Auch viele Junge gehören zu unserem Publikum. Wir werden demnächst auch die Rubrik "Die Jungen schreiben" einführen. Doch angestossen wurde das Projekt von erfahrenen Chefredaktoren, Redaktionsleitern und Korrespondenten grosser schweizerischer Medien.
Gerade bei Hintergrundberichten, Analysen und Kommentaren ist die Erfahrung der Journalisten wichtig. Katrin Wiederkehr Hochmann, die promovierte Psychologin und Bestsellerautorin, analysiert diesen Aspekt des Phänomens Journal21. (J21/hh)
Von Katrin Wiederkehr Hochmann
Journal21 ( www.Journal21.ch ) trifft den Zeitgeist genau. Das zeigt seine rasante Entwicklung in kurzer Zeit sowohl hinsichtlich der Leser- als auch der Autorenzahlen. Die Klick-Zahlen steigen schnell. Die Leserreaktionen zeugen von einem einflussreichen Publikum. Bemerkenswert ist das Alter vieler Autoren von Journal21.
Erfolgsfaktoren
Im Journal21 wird der Wert fundierter Analysen hochgehalten. Beim eskalierenden Kampf um die Aufmerksamkeit eines informationsübersättigten Publikums bleiben Vertiefung und Differenzierung oft auf der Strecke. Mit grellen Ködern wird der Leser an Land gezogen. Er lässt sich nicht lange aufhalten und muss sofort mit dem Wichtigsten möglichst eingängig versorgt werden. Kurz, deutlich und einfach. Das wird der vielschichtigen Realität nicht gerecht und dem differenzierten Leser auch nicht. Die Beitragenden des Journal21 schwimmen hier gegen den Strom. Journal21 strebt nicht danach, die Welt in drei Sätzen zu erklären, sondern bietet Journalismus mit Tiefendimension. Ausführliche, anspruchsvolle Texte werden ungekürzt aufgeschaltet, und die Entscheidung, sich darauf einzulassen oder nicht liegt beim Leser und wird nicht in bevormundenden Vereinfachungen vorweggenommen. Diese Haltung hat ein dementsprechendes Publikum gefunden.
Der Freiheitsgrad der Meinungsäusserung ist beim Journal21 ausserordentlich hoch. Wenn einmal das Ideal der Pressefreiheit verwirklicht wird, dann bei Journal21. Viele Faktoren, die auf der individuellen oder redaktionellen Ebene Selbstzensur auslösen können, fallen beim Journal21 weg. Das Journal21 ist nicht parteigebunden. Der Hintergrund der Beitragenden reicht von NZZ bis WOZ. Geübte Stimmen verschiedenster Ausrichtungen sind im Journal21 zu hören. Es geht um die Qualität der Meinungsäusserung und um die Orientierung am Gemeinwohl und nicht um die politische Couleur der vertretenen Meinungen. Da das Journal21 allen gratis zugänglich ist, muss es auf keine Abonnenten Rücksicht nehmen. Weil die Beitragenden nicht für Geld arbeiten und weil kein Gewinn angestrebt wird, steht die Finanzierung beim Journal21 nicht im Vordergrund, so dass kaum Inserenten angeworben werden müssen und auch von daher ein Erwartungsdruck wegfällt. Die meisten der Beitragenden stehen nicht mehr in der Aufbauphase einer Karriere, wo man sich vorsichtig bewegen muss, um nicht anzustossen. Sie haben ihren Weg gemacht und sind frei, sich für das einzusetzen, was ihnen wirklich am Herzen liegt.
Es ist die Synergie von drei Faktoren, die den durchschlagenden Erfolg des Journal21 ermöglichen: Das Medium der gratis zugänglichen Internetplattform, der Bedarf für eine differenzierende, vertiefende und wertorientierte Ergänzung zu den bestehenden Medien und der Pool von pensionierten Journalisten. In die Nährlösung dieser Faktoren kamen im Jahr 2010 als Kristallisationspunkt die Gründerväter des Journal21, eine Gruppe von führenden Köpfen aus der Medienbranche. Es handelte sich um erfahrene, teils frühpensioniertre Chefredaktoren, Ressortleiter oder Korrespondenten grosser schweizerischer Medien. Ihre Vision, ihr Engagement und ihre Professionalität initiierten das Journal21, und sie haben es allen Unkenrufen zum Trotz nicht nur bis heute durchgezogen sondern expandiert. Die Gründerväter begeisterten weitere Journalisten zur Mitarbeit bei Journal21, und deren Namen lesen sich unterdessen wie das Who is Who der Medienschaffenden ihrer Generation. Schnell haben sich dem Mitarbeiterstab auch Jüngere angeschlossen. In den bald drei Jahren seines Bestehens publizierte das Journal21 gegen fünftausend Artikel von über 80 Beitragenden. Sie haben ein Medium geschaffen, das den Reichtum ihrer Fähigkeiten zu einer einflussreichen Stimme bündelt. Viele von ihnen sind alt.
