Annette Schavan, Bundesministerin für Bildung und Forschung, wird von Plagiatsjägern vorgeworfen, Teile ihrer Doktorarbeit abgeschrieben und dieses Vorgehen absichtsvoll getarnt zu haben. Der Judaist Stefan Rohrbacher, der in dieser Angelegenheit offiziell mit einem Gutachten beauftragt wurde, legt Schavan „eine leitende Täuschungsabsicht“ zur Last. Für jeden promovierten Akademiker ist ein solcher Vorwurf derartig ehrverletzend, dass er ihn entweder umgehend mit einer Klage aus der Welt schafft oder sich aus allem akademischen Treiben zurückzieht.
Absurdes Theater
Umgekehrt muss auch die betroffene Universität beziehungsweise der Fachbereich, in dem die Promotion betreut worden ist, grösstes Interesse daran haben, die Angelegenheit so schnell und so zweifelsfrei wie möglich zu klären. Der Vorwurf, eine Promotion sei regelwidrig erfolgt, ist eine Havarie ersten Ranges. Damit kann kein Fachbereich leben – wenn er sich selbst ernst nimmt.
In Düsseldorf an der Heinrich-Heine-Universität und in Berlin in der Regierung aber hat man sich in der Unhaltbarkeit der ungeklärten Situation eingerichtet. Das absurde Theater wird so perfekt inszeniert und gespielt, dass das staunende Publikum schon gar nicht mehr auf die Idee kommt, die einfachsten Fragen zu stellen.
Langsame Professoren
Die erste Frage, die sich aufdrängen müsste, ist die nach der Leistungs- und Urteilsfähigkeit der heutigen Professoren an der Heinrich-Heine-Universität. Erst am 22. Januar hat sich der Fakultätsrat der Philosophischen Fakultät mit 14 Ja-Stimmen und einer Enthaltung dazu durchgerungen, das Hauptverfahren zur möglichen Aberkennung des Doktortitels zu eröffnen. Er hat also mehr als ein halbes Jahr gebraucht, um die Doktorarbeit zu prüfen und die Entscheidung zu treffen, sie jetzt richtig prüfen zu wollen. Wie langsam lesen und denken diese Herren? Was würde man zu Staatsanwälten und Richtern sagen, die für die Beurteilung eines Schriftstücks von 325 Seiten mehr als ein halbes Jahr brauchen?
Schon hier zeigt diese Schmierenkomödie, wie marode zumindest Teile der deutschen Universitäten sind. Aber das Lächerliche lässt sich mühelos ins Groteske steigern. Denn die mutmassliche Delinquentin ist zugleich die oberste politische Repräsentantin der Universitäten. So sieht sie das auch selbst. Sie sei es der Wissenschaft schuldig, jetzt nicht klein beizugeben, liess sie wieder und wieder verlauten.
Exzerpte und Karteikarten
Allerdings ist nicht bekannt, dass man in Kreisen der Wissenschaften nichts mehr fürchtete als einen Rücktritt von Frau Schavan. Als Ministerin fällt sie nicht weiter auf, um nicht zu sagen: ins Gewicht. Sie ist der Triumph des Mittelmasses. Sie hat noch keinen eigenständigen Gedanken geäussert, der irgendwo – und sei es nur für eine kurze Zeit wie die Kapriolen Ursula von der Leyens oder Kristina Schröders – ein Echo ausgelöst hätte. Selbst in der Schulpolitik führt sie nur das aus, was andere für sie schon längst beschlossen haben.
Genau das ist bei der Prüfung ihrer Doktorarbeit allen Beteiligten sofort klar geworden. Diese Arbeit zeigt ein emsiges Schulmädchen, dass sich an ein viel zu grosses Thema gewagt hat und einfach zeigt, dass es gelernt hat, Exzerpte anzufertigen und Karteikarten anzulegen.
Das eingeschmuggelte Wort
Hier liegt der eigentliche Skandal gleich in mehrfacher Hinsicht. So ist es unbegreiflich, wie man einer jungen Dame dieses Dissertationsthema geben kann: „Person und Gewissen. Studien zu Voraussetzungen, Notwendigkeit u. Erfordernissen heutiger Gewissensbildung“. Jeder nur halbwegs angebrütete Philosoph weiss, dass allein die Themen „Person“ und „Gewissen“ je für sich uferlos sind. Und kein Fachpsychologe würde sich zutrauen, die Frage bündig zu beantworten, worin denn die „Voraussetzungen, Notwendigkeit u. Erfordernisse heutiger Gewissensbildung“ bestehen.
Trotzdem konnte ein solches Thema vergeben werden. Das lag schlicht und einfach daran, dass es pädagogische Fakultäten gibt. Dort sind, auch das wurde in den Diskussionen um Frau Schavan immer wieder freimütig bekannt, die Massstäbe nicht so hoch wie in anderen akademischen Disziplinen. Bei Schavans Arbeit merkt man das an einem geschickt eingeschmuggelten Wort im Dissertationstitel: „Studien“. Damit wird der Anspruch abgewehrt, dass diese Doktorarbeit einen Fortschritt in der wissenschaftlichen Erkenntnis darstellen soll. Gegen „Studien“ ist prinzipiell nichts zu sagen. Denn es ist lobenswert, wenn ein Mensch strebend sich bemüht. Für eine Doktorarbeit reicht das allein aber nicht aus. Da muss Neues her.
Jämmerlich
Genau betrachtet provoziert die sogenannte Doktorarbeit von Frau Schavan die Frage, was pädagogische Fakultäten an Universitäten zu suchen haben. Gibt es so etwas wie eine eigenständige pädagogische Forschung? Oder handelt es sich dabei immer nur um Adaptationen von Erkenntnissen aus anderen Fachbereichen, also auch um Plagiate, allerdings in ganz grossem Stil. Und wenn man schon am Fragen ist: Wie ist es zu deuten, dass der bekannteste und wohl auch bedeutendste Pädagoge der Nachkriegszeit, Hartmut von Hentig, in den schändlichen Skandal der Odenwaldschule nicht nur verstrickt ist, sondern dafür noch die Konzepte geliefert hat?
Und so zeigt sich nach monatelanger Aufregung und Diskussion nur eine jämmerliche Ministerin mit einer jämmerlichen „Doktorarbeit“ in einer jämmerlichen „Fachdisziplin“. Zu fordern, dass Frau Schavan zurücktritt, ist schon fast zu viel der Ehre. Deswegen fordert das ja auch keiner mehr.