Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 hatte der US-Geheimdienst CIA ein Verhörprogramm entwickelt, um Terrorverdächtige zur Herausgabe von Informationen zu bewegen. Dazu gehörten Schlafentzug und Folter wie das berüchtigte Waterboarding. Amerikanischen Soldaten und Mitarbeitern des US-Geheimdienstes CIA wirft die Anklägerin darum Kriegsverbrechen sowie Folter und brutale Behandlung von Häftlingen vor. Also beantragte sie die richterliche Zustimmung zu einem offiziellen Ermittlungsverfahren.
Pompeos Drohung verwirklicht
Doch schon im März hatte US-Aussenminister Mike Pompeo bekanntgegeben, sein Land werde Mitarbeitern des ICC künftig die Einreise verweigern, wenn sie gegen US-Bürger im Zusammenhang mit deren Tätigkeiten in Afghanistan ermittelten. Die USA würden die Visa solcher Personen zurücknehmen und keine neuen erteilen. Nun haben die USA gehandelt und Fatou Bensouda tatsächlich das Einreisevisum entzogen, wie das Büro der Chefanklägerin in Den Haag bestätigte. Fatou Bensouda, so heisst es weiter in der Erklärung, könne aber weiterhin nach New York kommen, wenn sie dem Weltsicherheitsrat Bericht erstatten müsse.
Die Anklage werde auch in Zukunft ihre Arbeit unbeirrt fortsetzen, versprach Fatou Bensouda. Der ICC operiere „unparteiisch und unabhängig ... Das Gericht ist nicht politisch und handelt strikt innerhalb des rechtlichen Rahmens und der juristischen Kompetenz, die ihm vom Römischen Statut verliehen wurden“. Ein Prinzip des Weltstrafgerichtshofs sei, dass er erst dann einschreite, wenn Staaten selbst ihrer Verantwortung nicht nachkämen.
Colin Powells Anspruch
Washington unterstützte zwar die Einrichtung internationaler Gerichte, vor denen Menschenrechtsverletzungen und Greueltaten verhandelt wurden, die in Jugoslawien, Ruanda, Sierra Leone oder Kambodscha begangen worden waren. 2002 behauptete der damalige Aussenminister Colin Powell sogar, die USA zeigten „mehr Verantwortung als alle Nationen der Welt“ und seien auch „führend in Bezug darauf, Verbrecher vor Gericht zu bringen“ („… leader of the world with respect to bringing people to justice. We have the highest standards of accountability of any nation on the face of the earth.“ ).
Doch gerade dieser Anspruch darf füglich bezweifelt werden angesichts der guten Chancen, möglicher Strafverfolgung zu entkommen, die etwa in Irak des Mordes angeklagte Mitglieder der Söldnerfirma Blackwater Worldwide (die inzwischen unter dem neuen Namen Xe Services firmiert) hatten. Oder die Zehntausende Soldaten, die – wie einer geheim gehaltenen Untersuchung des Pentagon zu entnehmen ist – „zehntausende Soldatinnen vergewaltigten“, ohne jemals vor Gericht zu kommen.
Oder die CIA, deren Agenten selten bestraft wurden, selbst wenn der Tod Unschuldiger das Ergebnis ihrer Operationen war. Elf Soldaten, die sich in dem irakischen Gefängnis Abu Ghraib schuldig gemacht hatten, Gefangene misshandelt zu haben, wurden öffentlich verurteilt, aber nicht ein einziger CIA-Agent. Und CIA-Agenten wohnten den Verhören in der Regel bei. Oder jene US Special Forces, die am 12. Februar 2010 in Afghanistan nahe der Stadt Gardez unter einer Festgesellschaft ein Massaker anrichteten und vier Männer sowie drei Frauen, von denen zwei schwanger gewesen waren, töteten.
Bush junior zieht Clintons Unterschrift zurück
Bezweifelt werden darf Colin Powells Behauptung aber vor allem angesichts der Bemühungen, die Washington unternimmt, eigene Täter vor möglicher Strafverfolgung durch internationale Gerichte zu schützen. Der Einrichtung des ständigen internationalen Gerichtshofs widersetzte sich Washington von Beginn an. Zunächst stimmten die USA gemeinsam mit China, Israel und vermutlich Libyen, Irak und dem Jemen gegen das Rom-Statut, mit dem der ICC eingerichtet wurde. Nachdem er Änderungen durchgesetzt hatte, um die Befugnisse des Gerichts zu reduzieren und es politisch kontrollieren zu können, unterschrieb Präsident Bill Clinton schliesslich das Statut.
Doch im Mai 2002 kündigte sein Nachfolger, Präsident George W. Bush, an, die Unterschrift unter dem Dokument zurückzuziehen. Drei Monate später verabschiedete der Kongress ein Gesetz, das dem Präsidenten die Möglichkeit gibt, „jede notwendige Massnahme“ zu ergreifen, um die Freilassung gleich welchen amerikanischen Bürgers zu erzwingen, der vom ICC verhaftet wurde.