Die Diskriminierung der Alten
Alt sein heisst gegenwärtig, einer abgewerteten Gruppe anzugehören. Die Einordnung der Alten wandelte sich von einer verehrungswürdigen Seltenheit zu einer sozialen Belastung. Unter dem kontinuierlichen Anschwellen der oberen Altersklassen ächzen die Balken des Sozialstaates, und die Lasten der Erwerbstätigen wie auch involvierter Familienmitglieder nehmen zu. Die dominierende Idealnorm des schlanken, kräftigen jungen Körpers, der unermüdlich dynamischen Spannkraft und der schnellen angriffigen Intellektualität fördert die Diskriminierung der Alten.
Die Sprache ist aufschlussreich. Wenn das Selbstbewusstsein diskriminierter Gruppen wächst, ändert sich die Sprache, und vormals tabuisierte Ausdrücke werden salonfähig. Sie können wieder beim Namen genannt werden, weil der Name kein Schimpfwort mehr ist. So wurden aus Homosexuellen Schwule und aus Farbigen Schwarze. Euphemismen sind ein untrügliches Symptom von Diskriminierung. Man spricht nicht von Alten, sondern von Senioren oder von älteren Menschen. Angeblich verjüngende Kosmetika werden nicht alten, sondern reifen Frauen angepriesen. Das ist schade. „Der Alte“, „die Alte“ könnten einen Beiklang von Gelassenheit und Erfüllung haben. Die schlichte Würde dieses Begriffs müsste von den Alten zurückerobert werden.
Die Lebenserwartung hat sich in den letzten Generationen so schnell nach oben verschoben, dass die Vorstellungen über das Alter nicht nachgekommen sind. Unsere Selbstwahrnehmung gerät mit den eigenen Altersstereotypen in Spannung. Schon wieder wird man von einem Geburtstag überrumpelt, denn die Befindlichkeit hat so gar nichts mit dem zu tun, was man sich unter dieser Zahl vorstellt. Wenn wir uns an unsere Eltern und Grosseltern mit siebzig erinnern und dann als Siebzigjährige in den Spiegel schauen, bringen wir die Bilder nicht zusammen. Wir vermeiden die innere Konfrontation mit dem Alter, indem wir uns jünger fühlen als wir sind. Die Diskrepanz zwischen dem objektiven Alter und dem subjektiven Alter vergrössert sich mit steigendem Alter. Bei 45Jährigen beträgt sie bereits zehn Jahre. Sie fühlen sich also als 35Jährige. „Da will ich nicht hingehen. Da hat es lauter alte Leute“, sagt die 87Jährige. Ihre zunehmend überforderte Tochter hat sie endlich dazu gebracht, ein Altersheim anzuschauen, das für sie in Frage käme. Aber davon will sie nichts wissen. Alt sind die Anderen.
In einer Gesellschaft, in der sich eine allgegenwärtige Altersdiskriminierung in jedem einzelnen Individuum niederschlägt, geraten die Alten in die Defensive. Die Alten sind als Teil der Gesellschaft von diesen negativen Vorurteilen über das Alter durchdrungen, realisieren das oft bewusst nicht, handeln aber dementsprechend. Sie ignorieren ihr Alter, machen auf jung und schämen sich für alle Zeichen des Alters. Viele Alte verschweigen ihr Alter, denn über das eigene Alter zu sprechen macht alt. Reflektionen über das eigene fortgeschrittene Alter langweilen die Jungen und bedrängen die Alten. Wer will schon das geneigte Publikum zusätzlich zu den unübersehbaren äusseren Anzeichen auf die Zugehörigkeit zu einer abgewerteten Gruppe aufmerksam machen? Alter ist etwas, mit dem die Jungen nichts anfangen können, weil es ihnen nie passieren wird. Für die Mittelalterlichen hängt das Alter bedrohlich am Horizont, und sie wollen davon erst recht nichts wissen. Mit den tapferen, selbstironischen Distanzierungen der eigenen Altersgebresten und Altersängste können nur Gleichaltrige etwas anfangen, aber auch nur beschränkt, denn gerade die Alten verdrängen das Alter, so gut es eben geht.
