Noch hat sich ausser Floridas Gouverneur Ron DeSantis niemand in der republikanischen Partei als ernstzunehmender Gegenpart zu Donald Trump für die Präsidentschaftswahlen 2024 etablieren können. Auch steht nicht fest, welche Taktik am erfolgversprechendsten sein wird, um den Ex-Präsidenten in den Vorwahlen zu schlagen.
Amerikas Präsidentschaftswahlkampf, wie immer ein politischer Ultra-Marathon, kommt allmählich in die Gänge. Zwar ist der Wahltag vom 5. November 2024 noch weit weg, aber das hindert niemanden – und die Medien schon gar nicht – daran, bereits mitzufiebern oder, ja nach Überzeugung, mitzuleiden – allen guten Vorsätzen zum Trotz, sich dieses Mal mit Sicherheit nicht mehr irritieren oder instrumentalisieren zu lassen.
Und auf dem Spiel steht nicht wenig, nichts weniger als das Schicksal der Menschheit, will einer dem republikanischen Kandidaten Donald Trump Glauben schenken. Beim Auftritt vor der Conservative Political Action Conference (CPAC) beschwor er im März jene Apokalypse herauf, die auch seine evangelikale Basis umtreibt: «Dies ist die Endschlacht», sagte der Ex-Präsident: «Sie wissen es, ich weiss es, alle wissen es. Das ist es.»
Noch 2016 hatte Trump in seiner Rede zum Amtsantritt vom «amerikanischen Blutbad» gesprochen, das er zu verhindern versprach. Heute gibt er sich dem Yale-Soziologen Philip Gorski zufolge als «der lange Arm göttlicher Rache» – eine Selbsteinschätzung, die nicht nur seine religiöse Anhängerschaft, sondern auch die wachsende Zahl der Verschwörungstheoretiker im Lande anspricht.
Um seine Botschaft zu verbreiten, sind Donald Trump alle Mittel recht. Neuerdings schreckt er auch vor gefälschten Inhalten nicht zurück, die er mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz und Chatbots generieren lässt. Nach dem Auftritt in einer Town Hall von CNN liess er ein Fake Video aufschalten, in dem er einem Moderator des Senders eine obszöne Aussage in den Mund legte.
Noch aber ist Donald Trump nicht Präsidentschaftskandidat, auch wenn es längere Zeit so aussah, als ob ihm innerhalb seiner Partei niemand gefährlich werden könnte. Doch sein mutmasslich stärkster Herausforderer, Floridas Gouverneur Ron DeSantis, hat nach einigen Misstritten und Abstürzen in Umfragen jüngst wieder Tritt gefasst – als zwar ebenso dogmatischer und konservativer, dafür aber berechenbarerer und rationalerer Politiker. Der 44-jährige DeSantis, der nach längerer Zurückhaltung Mitte Woche seine Kandidatur angekündigt hat, gilt auch als «Trump mit Hirn».
Floridas Gouverneur ist jüngst bei Auftritten im Lande draussen auch lockerer und nahbarer geworden, obwohl er aus seiner Abneigung liberalen Medien gegenüber nach wie vor kein Hehl macht und sie bei politischen Events gelegentlich ausschliesst. Jüngstes Beispiel dafür ist ein Auftritt in Iowa, wo traditionell die ersten Vorwahlen um den Einzug ins Weisse Haus stattfinden. DeSantis hatte den Staat für sich, weil Trump, der ihm am selben Ort die Show hatte stehlen wollen, sein Erscheinen aus Furcht vor einem Tornado abrupt absagte, was ihm allerlei Spott eintrug.
Ron DeSantis nutzte vor einem Barbecue-Lokal bei Sonnenschein die Gelegenheit, sich als jüngere, ehrlichere und kompetentere Alternative zu Donald Trump zu präsentieren, obwohl er es vermied, seinen Kontrahenten wegen dessen jüngster Verurteilung für einen sexuellen Übergriff oder dessen gebetsmühlenartig wiederholten Wahl-Lüge zu kritisieren: «Falls wir diese Wahl zu einem Referendum über Joe Biden und seine erfolglose Politik machen und eine positive Alternative aufzeigen, wie Amerika in eine neue Richtung zu lenken ist, dann glaube ich, dass Republikaner landesweit gewinnen werden.»
Währenddessen setzt Donald Trump statt wie früher auf grosse und fürs Fernsehen inszenierte Rallies, deren Besucherzahlen eh im Abnehmen begriffen sind, neuerdings lieber auf spontane Auftritte vor seinen Fans wie unlängst in einem Restaurant in Davenport, wo er sich mit breitem Grinsen und hochgereckten Daumen bereitwillig für Selfies ablichten liess.
Seinen Beratern zufolge soll das seine Anhängerschaft daran erinnern, was sie an ihm liebt. «Präsident Trump ist für seine Treffen mit normalen Amerikanerinnen und Amerikanern von einem Staat zum andern gereist», hat sein Sprecher verlauten lassen: «Kontrastieren Sie das mit den Auftritten anderer, die sich wie Roboter geben und ihre Wählerinnen und Wähler nur als Zahlen sehen.» Dass er damit DeSantis meint, der kein Händeschüttler oder Baby-Küsser ist, scheint klar.
