Manchmal braucht es mehr als einen Anlauf, um ans Ziel zu kommen. Nämlich drei! So erging es auch Marina Rebeka. Sie ist Sopranistin und begeistert Publikum und Kritik gleichermassen als Leonore in Verdis «Il Trovatore» am Opernhaus Zürich.
Dreimal hat sie die Rolle einstudiert, und nun hat sie sie zum ersten Mal gesungen.
«2020 war ich in Wien als Leonore vorgesehen, was meine persönliche Premiere für diese Rolle gewesen wäre. Aber daraus wurde nichts wegen der Pandemie. Anschliessend war Paris geplant … und wegen Corona wurde wieder nichts daraus … Jetzt, beim dritten Mal hat es in Zürich geklappt! Nach der Premiere konnte ich sagen: Gottseidank! Jetzt habe ich die Rolle endlich gesungen!»
Marina Rebeka holt nochmal tief Luft und strahlt, denn besser hätte es kaum laufen können. Sie steht im Mittelpunkt einer Inszenierung, die die vertrackte Dreiecks-Geschichte um Leonore, die vom Grafen Luna und dem Troubadour Manrico begehrt wird, nicht so ganz ernst nimmt, sich aber auch nicht übers Herzeleid lustig macht. Gleichzeitig war es der Einstand des neuen Generalmusikdirektors des Zürcher Opernhauses, Gianandrea Noseda, der das Orchester im Graben und das singende Personal auf der Bühne mit Schwung, mit Elan und mit viel Italianità furios durchs Stück begleitete.
In Zürich ein bisschen zuhause
Nun sitzen wir im kleinen Dirigentenzimmer. Draussen ist es grau und kalt an diesem Novembertag, Marina Rebeka kümmert das nicht. «Die Leonore ist eine superdramatische Rolle», schwärmt sie und erklärt, dass der «Trovatore» zusammen mit «Rigoletto» und «Traviata» aus der mittleren Schaffensperiode Verdis stammt und noch Spuren von Belcanto enthält. «Vor allem die Koloraturen. Und dann diese dramatischen Momente, die auch dialogisch grossartig sind. Die Rolle ist super!» Und sie kommt aus dem Schwärmen nicht heraus … «Mit Gianandrea Noseda war es wunderbar, aber auch die Arbeit mit dem gesamten Regieteam. Es war überhaupt nicht anstrengend, man konnte alles gut miteinander besprechen. Es war eine tolle Atmosphäre und das ist sehr wichtig.»
In Zürich aufzutreten bedeutet für Marina Rebeka auch ein bisschen, wieder nach Hause zu kommen. «Ich kenne hier alle! Das erste Mal war ich vor acht Jahren in Zürich und habe die Donna Anna im ‘Don Giovanni’ gesungen.» Das war ein zwiespältiger Start, weil die Inszenierung damals so schräg und unschön war, dass der Dirigent den Taktstock hinschmiss und die Flucht ergriff. Marina Rebeka und das Gesangsensemble schickten sich drein, bissen die Zähne zusammen und sangen halt … Heute ist das kein Thema mehr für sie.
Als sie das erste Mal ins Opernhaus kam, war ihr erster Eindruck nicht berauschend. «Ich dachte: Oh Gott, was mache ich hier … Es sieht so klein aus! Aber der Klang war gut und man fühlt das Publikum so nah. Das ist ein ganz anderes Gefühl als in Wien oder an der Met. Man sieht die Leute und fühlt den Raum.» In der Folge war sie zwei Jahre im Ensemble des Zürcher Opernhauses und hatte verschiedene Rollen-Debüts, unter anderem die «Perlenfischer», «Cosi fan tutte» oder jetzt, verspätet, den «Trovatore».
Geprägt von der lettischen Ausbildung
Marina Rebeka kommt aus Riga in Lettland, stammt aber keineswegs aus einer musikalischen Familie. «Mein Grossvater war Ingenieur, meine Mutter war Ingenieurin, aber beide hatten immerhin eine musikalische Ausbildung, denn wenn man in Riga eine kultivierte Person sein will, muss man Piano spielen können, man geht auch schon als Kind in die Oper und ins Ballett und liebt das», erzählt sie. Riga sei schon immer eine Stadt mit vielen musikalischen Veranstaltungen gewesen, mit Shows und klassischer Musik. «Und wir hatten auch Konzerte im Rigaer Dom mit moderner Musik, also Gubaidulina, Kantscheli oder Desyatnikov zum Beispiel. Dann gibt es dieses wunderbare Sommerfestival in Jurmala, da sind wir gern hingegangen, weil man zur Musik das Meer sieht und die Natur … eine grossartige Atmosphäre. Oder auch das Opernfestival in Sigulda, in einem Garten, umgeben von alten Schlossruinen.»
Mit Andris Nelsons, Gidon Kremer, Mariss Jansons und Elina Garanca stammen – neben Marina Rebeka – bemerkenswert viele Musikschaffende aus Riga. Reiner Zufall ist das nicht. Die musikalische Ausbildung ist das Eine. «Dann ist da auch diese Passion … Wenn man sieht, dass klassische Musik etwas Besonderes ist, dann will man unbedingt dabei sein. Und dann …»: jetzt macht sie eine kleine Pause und flüstert fast: «Wir konnten lange Zeit gar nicht reisen. Und wenn man nicht reist, kann man auch nicht vergleichen und sagen, oh, ich war in der Scala und habe diesen und jene singen gehört, das war zwar gut, aber man könnte es auch besser machen. Wir hatten damals nur Schallplatten und dachten, wenn wir auf der Bühne singen wollen, müssen wir klingen wie die Caballé oder die Callas auf der Platte. Niemand dachte daran, dass auf der Platte das Beste der Aufnahmen aus mehreren Stunden zusammengeschnitten wird. Was tatsächlich live auf der Bühne der Scala gesungen wird, klingt ganz anders. Wir eiferten aber dieser Idee nach, wie es klingen muss – so wurde unser Niveau viel höher. Und dann kommst du nach Europa, erlebst die Realität auf der Bühne und sagst: Wie …??? Waaaas …??? Man hatte ja immer noch die Schallplatten im Ohr …» Die lange Zeit vor der Öffnung der baltischen Staaten erwies sich zumindest ausbildungsmässig als kleiner Vorteil.