Die Vierziger, also die Generation, die in den Vierzigerjahren des letzten Jahrhunderts geboren wurde, gehen in Pension. Sie gehören zu der Gruppe, der durch die Verlängerung der beschwerdefreien Zeit zwischen der Pensionierung und dem hohen Alter eine Phase der selbstbestimmten Aktivität geschenkt wurde. Viele Beitragende von Journal21 rekrutieren sich aus dieser Gruppe.
Die Vierziger haben miterlebt, wie sich diskriminierte Gruppen eine veränderte Wahrnehmung in der Gesellschaft erkämpften und erkämpfen. Der Prozess ist immer derselbe: Die Diskriminierung muss aus dem Bereich der unreflektierten Selbstverständlichkeit in den einer bewussten und zu verantwortenden Wahl überführt werden. Das ist deshalb so schwierig, weil sich die Diskriminierung in jedem diskriminierten Individuum als Selbstdiskriminierung fortpflanzt. Hier ist ein Stück Integrationsarbeit angesagt, denn alt werden ist auch ohne Selbstdiskriminierung lästig genug. Die Vierziger geniessen oft ihre neuen Freiheiten. Das ändert sich im hohen Alter, wenn das Nachlassen der Kräfte überhand nimmt. Die Zukunft der Vierziger ist das hohe Alter, und die Zukunft des hohen Alters der Tod. Das sind keine rosigen Aussichten. Alt werden ist die Prüfung, die alles bisher im Leben Gelernte testet. Wer sie anständig durchsteht, verdient Respekt und alles andere als Diskriminierung.
Es ist an der Zeit, dass die Alten sich mit der Altersdiskriminierung auseinandersetzen, der gesellschaftlichen und der Selbstdiskriminierung, denn verdrängte Diskriminierung löst sich nie auf, weder auf der individuellen noch auf der gesellschaftlichen Ebene. Es sind immer wieder besonders einsichtige und mutige Individuen, denen es gelingt, Vorurteile als solche zu durchschauen und dagegen anzukämpfen. „This is what fifty looks like“ sagte Gloria Steinem als sie, damals revolutionär, als Frau zu ihrem Alter stand. Sie konfrontierte den diskriminierenden Blick mit einer Realität, die ihn Lügen strafte. Öffentlich zum eigenen Alter zu stehen, ist von einem gewissen Punkt an ein politischer Akt. Die Alten vom Journal21 lassen sich von überholten Stereotypen über Alte nicht beeinträchtigen, sondern autorisieren sich, ihre Fähigkeiten aktiv der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen und geben zurück, was sie bekommen haben. Der gesellschaftlichen Altersdiskriminierung können Tatbeweise entgegengesetzt werden. Journal21 ist einer von ihnen.
Die privilegierten Alten vom Journal21
Nur schon die Lebensumstände der Alten vom Journal21 sind eine einmalige Ressource. Das Gros der Schreibenden rekrutiert sich aus den Vierzigern. Sie sind die privilegierte Kohorte, der die prosperierende Nachkriegszeit eine gute Ausbildung, Reisen und Auslandaufenthalte erlaubte. Sie profitierten von der Hochkonjunktur und wurden von einem expandierenden Stellenmarkt mit offenen Armen empfangen. Die meisten von ihnen konnten für ihr Alter vorsorgen, und für diese Generation sind die Sozialleistungen voraussichtlich noch gesichert. So sind sie mehrheitlich gebildet und materiell unabhängig. Die rundum gut dotierten Vierziger haben es immer verstanden, sich in ihrer jeweiligen Altersklasse gut einzurichten und die dazu notwendigen Veränderungen zu initiieren. Gegenwärtig erfinden sie das Alter neu.
