Donald Trump gelingt es dank einer gezielten Strategie, Amerikas evangelikale Wählerinnen und Wähler für sich zu gewinnen. Dabei ist ihm jedes Mittel recht, was ihm seine ansonsten eher intolerante Anhängerschaft aber grossherzig verzeiht.
Der Eröffnungssketch der satirischen TV-Sendung «Saturday Night Live» (SNL) auf NBC ist jeweils Ausdruck dessen, was Amerika gerade bewegt. Am Ostersamstag persiflierte SNL die Auferstehung Christi. Als der Grabstein in Golgata zur Seite gewälzt wird, erscheint aber nicht der Erlöser, sondern Donald Trump: «Fröhliche Ostern allerseits. Wie in der Bibel steht: ‘Erratet, wer zurück und wieder da ist. Es ist der Zwielichtige.’» Es sei, sagt der Trump-Darsteller, jene Zeit des Jahres, in der er sich mit Jesus Christus vergleiche: «Und die Leute scheint es nicht zu stören.»
Noch vor Ostern hatte die konservative «Washington Times» Donald Trumps Gerichtsverfahren als eine Kreuzigung beschrieben: «Jesus zog Menschenmengen an, wo immer er hinging. Ihn feierte ein Teil der Bevölkerung, der bei anderen Leuten Furcht auslöste. Hohepriester im Tempel tadelten ihn, weil er ausserhalb etablierter Normen wirkte. Diese Furcht und die Gier nach immerwährender Macht bewegten sie dazu, ihn eliminieren zu wollen. Sie liessen Jesus verhaften.»
Das alles, so der Autor des Blatts, treffe auch auf Donald Trump zu. Doch, räumt er immerhin ein, «Donald Trump ist kein Jesus. Er hat auf seinem Weg die eine oder andere Sünde begangen. Er kann grob und unhöflich sein. Er ist jedoch der lebende Beweis dafür, dass bestimmte Teile der Menschheit in ihrem Streben nach Macht bereit sind, (…) andere Menschen zu kreuzigen.» Das sieht Arwa Mahdawi, Kolumnistin des US-«Guardian», etwas anders: «Der frühere Präsident ist, wie er uns wiederholt hat wissen lassen, Gottes Geschenk an die Menschheit. Er ist im Grunde Jesus …, wenn Jesus ein blonder Sexualstraftäter aus Queens wäre.»
Im SNL-Sketch verkündet Trump, wer immer es unpassend finde, dass er sich mit Jesus vergleiche, solle sich mal vorstellen, wie seltsam es wäre, wenn er nun unvermittelt beginnen würde, Bibeln zu verkaufen. Doch gerade das tue er: «Ich mache das zu Ehren Gottes und um mich anzubiedern und in erster Linie des Geldes wegen.»
Da imitiert zur Abwechslung das Leben die Satire: Donald Trump hat in der Tat angekündigt, neben Steaks (in Varianten zwischen $199 und $999), goldenen «Never surrender»-Sneakers (für zwischen $199 und $399) sowie dem Kölnisch Wasser und Parfüm «Victory 47» (für je $99) nun auch Bibeln zu verkaufen. Eine «God Bless the USA Bible» kostet $59.99 und beinhaltet ausserdem eine Kopie der amerikanischen Verfassung sowie der Bill of Rights (die zehn Verfassungszusätze) und die Texte zur Ballade «God Bless the USA» von Country-Sänger Lee Greenwood. Zwar verdient der Ex-Präsident nicht direkt aus dem Verkauf von Bibeln, doch die Firma CIC Ventures, die sie vertreibt, gehört ihm und schuldet ihm mutmasslich Lizenzgebühren.
