1991 drehte Luc Jacquet für meinen Film «Der Kongress der Pinguine» in Dumont d’Urville die grossartigen Aufnahmen der Kaiserpinguine.
Ursprünglich als Biologe zum Vogelzählen in der antarktischen Station angestellt, bekam er von seinen Vorgesetzten die Erlaubnis, gleichzeitig für meinen Film mit einer von uns zur Verfügung gestellten 35mm-Kamera nach einem Storyboard die für den «Kongress» benötigten Szenen zu drehen. Ausgebildet zum Kameramann wurde er in einem Schnellkurs von einer Woche durch Pio Corradi und Pilippe Corday. Zur Praxis drehten sie probeweise im Zürcher Zoo Königspinguine und zum Abschluss gabs eine Schlussprüfung im winterlichen Säntisgebiet: https://www.film-schlumpf.ch/PioLuc/index.htm
Dann verreiste Luc Jacquet für 14 Monate in die Antarktis und berichtete uns per Fax über seine Arbeit. Wie er und ob er überhaupt etwas auf den Film bannte, wussten wir erst, als die ersten Rollen aus der Entwicklungsmaschine in der Schweiz liefen. Luc Jacquet hatte grossartige Bilder gedreht!
Dies war auch ein Wendepunkt für sein Leben: Er wurde Filmemacher. Berühmt geworden ist sein Oskar-gekrönter Film «La marche de l’empereur» (2005). Es folgten viele weitere Filme, einige wieder in der Antarktis gedreht. Und nun sein letztes Werk «Antarctica calling – Voyage au Pôle Sud» – sein bisher subjektivstes und radikalstes Werk. Der Film erzählt in Schwarzweiss von einer Reise in direkter Linie von Patagonien bis zum Südpol – mit Auto, mit Schiff, mit Flugzeugen und zu Fuss.
Es ist ein monumentales Gedicht über die Grösse der Erde, des eisigen Kontinents und der Tierwelt, welche sich in den Eiswüsten behaupten kann. Ein subjektiver philosophischer Kommentar begleitet uns durch die mächtigen Bildwelten des Eises und Luc Jacquet ist auch im Bild fast immer anwesend, als «point de repère» als Schreiber eines Tagebuches, als Reisender, als Schauender. Damit greift er auf eine Tradition der deutschen Romantik zurück, wie wir sie etwa aus den Bildern Caspar David Friederichs kennen. Das kommt nicht von ungefähr: Der Film ist auch ein Resümee seiner Filmarbeit, die vor 30 Jahren mit den Bildern für den Kongress der Pinguine begonnen hatte und der auch die einsame Figur in der Unendlichkeit des antarktischen Kontinents thematisiert hatte.
Auf dieser Reise zum Pol begegnen wir wieder den wichtigsten Protagonisten dieses magischen Landes: den Esels-, Adélie- und Kaiserpinguinen, den Weddell- und den gefährlichen Leopardrobben mit ihren Jungen, den Blauwalen und den Albatrossen. Einmal mehr sind die Tieraufnahmen eindrücklich, und durch Luc Jacquets Gegenwart entsteht so etwas wie ein tiefes gegenseitiges Selbstverständnis zwischen Mensch und Tier. Es ist eine Art von Frieden, den es vielleicht nur in diesen für beide Seiten tödlichen Einöden geben kann. Eine besonders spektakuläre Aufnahme gelingt dem Team an einem Riss im Meereis, den die Kaiserpinguine nur mit grösster Vorsicht überqueren. Mit Grund: Plötzlich schiesst eine Leopardrobbbe aus dem Riss und die Kaiserpinguine weichen gerade noch rechtzeitig zurück.
Wenn man über diesen Film spricht, muss man dessen stilistische Konsequenz betonen. Das Schwarzweiss ermöglicht eine Konzentration auf das Wesentliche, und gerade die unendlich feinen Abschattierungen des Eises, des Meeres und des Himmels geben den Bildern eine Wucht, wie sie im bunten Universum des heutigen Kinos meistens fehlt. Nur einmal, wenn Jacquet das Wunder des Blaueises erlebbar machen will, wechselt der Film kurz zur Farbe und macht dieses rätselhafte Licht reinen Eises sichtbar. Dazu gesellt sich eine Tonspur, die es in sich hat: Stille wird hörbar, die feinen und donnernden Geräusche der Antarktis erlebbar, begleitet von der sonoren Stimme Luc Jacquets, der seine persönlichsten Gefühle angesichts der Grösse der Erde preisgibt. Die einfühlsame Musik des Komponisten Cyrille Aufort folgt und konterkariert diese laufend.
Luc Jacquets ältere Tochter Louise war als zweite Kameraassistentin bei dieser Produktion dabei und damit das erste Mal in der Antarktis. Berührend Luc Jacquets Schilderung ihrer ersten Begegnung mit Kaiserpinguinen:
«Ma fille aînée Louise m’a accompagné. Lorsqu’on s’est retrouvés face aux manchots, elle a passé sur son téléphone la musique d’Emilie Simon pour la bande originale de La Marche de l’Empereur. Enorme émotion. Plus je vieillis, plus ils m’émerveillent. On est en train de mettre en danger cette espèce au point de la rayer de la carte dans cinquante ans car elle est dépendante de la glace de mer qui se réduit à peau de chagrin. Cette idée m’est insupportable. J’ignore comment on peut redresser la barre. Céder au désespoir, c’est la pire des choses. Notre espèce a relevé des défis colossaux, a été confrontée à l’adversité et a réussi à s’en sortir. Il faut continuer de se battre et de convaincre pour qu’on s’accorde un peu de futur.»
Dies ist die Tonalität des Filmes, der uns auf eine privilegierte Reise mitnimmt, die wir in Wirklichkeit nie machen sollten!
Der Film läuft in den nächsten Tagen in mehreren Zürcher Kinos an.