Bilaterale Auslieferungsverträge mit USA
Zudem verbietet dieses Gesetz, das „Haager Invasionsgesetz“, wie es genannt wird, den Einsatz amerikanischer Truppen bei UN-Friedensmissionen, es sei denn, dass den US-Soldaten völlige Immunität vor Strafverfolgung durch den ICC garantiert wird. Es verbietet ebenfalls jede amerikanische Militärhilfe für Staaten, die dem ICC angehören (ausgenommen sind die NATO-Mitglieder, Ägypten, Israel, Jordanien und Taiwan).
Inzwischen hat die US-Regierung mit über 80 Ländern bilaterale Abkommen geschlossen, unter keinen Umständen ohne Washingtons Zustimmung einen amerikanischen Staatsbürger an den ICC auszuliefern. Ungefähr 45 Staaten haben es abgelehnt, derartige Abkommen zu unterzeichnen, und die EU hat sich sehr deutlich gegen diese Verträge ausgesprochen. Mit dem Plan, diese Immunität auf alle Teilnehmer an UN-Friedensmissionen auszudehnen, scheiterte Washington letztendlich. Niemand unterstützte den Antrag mit Ausnahme Grossbritanniens. Unter starkem Druck zogen die USA ihn schliesslich zurück.
Verbrecherjagd nach US-Regeln
Wenn hingegen die USA jemanden suchen, der gegen ihre Interessen oder ihre Gesetze verstossen hat, scheinen alle Mittel erlaubt. 1989 verabschiedete der US-Kongress ein Gesetz, das es amerikanischen Behörden erlaubte, unter Umgehung der üblichen Auslieferungsverfahren ausländische Staatsbürger in die USA zu entführen. Noch im gleichen Jahr entführten Agenten der Drug Enforcement Administration (DEA) einen vermutlichen Drogenhändler aus Honduras, weil die honduranische Verfassung die Auslieferung eines Staatsbürgers an ein fremdes Land untersagt.
Wenige Monate später organisierte die DEA „Operation Legend II“ und heuerte Kopfgeldjäger an, um Dr. Humberto Alvaréz Machain aus seiner Praxis im mexikanischen Guadalajara nach El Paso zu bringen. Alvaréz, dessen Auslieferung die mexikanische Regierung abgelehnt hatte, stand im Verdacht, an der Ermordung eines DEA-Agenten beteiligt gewesen zu sein. 1992 wurde der zypriotische Geschäftsmann Hossein Alikhani, der verdächtigt wurde, gegen die US-Sanktionen gegen Libyen verstossen zu haben, von Agenten des US-Zolls von den Bahamas nach Miami entführt.
Überstellungen an die ägyptische Geheimpolizei
Mitte der neunziger Jahre unterzeichnete Präsident Bill Clinton eine „präsidentiale Anweisung“, die es CIA und Special Operations Forces in Absprache mit dem FBI erlaubten, Terrorverdächtige in aller Welt aufzuspüren und ohne Berücksichtigung bilateraler Auslieferungsabkommen oder internationaler Übereinkünfte in die USA zu entführen.
Diese Direktive erlaubte den Agenten zudem, Terrorverdächtige nach Ägypten zu bringen, wo sie – weit entfernt von amerikanischem Recht und unbehindert von amerikanischen Folterverboten – von „mukhabarat“ (Angehörige der ägyptischen Geheimpolizei) verhört werden konnten. Allerdings musste in jedem Fall die Genehmigung des Präsidenten eingeholt werden, der sie über 70 Mal erteilte.
Das Recht des Stärkeren
Im Dezember 1997 erzwang Washington von der Regierung in Bogotá die Abschaffung eines Verfassungsartikels, der die Auslieferung kolumbianischer Staatsbürger an fremde Staaten untersagte. Alleine in den folgenden acht Jahren verschifften die USA 239 Kolumbianer, die mit dem Drogenhandel in Verbindung gebracht wurden, in die Vereinigten Staaten.
Als 2000 die Frau eines amerikanischen Obersts und 2005 fünf amerikanische Soldaten, die im Rahmen des Antidrogenkrieges in Kolumbien stationiert waren, beim Heroin- und Kokainhandel ertappt wurden, schafften die USA die Verdächtigen heimlich auf dem schnellsten Weg aus dem Land. „Tatsächlich begingen diese Soldaten das Verbrechen in Kolumbien und gemäss unseres Auslieferungsabkommens, das bilateral ist, müsste hier gegen sie verhandelt werden“, beklagte sich ein kolumbianischer Abgeordneter. Der US-Botschafter jedoch behauptete, die fünf Soldaten genössen diplomatische Immunität.
International gilt – zumindest nach amerikanischem Rechtsverständnis – immer noch das Recht des Stärkeren.