Es ist immer die gleiche Geschichte, fast schon ein Ritual. Die Amerikaner greifen im Krieg gegen den Terror in Afghanistan und Pakistan angebliche Mitglieder der al-Qaida oder der Taliban mit Drohnen an. Die Raketen treffen ihr Ziel, ein Fahrzeug, ein Haus oder ein Ausbildungslager, und das Pentagon vermeldet den Erfolg der Mission. Doch die Gegenseite spricht von zivilen Opfern und behauptet, die Getöteten seien nicht Terroristen, sondern harmlose Gäste einer Hochzeitsgesellschaft, Teilnehmer an der Sitzung eines Ältestenrats oder schlicht unbeteiligte Zivilisten gewesen.
Eruieren lässt sich die Wahrheit jeweils kaum, da die meisten Attacken in Gelände stattfinden, in welches keine staatliche Autorität vordringt und wo Untersuchungen eines Vorfalls kaum möglich sind. Die Erfahrung lässt aber vermuten, dass die ferngesteuerten Lenkwaffen Schuldige wie Unschuldige töten. Akademischen Schätzungen zufolge ist jedes dritte Opfer einer US-Drohnenattacke ein Zivilist.
Böses Blut
Jüngste Quelle pakistanischen Unmuts ist ein Angriff, den die CIA am 17. März auf einen Marktplatz in Datta Khel in Nordwaziristan flog, wo sich laut amerikanischen Quellen Militante oder Sympathisanten befanden. Im Ort hatten sich Einheimischen zufolge Vertreter zweier Stämme sowie Vermittler der Taliban unter freiem Himmel getroffen, um über die Zukunft einer Chrom-Mine zu sprechen. Von US-Drohnen aus sollen sodann bis zu vier Raketen auf die Versammlung abgefeuert worden sein.
Laut pakistanischen Quellen, welche die „New York Times“ zitiert, befanden sich unter den 32 Teilnehmern der Jirga 13 Taliban. Elf von ihnen wurden beim Angriff getötet. Die übrigen Opfer, heisst es, seien nichts ahnende Stammesangehörige gewesen. Ein Bewohner von Datta Khel räumte ein, zwar sei es schwierig, in der Gegend zwischen Militanten und Zivilisten zu unterscheiden. Doch die Attacke auf eine Jirga, prophezeite er, werde gravierende Folgen haben: „Der Angriff wird unter den Einheimischen für böses Blut sorgen und jeder von ihnen könnte zu einem Selbstmordattentäter werden.“ In einer Gallup-Umfrage haben sich 2009 rund 67 Prozent der Pakistaner gegen Drohnenangriffe ausgesprochen. Studien zufolge schwindet jedoch die Opposition gegen CIA-Operationen in jenen Stammesgebieten, in denen al-Qaida und Taliban am stärksten stark präsent sind.
Zwar ist die Zahl der US-Drohnenangriffe in Pakistan dieses Jahr im Sinken begriffen. Bis Mitte April hat die CIA lediglich 19 Angriffe geflogen, die meisten von ihnen in Nordwaziristan. Dort pflegen die Kämpfer jenes Zweigs der afghanischen Taliban unterzutauchen, der als Haqqani-Netzwerk bekannt ist. 2010 hatten die USA in 117 Fällen Militante mit Drohnen attackiert, mehr als doppelt so häufig wie im Jahr zuvor. Laut CIA-Direktor Leon Panetta sind Drohnenangriffe „the only game in town“, d.h. die einzige Möglichkeit, in Pakistan Terroristen der al-Qaida und mit Osama bin Ladens Netzwerk verbündete Taliban zu jagen. In Afghanistan ist die US-Luftwaffe für den Drohnenkrieg zuständig, wobei die unbemannten Flugobjekte (UAVs) meist von Soldaten auf einem Stützpunkt in der Nähe von Las Vegas gesteuert werden.
Folgen für die Stabilität Afghanistans
Was die Pakistaner am Angriff vom 17. März zusätzlich irritierte, war der Umstand, dass sie erst einen Tag zuvor den Amerikaner Raymond Davis freigelassen hatten, der im Januar in Lahore verhaftet worden war, weil er zwei Männer erschossen hatte, die ihn angeblich ausrauben wollten. Im Laufe der Ermittlungen stellte sich heraus, dass Davis ohne Wissen des pakistanischen Geheimdienstes (ISI) für die CIA gearbeitet und unter Umständen zusammen mit anderen US-Agenten das nationale Atomprogramm ausspioniert hatte.
