf das Vierfache. Samuel Crompton erfand einen der wohl wichtigsten Produktionsfaktoren der ersten industriellen Revolution, die Spinnmaschine („spinning mule“). Es war wiederum ein Tweaker, Richard Robert, der eine verfeinerte Version produzierte. Und zwar war das Motiv dazu die erhöhte Nachfrage der Textilfabrikanten nach einer „streiksicheren“ automatischen Spinnmaschine, die qualifizierte Arbeit durch unqualifizierte ersetzte und damit den eigentlichen technisch-industriellen Fortschritt einleitete.
Die Aura des Geräts
Die Originalität Jobs liegt anderswo. Was zeichnet iProdukte aus? Vergleichen wir zwei Computer von Apple: das schmutzigbeige Gehäuse des „Molar“, und den ersten iMac aus dem Jahre 1998, diese halbtransparente Plastikqualle in der Farbe eines australischen Strandes: Bondi-Beach. Andere Hersteller begriffen ihre Computer als Werkzeuge. Sie kümmerten sich um die elektronischen Innereien des Geräts, um Hardware und Software. Jobs führte dagegen so etwas ein wie die Lookware: das Aussehen, die Erscheinung, die Aura des Geräts. Er witterte, dass es viele Computerkäufer gab, die tatsächlich ein ozeanfarbenes Gerät wollten, und vor allem: die für die Erscheinung einen Aufpreis zu zahlen gewillt waren. Das technische Werk im Zeitalter seiner künstlerischen Reproduktion war geboren.. „Die Aura einer Erscheinung erfahren, heisst, sie mit dem Vermögen belehnen, den Blick aufzuschlagen,“ schrieb Walter Benjamin. Jobs belehnte den Computer genau mit diesem Vermögen. Der iMac schlägt den Blick zu dir auf. Jobs war ein Aura-Verkäufer.
Technoreligiosität – „machina ex deo“
Mit der Ästhetik hielt noch etwas anderes Einzug in die Computertechnologie. Jobs Charisma und die Aura der iProdukte speisen sich im Grunde aus einer weit verbreiteten Technoreligiosität. Walter Isaacsons Biografie von Steve Jobs sollte zuerst den Titel „iSteve: The Book of Jobs“ tragen. Die kalauernde Anspielung auf die Bibel war dann den Herausgebern doch eine Spur zu frivol für die frommen Amerikaner. Aber eigentlich hätte der Titel gut gepasst. Mac-Treue hat für viele Aficionados die Intensität von Bibeltreue. Man vergegenwärtige sich nur, wie der Verkauf der aktuellsten Versionen von iProdukten geradezu als Liturgie zelebriert wird, und die verzückten Besitzer der neuen Apps dahertaumeln, als wäre der Pfingstgeist in sie gefahren. Technik ist untergründig immer auch ein quasi-religiöses Geschäft. Bereits im Mittelalter wurden technische Artefakte oft ihres „göttlichen“ Ursprungs wegen bewundert, als „machinae ex deo“, und schlaue Köpfe entdeckten damals, dass die Menschen sich auf diese Weise zu einer Technikfrömmigkeit dressieren liessen, die sich in Einflussnahme und Geld auszahlte. Kein Unternehmen ist in dieser Hinsicht gewiefter als Apple. Man könnte fast vermuten, dass wir eigentlich tiefer im Mittelalter stecken als uns bewusst ist.