«Alle Amerikanerinnen und Amerikaner brauchen zu Hause eine Bibel, und ich habe viele davon. Sie ist mein Lieblingsbuch», hat Donald Trump auf seiner Plattform «Truth Social» verraten. Seine Lieblingsstelle, sagt er, sei «Auge um Auge» und weiter: «Wenn man sich anschaut, was mit unserem Land passiert ... wie die Leute uns ausnutzen und wie sie uns verhöhnen und auslachen. Sie lachen uns ins Gesicht, und sie nehmen uns unsere Arbeitsplätze, sie nehmen uns unser Geld, sie nehmen uns die Gesundheit unseres Landes. Und wir müssen entschlossen sein und sehr stark sein.» Religion und Christentum, so Trump, seien heute die zwei wichtigsten Dinge, die dem Lande fehlten: «Wir müssen Amerika wieder beten lassen.»
Donald Trump als opportunistischen Bibelverkäufer abzutun, schiesst am Ziel vorbei. Sein Vorgehen ist Teil einer wohlüberlegten Strategie, bei der Präsidentenwahl im November jene Evangelikalen Amerikas erneut hinter sich zu scharen, die 2016 und 2020, aus für Aussenstehende schwer nachvollziehbaren Gründen, überwiegend für ihn gestimmt haben. Nicht zu vergessen der Umstand, dass vor zwei Jahren einer Gallup-Umfrage zufolge 68 Prozent der Amerikanerinnen und Amerikaner angaben, sich als Christen zu verstehen. 1948 waren es noch 91 Prozent gewesen.
Nun ist es nicht so, dass Evangelikale blind sind, was Trumps Lebenswandel betrifft, der mit Sicherheit das eine oder andere biblische Gebot verletzt. Sie sehen in ihm jedoch weniger den Erlöser als die moderne Version eines alttestamentarischen Helden, der zwar nicht ohne Fehl und Tadel ist, dafür aber Gottes Willen auf Erden umsetzt. Evangelikale rechnen es dem Ex-Präsidenten hoch an, dass er dem Obersten Gericht in Washington DC eine konservative Mehrheit beschert hat, die das landesweite Recht auf Abtreibung aufgehoben hat – eines ihrer Herzensanliegen.
Donald Trump habe es als erster hochrangiger Politiker Amerikas geschafft, seinen Charakter erfolgreich von seiner Politik zu trennen, sagt Historiker John Fea von der Messiah University, einer evangelikalen Hochschule in Pennsylvania: «Das ist ihm gelungen, weil er wirklich der Erste ist, der auf ihre Beschwerden hört und sie ernst nimmt. Kümmert er sich wirklich um Evangelikale? Ich weiss es nicht. Aber er hat eine Botschaft kreiert, die sie direkt anspricht.»
Und wie lautet diese Botschaft? «Die MAGA-Methode ist eindeutig. Zuerst peitscht sie ihre Leute in einen religiösen Rausch. Sie lügt, um sie davon zu überzeugen, dass die Demokraten eine existenzielle Bedrohung für das Land und die Kirche sind. Sie erzählt besorgten Christen, dass das Schicksal der Nation auf dem Spiel steht», schreibt «New York Times»-Kolumnist David French: «Dann, während sie die Gefahr durch die Demokraten aufbaut, baut sie ein Idol von Trump auf, erklärt seine göttliche Bestimmung und verbreitet die Prophezeiungen seiner kommenden Rückkehr. Er soll das Instrument der göttlichen Rache gegen seine Feinde sein, und seine frenetischen Fusssoldaten sind begierig, seinen Willen auszuführen. Sie marschieren eifrig in den Kulturkrieg und tragen die Flagge des Hauses Trump.»
Die MAGA-Botschaft verstärken auch Donald Trumps Wahlkampfauftritte, die inzwischen mit entsprechender Musik eher Erweckungsgottesdiensten gleichen als den lärmigen Rodeos von früher. So betete im Februar bei einem Rally in South Carolina ein Pastor zu Gott, er möge gegen Trumps politische Gegner intervenieren, denn diese würden versuchen, «unser Amerika zu stehlen, zu töten und zu zerstören.» Amen!