Ihre Ausbildung begann Marina Rebeka in einer Musikschule in Riga, bevor sie nach Italien kam, um in Parma und Rom weiterzustudieren. Am Conservatorio Santa Cecilia schloss sie mit Bestnote ab, besuchte in Salzburg Meisterkurse mit Grace Bumbry, wurde in Erfurt engagiert, in Wien und in Berlin und es ging rasant aufwärts.
Rückblickend stellt sie fest, dass dies vor allem dank ihres Studiums in Lettland so gut gelaufen ist. «Das System in Lettland war sehr streng. Das wurde mir bewusst, als ich nach Italien gekommen bin und vergleichen konnte. Dort sagen sie mir, die Stimme sei wichtig, um das ‘solfeggio’, also die Ton- und Notenlehre, müsse ich mich nicht weiter kümmern, da wüsste ich schon genug. Dabei dachte ich immer, Musik ist wie eine Sprache, da musst du auch die Grammatik kennen, die Geschichte und Literatur, erst dann kannst du etwas schreiben. Ich finde, es ist grundsätzlich sehr wichtig, die Musikformen zu kennen, die Harmonie, die Musikliteratur und -Theorie … das ist die Grammatik der Musik!»
Unterwegs auf den internationalen Bühnen
Seit ihrem Debüt 2009 an den Salzburger Festspielen mit Rossinis «Moïse et Pharaon» ist Marina Rebeka international auf den grossen Bühnen unterwegs. Die langfristig gefüllte Agenda ist beruhigend, manchmal auch belastend. «Damals, in Salzburg, hatte ich schon Engagements für die nächsten fünf Jahre und ich dachte: Mein Gott, ist das mein Leben? Wo gibt es noch Überraschungen für mich? Wie ist das, wenn alles schon durchgeplant ist? Und wie kann ich wissen, ob mir dieses oder jenes dann gefällt? Dabei ist es so wichtig, darauf zu achten, wie sich die Stimme entwickelt. Ich erinnere mich, dass ich mich entscheiden musste, zwischen ‘Lucia di Lammermoor’ in Amsterdam oder Fiordiligi in ‘Cosi fan tutte’ hier in Zürich. Lucia kannte ich schon, Fiordiligi war neu, also habe ich mich dafür entschieden. Man muss auch nein sagen können. Wagner wurde mir angeboten, aber ich sagte: «Nein, es tut mir leid, das ist noch zu früh. Ich brauche Zeit für eine neue Rolle, ich kann nicht in einem Theater ankommen und schnell etwas einstudieren. Es muss in den Kopf und in die Stimme. Ich bin jetzt dabei, mich auf die ‘Madame Butterfly’ vorzubereiten. Schon seit längerem befasse ich mich mit der japanischen Kultur und den Geishas. Das ist viel Arbeit. Eigentlich wie bei einem Kind! das braucht auch neun Monate, bis es fertig ist …»
Ihr bestes Werk …
Kind – das ist schliesslich auch ein Stichwort. Marina Rebeka hat eine Tochter, die inzwischen zehn Jahre alt ist. Marina Rebekas Stimme wandelt sich schlagartig, wird weich und sehnsüchtig. «Ja, meine Tochter lebt bei meinen Eltern in Riga, aber ich plane alles so, dass ich jeden Monat nach Hause komme. Sie war auch eine Woche hier bei mir in Zürich. Es ist sehr wichtig, dass wir immer wieder Zeit zusammen verbringen können, wichtig für sie und wichtig für mich. Ich muss sie sehen und mit ihr sprechen. Ich will nicht, dass sie mit mir reist, denn um sich normal zu entwickeln, braucht sie andere Kinder um sich, Freunde, Gesellschaft und einen Platz, an dem sie zu Hause ist.» Das Kind, sagt sie, habe sie verändert. Es gebe eine Marina vor dem Kind und eine Marina mit dem Kind. Und das Kind stellt Fragen. «Was ist Liebe, was ist Leben, was ist das Wichtigste, ist es die Familie? Du musst diesem kleinen Wesen solche Sachen erklären und du musst dich selbst fragen, was bedeutet mir das? Man muss nachdenken, und das ist so wichtig, denn man sieht die ganze Welt durch die andere Person und aus einer anderen Perspektive.» Und auch wenn die Trennung immer wieder schwerfällt, ist es Marina Rebeka doch wichtig, der Tochter zu vermitteln, dass sie als Mutter auch Freude an ihrer Arbeit hat. «Ich liebe meinen Mann, meine Arbeit und ich liebe das Singen», sagt sie und ihre hellblauen Augen strahlen wieder. «Aber das Beste, das ich in meinem Leben gemacht habe, ist mein Kind. Das ist meine beste ‘Opera’...!»
Opernhaus Zürich
«Il Trovatore»
bis 26. November 2021