Die initiativen Alten vom Journal21 haben ein für sich und ihre Leser anregendes Biotop für ihre Kreativität geschaffen. Medienleute verarbeiten tagtäglich eine Sturzflut von Informationen, die gesichtet, gewichtet und formuliert in die richtigen Kanäle geleitet werden will. Wie Kanuten im Wildwasser navigieren sie geistesgegenwärtig den optimalen Kurs. Wenn diese absorbierende Aufgabe mit der Pensionierung plötzlich wegfällt, sind viele Journalisten gleichsam auf Entzug. Auch deshalb fanden sich so schnell so viele Beitragende, die bereit waren, für Journal21 zu arbeiten. Sie garantieren die Tagesaktualität von Journal21. Qualität braucht Zeit. Zeit zum Nachdenken. Zeit für gründliche Recherchen. Zeit für Überarbeitungen. Die steht den Alten eher zur Verfügung. Zudem: Die Existenz von Journal21 aktiviert die Schreibenden. Die Motivation zur anstrengenden Denkarbeit des Schreibens nimmt ab, wenn Texte kein Podium zum Auftritt finden. Nichts ist für die Kreativität tödlicher als mangelnde Resonanz. Es geht nicht nur um eine narzisstische Minimalversorgung, sondern auch um das innere Gespräch mit dem Leser, das Texte inspiriert. Ein Publikationsforum regt Artikel an. Journal21 ermöglicht Texte, die sonst nie über ein vages Planungsstadium herausgekommen wären, was wiederum die Schreibenden fokussiert. Geistige Produktivität ist und macht gesund.
Im Alter findet oft eine Wertverschiebung in Richtung Altruismus statt. Das hat die Motivationsforschung belegt. Das Ego tritt mehr in den Hintergrund und befreit zu einer weiträumigeren Zugehörigkeit. Dieser Blickwinkel ist im Journal21 spürbar. Die Alten setzen Geld und Erfolg nicht mehr mit Wert gleich. Sie müssen sich und anderen nichts mehr beweisen, und weil sie das begreifen, finden sie ihre eigene Stimme. Sinngebung steht über Verdienst. Auch deshalb leistet im Journal21 ein Heer von Alten hochqualifizierte Arbeit gratis. Die Erfolgsgeschichte von Journal21 und seinen vielen unbezahlt Schreibenden zeigt die Arbeitsmotivation von einer anderen Seite. Sobald die materiellen Bedürfnisse abgedeckt sind, können andere Motivatoren in den Vordergrund treten wie Sinnsuche, Generativität, Kreativität und Funktionslust. Das Alter bringt die Einsicht und die Freiheit, diese Werte zu leben.
Die grösste Ressource von Journal21 ist die kumulierte Berufs- und Lebenserfahrung der Beitragenden. Sie hat des Assoziationsfeld der Schreibenden angereichert, und erlaubt Einordnungen und Querverbindungen, die nur vor diesem Hintergrund möglich sind. Jede Gruppe von Gleichaltrigen, also jede Kohorte, hat eine gemeinsame Prägung. Der heimtückische Mord an Präsident Kennedy führte uns alle an den Abgrund des Unberechenbaren. Der Vietnamkrieg vernichtete einmal mehr jede Illusion über Sinn und Planbarkeit von Kriegen. Tschernobyl offenbarte einer breiten Öffentlichkeit schlagartig das tödliche Potenzial der Atomstromproduktion und brannte sich einer ganzen Generation ins Bewusstsein ein. Die Summe dieser Erfahrungen schafft einen gemeinsamen Bezugsrahmen, in welchem neue Ereignisse ähnliche Reaktionen hervorrufen und ähnliche Einordnungen erfahren. Bringt die Pensionierung alle 65-jährigen Medienleute zum Schweigen, so bricht in der Öffentlichkeit dieser kohortenspezifische Resonanzraum weg. Die Langzeitperspektive, das Erkennen des alten Weines in den neuen Schläuchen, die Gelassenheit durch die Erfahrung mit mehrererien Zyklen und Pendelbewegungen entdramatisieren die einzelnen Ereignisse und stellen sie in einen grösseren Zusammenhang. Das ist eine Kompetenz, die nur jene einbringen können, die schon lange dabei sind. Diese Perspektive des weiträumigen Überblicks hat in Journal21 ihren Ort gefunden.
Journal21 ist ein Paradebeispiel für das Potenzial der Alten. Sie sind nicht gut obwohl, sondern weil sie alt sind. Die geballte Ladung ihres Engagements hält Journal21 auf seinem Höhenflug. Wir Alten vom Journal21 könnten ein neues Steinchen im grossen Mosaik eines positiveren Altersbildes sein – aber erst nach dem Comingout als Alte.