Nachdem sich die amerikanische Regierung aber bereit erklärt hatte, den Familien der beiden Getöteten 2,3 Millionen Dollar Schmerzensgeld zu zahlen, kam Davis frei. Indes werden die Amerikaner auf Druck aus Islamabad wohl künftig die Präsenz ihrer Agenten und Elitesoldaten in Pakistan abbauen müssen. Im Falle der Elite-Einheiten, die in erster Linie pakistanische Grenztruppen ausbilden, ist von einer Reduktion um 25 bis 40 Prozent die Rede.
Pakistan ärgert vor allem die verdeckte Aktivität der CIA im Lande sowie der Umstand, dass die USA Islamabad bezüglich der Zukunft Afghanistans, zum Beispiel was Friedensgespräche mit den Taliban betrifft, weit gehend im Dunkeln lassen. Washington, so die Kritik, sei sich zu wenig bewusst, welch gravierende Folgen der Krieg gegen den Terror für die Stabilität Pakistans zeitige. Zwar zweifelt die pakistanische Armee nicht an der Wirksamkeit von Drohnenangriffen. Sie möchte aber deren Frequenz verkleinert sehen und mehr Mitsprache bei Planung und Durchführung von Operationen. Keinesfalls würde Pakistan US-Kampftruppen auf heimischem Territorium tolerieren.
Friendly Fire
Dagegen werfen die USA Pakistan vor, nicht energisch und überzeugend genug gegen die Militanten im eigenen Land vorzugehen. Im Visier der Kritik aus Washington steht vor allem Pakistans Geheimdienst (ISI). Die Amerikaner bezichtigen den ISI, nach wie vor die afghanischen Taliban und andere militante Gruppen in Afghanistan und Kaschmir zu unterstützen. Zum einen, um auch nach einem Abzug der Alliierten in Kabul Einfluss ausüben zu können und zum andern, um solche Gruppen stellvertretend im Kampf um Kaschmir gegen Indien einzusetzen.
Derweil sind vorletzte Woche erstmals Amerikaner selbst Opfer einer Drohnenattacke geworden. Anscheinend hatten Marineinfanteristen, die eines Morgens auf einem Stützpunkt im Süden Afghanistans unter Beschuss gerieten, zwei Kameraden, die ihnen zu Hilfe eilen wollten, für Taliban gehalten und einen Luftangriff angefordert. Die Soldaten hatten den 26-jährigen Wachtmeister Jeremy Smith und den 23-jährigen Sanitäter Benjamin D. Rast auf Videobildern gesichtet, die ihnen eine Überwachungsdrohne während des Kampfes lieferte.
Mit Robotern in den ewigen Krieg
Eine Untersuchung der US-Armee soll nun klären, wie es zu diesem Fall von „friendly fire“ kommen konnte. Ein früherer Elitesoldat der Marine hält in der „Los Angeles Times“ solche Zwischenfälle angesichts der steigenden Zahl von Drohneneinätzen für unvermeidlich: „Die Leute erwarten, dass keine Fehler mehr passieren, weil ja alles automatisch abläuft. Das ist aber im Krieg nie der Fall.“ Auch Robotik-Experten befürchten, dass die zunehmend angestrebte „autonome Zielerfassung“ durch Drohnen in Zukunft häufiger zu tödlichen Irrtümern führen wird. Derzeit patrouillieren über Afghanistan 48 Drohnen des Typs Predator und Reaper rund um die Uhr. Bis 2013 sollen 65 unbemannte Flugobjekte im Einsatz sein.
Das Drohnenprogramm in Südasien erziele zwar die erwünschte Wirkung, hat die „New York Times“ in einem Leitartikel geschrieben: „(Gezielte) Ermordungen aber sind gravierende Akte und anfällig für Missbräuche – wie auch für die Nachahmung durch andere Länder. Die (amerikanische) Regierung muss der Welt gegenüber besser erklären, dass sie in striktem Einklang mit dem Völkerecht agiert.“ Philip Alston, Sonderberichterstatter der Uno für Menschenrechte, hat denn auch Washington aufgefordert, die rechtliche Basis für Drohnenangriffe klarer darzulegen.
Auch in Amerika selbst regt sich Protest, unter anderem vor der Luftwaffenbasis Creech (Nevada), von der aus die US-Air Force die Drohnen über Afghanistan steuert. „Wir haben demonstriert“, sagt eine Sprecherin der Protestbewegung, „weil…sich die USA in Besorgnis erregendem Tempo in Richtung Roboterkrieg bewegen, eine Art Selbstläufer, der uns in einen ewigen Krieg führen könnte.“