„Für eine Revolution fragt man nicht um Bewilligung“, erinnerte ein Teilnehmer an der Generalversammlung letzter Woche, wo hauptsächlich beschlossen wurde, möglichst wenig zu beschliessen. Also kein Organisationskomitee, kein einheitliche Forderung, kein Bewillingungsantrag bei der Stadtpolizei. „Verändern heisst nicht gehorchen“ lautet dementsprechend eines der zahlreichen Schilder, Transparente und Fahnen am Tag der Besetzung.
Karneval der Ausdrucksformen
Am Samstag schwappte die globale Empörungswelle auf den Zürcher Paradeplatz. Es war fröhlich und blieb friedlich. Das Mikrofon stand jedermann zur Verfügung, um den Grund seines Protests zu erläutern. Es wurde musiziert, Fussball gespielt, jongliert, gekifft, grilliert.
An einem Klapptisch vor dem Tramhäuschen wurde Backgammon gespielt, mitten auf der Traminsel richtete ein Grüppchen sein Wohnzimmer ein – Teppich, Sofa, Kaffeetisch. Es war ein Karneval der Ausdrucksformen, man kam verkleidet und geschminkt, ein achtköpfiges Detachement der "Gold Armee" in Militäruniform mit Lametta-Epauletten übte vor der Credit Suisse die Zugschule.
Jean Ziegler und Peter Forstmoster
Zu den erwarteten Gästen zählte Jean Ziegler, der dann doch das Flugzeug aus Paris verpasste, die Demonstrierenden aber per Telefon ansprach. Ganz der Medien-Profi brachte er seine Botschaft in einer Minute druckreif hinüber: Er diagnostizierte eine existentielle Bedrohung der Schweizer Gesellschaft durch die Grossbanken, empfahl deren Verstaatlichung, und forderte die strafrechtliche Verfolgung ihrer Führungsmitglieder. Abschliessend wünschte er den Versammelten „revolutionäre Geduld“.
Eher unerwartet vielleicht Peter Forstmoser (Ex-VR-Präsident Swiss Re und emmeritierter Rechtspofessor) auf dem Klappvelo am Rande des Geschehens. Auf Anfrage meinte er, er könne verstehen, dass viele Menschen frustriert seien. Ein nettes Lächeln, dann radelte er weiter.
Keine Alternativen?
Die Polizei hielt sich diskret zurück, bzw. in ihren warmen Wagen in den Seitenstrassen auf. Unbeeindruckt vom Menschenauflauf zeigte sich ein Englischer Beobachter des Geschehens: „Die sind einfach gegen Wallstreet, aber echte Alternativen haben sie nicht.“ Ein amerikanischer Passant, der angab zweimal jährlich nach Zürich zu reisen, stellte klar, dass dies nichts sei im Vergleich wie er damals gegen Vietnam protestiert habe. Done that, been there.
Für den aus Frauenfeld angereisten Gesprächspartner dagegen, Jahrgang 68, ist es bloss der erste Schritt zur Abschaffung des „Systems“. Er führt aus, es gehe schnell, von der Vergangenheit in die Zukunft, von Atlantis zu den Freimaurern, kosmischen Schwingungen, der Ermordung JFKs. Und einen wichtigen Link will er noch per E-mail schicken.
„Ubs, I did it again“
Auch ohne Organisation läuft alles geordnet ab. Abfallsäcke sind reichlich angebracht, freiwillige Peacekeepers in orangen T-shirts deutlich erkennbar. Am Stand der „Tee Party“ steht man geduldig Schlange für ein heisses Getränk, dazu gibt’s veganisches Chili sin carne. Zur Kollekte bezahlt man was man für richtig hält – „Vielen Bank!“
Am Bücherstand gibt’s intellektuelles Futter (Lenin: Staat und Revolution), die UNIA, die jungen Grünen, aber auch das Swiss Zeitgeist Movement markieren Präsenz. Die Slogans drücken die Meinungen („Geld killt“) und Forderungen („Hast du die Krise gesehen? Sie schuldet mir Geld!“) der Versammelten aus. Andere witzige Solgans: "My Boni is over the ocean" oder "Ubs, I did it again".
Dene wos guet geit
Doch es geht es nicht nur um die Rolle der Banken und die Wirtschaftskrise. OccupyParadeplatz ist eine Sammelstelle für alle von der Politik nicht aufgenommenen Forderungen, auch „Free Gaza“ passt dazu. Das Zitat des Liedermachers Mani Matter bringt die Sache auf den Punkt: „Dene wos guet geit/ giengs besser/ giengs dene besser/ wos weniger guet geit.“