Dabei waren die beiden republikanischen Rivalen einst ein Herz und eine Seele gewesen. Als Ron DeSantis 2018 für das Amt des Gouverneurs in Tallahassee kandidierte, war ihm Donald Trumps Unterstützung sicher. Wofür DeSantis sich unterwürfig bedankte, indem er in einem TV-Wahlspot einer seiner zwei Töchter zeigte, wie man eine Spielzeugmauer baut, und seinem Sohn aus Trumps Bestseller «The Art of the Deal» vorlas.
Heute kennt der Ex-Präsident keine Hemmungen, wenn es darum geht, dem Gouverneur einen einprägsamen Übernahmen zu verpassen. Je nach Lust und Laune nennt er ihn «Ron DeEstablishment», «RonDisHonest» oder «RonDeSanctimonious». Die Liste liesse sich verlängern. Für Trump ist es eine Majestätsbeleidigung, wenn jemand und dazu noch ein früherer Günstling es wagt, gegen ihn anzutreten.
In der republikanischen Partei ist DeSantis allerdings nicht Trumps einziger Gegner. Ihm allein aber werden reelle Chancen eingeräumt, dem Ex-Präsidenten im Kampf um die Kandidatur für den Einzug ins Weisse Haus gefährlich zu werden. Dies, obwohl es an erklärten oder mutmasslichen Kandidatinnen und Kandidaten nicht mangelt: Ex-Uno-Botschafterin Nikki Haley, Ex-Präsident Mike Pence, Pastor Ryan Binkley, Radiomoderator Larry Elder, Gouverneur Asa Hutchinson, Geschäftsmann Perry Johnson, Investor Vivek Ramaswamy, Senator Tim Scott und einige andere mehr.
Sie alle werden sich entscheiden müssen, mit welcher Taktik sie gegen Trump antreten wollen. Laut Nate Cohn, dem politischen Chefanalysten der «New York Times», gibt es, ohne Erfolgsgarantie, zwei Wege, wie der Ex-Präsident in den Vorwahlen zu schlagen wäre. Die erste Option ist Trumpismus ohne Trump. Sie basiert auf der Annahme, dass der populistische Konservativismus der republikanischen Partei irreversibel und nicht chancenlos ist, Donald Trumps persönliches Verhalten aber Konservativen schadet und ihn auch daran gehindert hat, ein effektiver Präsident zu sein. Für politische Gegnerinnen und Gegner gälte es folglich, Trump bei Themen so nahe wie möglich zu kommen, sich in Sachen Charakter und Wählbarkeit aber deutlich von ihm zu abzuheben.
Die zweite Option ist Nate Cohn zufolge eine Alternative zum Trumpismus, die es noch nicht gibt. Sie würde einen herkömmlichen, aber profilierteren Konservativismus beinhalten, der die verschiedenen Strömungen innerhalb der Partei vereint, von Trumpisten bis zu radikalen Republikanern vom Schlage eines Senators Ted Cruz. Eine solche Botschaft zu finden, wäre zwar schwierig, aber nicht unmöglich, weil es dazu einen Präzedenzfall aus den 1970er Jahren gibt, als verschiedenen Parteiflügel der GOP sich aussöhnten und eine neue konservative Richtung einschlugen, welche die Partei für die nächsten 30 Jahre definierte.
Realistischerweise, folgert der politische Analyst, muss ein erfolgreicher republikanischer Wahlkampf Elemente von Trumpismus ohne Trump und einer Alternative zum Trumpismus fusionieren: «Für sich allein scheint keine Option realistisch genug zu sein. Die stärkste Kandidatur wird von einigen Aspekten der anderen profitieren. Richtig umgesetzt würde unter Umständen niemand sicher sein, in welche Kategorie seine oder ihre Kandidatur genau fällt.»
Niemand aber weiss, welche Taktik Donald Trump 2024 verfolgen wird, auch wenn er auf seine Art äusserst pragmatisch ist und flexibel die Richtung ändert, je nachdem wie der Wind. Etwa so, wie er das jüngst in Sachen Abtreibung gemacht hat, gegen die er sich nicht mehr so strikt ausspricht wie Ron DeSantis, ein gläubiger Katholik, der stets ein konsequenter Abtreibungsgegner gewesen ist, was er aber angesichts jüngster Umfrageergebnisse neuerdings nicht mehr so betont.
Trump dagegen, schreibt «Times»-Kolumnistin Gail Collins, werde erneut alles tun, um die Wahl zu gewinnen: «Falls ihm ein Engel erschiene und eine zweite Amtszeit im Weissen Haus verspräche, wenn er alle Welpen in Amerika killen würde, diese armen Tierchen wären Toast.» Ein schlechtes Beispiel, räumt Collins selbstironisch ein, weil «The Donald» Hunde sowieso hasst.