Kaum eine andere Sportart steht so für den Charakter und den Gemütszustand eines Landes wie American Football, wo Geld, Gewalt und Gigantismus eine wichtige Rolle spielen. Doch langsam wächst die Kritik an einem Sport, der bei Spielern nachhaltige Gesundheitsschäden verursachen kann.
Zwar haben unlängst ein chinesischer Ballon und weitere noch unidentifizierte Flugobjekte Amerika in Atem gehalten und sogar Spekulationen von extraterrestrischen Annäherungen genährt. Doch kein anderes Objekt pflegt die Nation so stark zu faszinieren wie ein rund 400 Gramm schwerer Schweinslederball: das Spielgerät im American Football, jener lukrativen Sportart, in der sich alles darum dreht, Territorium zu erobern, egal ob mit eleganten Pässen durch die Luft oder mit brutaler Gewalt am Boden.
Football ist immun gegenüber fast allen Anfechtungen. Der Sport, sagen Kritiker, sei zu gefährlich, zu rassistisch und zu geldgierig sowieso. Dafür ist er so amerikanisch wie Apfelkuchen und so tief in der Volksseele verwurzelt, dass alle Versuche, ihn zu reformieren, abprallen wie leichtfüssige Angreifer an schwergewichtigen Verteidigern. Die Essenz des Sports hat einer seiner bekanntesten Coaches einst offen und ehrlich herausdestilliert: «Gewinnen ist nicht alles», sagte Vince Lombardi. «Es ist das Einzige.»
Jährlicher Höhepunkt der nationalen Football-Manie ist die Super Bowl, das Finalspiel um die amerikanische Meisterschaft, das Mitte Februar in Glendale (Arizona) über die Bühne gegangen ist. Das Spiel zwischen den Kansas City Chiefs und den Philadelphia Eagles versammelte 113 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer vor dem Bildschirm – die drittgrösste Einschaltquote, die eine Fernsehsendung in den USA je erzielt hat. Kaum ein anderes Ereignis im Lande dürfte dieses Jahr noch ein ähnlich grosses Publikum anziehen, es sei denn, wie Komiker witzeln, Extraterrestrische würden tatsächlich zur besten Sendezeit auf amerikanischem Territorium landen.
Unter den 100 populärsten US-Fernsehprogrammen sind 82 Spiele der National Football League (NFL). Lediglich Präsident Joe Bidens Rede zur Lage der Nation nach Ausbruch des Krieges in der Ukraine schaffte es 2022 knapp in die Top 20. Werbespots, mitunter originell, kosteten während der Super Bowl im Schnitt sieben Millionen Dollar pro 30 Sekunden. Derweil dürften sich für den Fernsehsender Fox die Werbeeinnahmen des Spiels 2023 auf rund 600 Millionen Dollar belaufen. Auf den Ausgang des Finals verwetteten Amerikanerinnen und Amerikaner rund vier Milliarden Dollar.
Auffällig dieses Jahr waren zwei TV-Werbespots einer religiösen Stiftung, die unter dem Motto «Er versteht uns» für Jesus Christus warben. Die Servant Foundation hat in den letzten Jahren über eine Milliarde Dollar an religiöse, politische und soziale Gruppen gespendet, die sich unter anderem gegen das Recht auf Abtreibung und für rechtskonservative Anliegen einsetzen. Alles völlig legal und legitim, wenn auch befremdlich im Umfeld eines Sports, der Gewalt verherrlicht. Dies zwar nicht nur, aber stets im Wissen darum, dass es neben dem unleugbaren athletischen Geschick vor allem die unverhüllte Brutalität ist, die American Football so populär macht.
Der Popularität des American Football tut auch kaum Abbruch, dass inzwischen bekannt ist, wie anfällig Football-Spieler für Hirnverletzungen sind, die sich häufig erst Jahre nach dem Ende ihrer Karriere manifestieren, aber erst nach ihrem Tod eindeutig als Chronisch-Traumatische Enzephalopathie (CTE) diagnostizieren lassen. Die National Football League gibt zwar vor, sich des bedenklichen Phänomens anzunehmen und sich um Betroffene zu kümmern, in Wirklichkeit aber tut sie zu wenig, um die Gesundheit ihrer Spieler sicherzustellen. Nüchtern betrachtet, argumentieren Neurologen, gehörte American Football, der bereits von Kindern gespielt wird, eigentlich verboten.
Doch Football ist ein Milliardengeschäft und so unternehmen denn reiche Team-Besitzer kaum etwas, was der Popularität des Sports schaden und ihre Profite schmälern könnte. Kommt dazu, dass gegen 60 Prozent der NFL-Spieler schwarz, 30 von 32 Besitzern aber weiss sind – mit den entsprechenden Konnotationen in Sachen Rasse und Klasse. Demnächst könnte übrigens auch Elon Musk, der reichste Mann der Welt, zur Besitzerklasse stossen. Gerüchten zufolge ist er daran interessiert, die Washington Commanders aus der amerikanischen Hauptstadt für mindestens fünf Milliarden Dollar zu kaufen.
Vergleichsweise harmlos, obwohl allenfalls psychologisch interessant ist der Umstand, dass sich auf Kanälen wie TikTok oder YouTube neuerdings jene Videos zunehmender Beliebtheit erfreuen, die zeigen, wie kreativ Fans ihre Fernseher zertrümmern, wenn ihr Lieblingsteam ein Spiel verloren hat. Da werden Flachbildschirme mit Fäusten, Köpfen oder Werkzeugen zertrümmert, da werden Flat Screens erstochen, erschossen oder überfahren. Schon fast harmlos dagegen, wenn die Bildschirme wie früher noch die Röhrenfernseher lediglich aus dem Fenster geschmissen werden. Einen Fernsehapparat zu zerstören, sei halt viel billiger und risikoloser, meint ein Experte: Flachbildschirme kosten derzeit 97 Prozent weniger als noch im Jahr 2000.
Derweil rückt in Amerika mit der Politik langsam ein anderer Blutsport ins Interesse der Nation. Zwar wird erst im November nächsten Jahres ein neuer Präsident oder eine neue Präsidentin gewählt. Bereits aber laufen erste Wetten, wer 2024 den Einzug ins Weisse Haus schaffen könnte. Auch das Kommentariat in den Medien ist schon eifrig damit beschäftigt, mögliche Kandidaten und Kandidatinnen zu durchleuchten und zu rangieren, obwohl die Erfahrung zeigt, dass korrekte Prognosen so lange vor dem Urnengang schlicht ein Ding der Unmöglichkeit sind.
Vor der Super Bowl lag die Mehrheit der Experten mit ihren Voraussagen falsch. Aus der Vergangenheit ist jedoch bekannt, dass es für ein siegreiches Team jeweils schwierig wird, das kommende Endspiel erneut zu gewinnen. In der Politik hat das Donald Trump 2020 erfahren, während es Joe Biden 2024 passieren könnte. Noch aber ist der Ausgang des Kampfes um die Präsidentschaft völlig offen.