Er beginnt damit, dass er seine Zuversicht darauf unterstreicht, dass die ägyptische Revolution ihre Ziele erreichen wird. Er sei sich gewiss, dass die ägyptische Jugend den Kampf um eine Zukunft, in der ihre Menschenrechte geachtet würden, nicht aufgeben werde. Das Niederbrechen der Wand der Furcht, das die Revolution bisher gekennzeichnet habe, garantiere dies.
"Das Regime ist nicht gefallen"
Doch dann fährt er fort, bisher habe die Revolution ihre Ziele nicht erreicht. Er selbst und viele andere Ägypter hätten den Eindruck, "dass das Regime nicht gefallen" sei. Weder die Korruption sei behoben, noch würden die Menschenrechte besser bewahrt, als zur Zeit Mubaraks. "Die Revolutionäre", so sagte er, "werden vor Gericht gestellt, und jene, die sie verfolgten und ihre Freunde töteten, werden beschützt." Der Wirtschaft gehe es noch schlechter.
SCAF als der Schuldige
Die Schuld daran weist er sehr offen und ausführlich den "unernannten Kapitänen ohne Erfahrung" zu, die das Schiff des Staates, das sie durch die Wogen des Übergangs in den Hafen eines demokratischen Staates hätten hinein steuern sollen, gefährdeten. "Statt das Land in einem geordneten politischen Prozess zu vereinigen," so erklärt er, "haben sie alle politischen Entschlüsse alleine gefasst, und dies in einer Art, die Konfusion hervorbrachte und die Spaltungen in der Gesellschaft verschärfte, obwohl wir in bitterer Not nach Solidarität suchten."
Die demokratischen Voraussetzungen fehlen
Er selbst, so fährt er dann fort, habe sich und den Seinen gelobt, er werde nie eine staatliche Position einnehmen, solange keine demokratischen Zustände herrschten. Er erachte es als besser für das Land und für sich selbst, wenn er sich von allen offiziellen Bindungen frei mache und seine Meinung unbeschwert äussern könne.
Er macht klar, dass es die zur Zeit bestehenden Pläne für die Wahl eines ägyptischen Präsidenten sind, die ihn zu seiner Entscheidung geführt haben: "Die Umstände für die (geplante) Präsidentenwahl, die vorsehen, einen Präsidenten zu wählen, bevor eine Verfassung niedergelegt ist, welche die Beziehungen zwischen dem Staat und dem Präsidenten regelt, oder aber die Wahl vorzunehmen unter einer Verfassung, die in Eile zusammengeschustert werden soll, statt in Ruhe von allen Teilen des Volkes ausgearbeitet, erlauben mir nicht, mich als Kandidaten für eine demokratische Präsidentschaft zu stellen."
Demokratie bleibt das Ziel
Baradei versichert, dass er weiter für eine echte Demokratie und Bewahrung der Menschenrechte in Ägypten wirken werde, und er schliesst, indem er der Opfer der Revolution gedenkt und erneut seine Gewissheit ausspricht, dass sie nicht vergebens gefallen seien, weil am Ende die Revolution ihre Ziele erreichen werde.
Baradei galt nicht als der aussichtsreichste unter den ägyptischen Präsidentschaftskandidaten, weil er lange Zeit ausserhalb des Landes in Wien gelebt hatte und weil viele Ägypter aus den einfacheren Volksschichten ihn nur als eine politische Figur kannten, die während der bleiernen Mubarak-Jahre unter gehobenen "diplomatischen" Lebensbedingungen im Ausland ihr Leben fristete. Manche Ägypter haben ihm das offen zur Last gelegt.
Die aussichtsreichsten Präsidentschaftskandidaten
Als die Spitzenreiter, wenn es wie vorgesehen zu einer Volkswahl des Präsidenten kommt, gelten Amr Mousa, der frühere ägyptische Aussenminister und spätere Generalsekretär der Arabischen Liga oder Abdel Monem Abdul Futuh, der die Gunst weiter Kreise aus der Muslim-Bruderschaft geniesst, obwohl er selbst offiziell aus der Bruderschaft austreten musste, um sich als Kandidat zu stellen. Die Bruderschaft hatte zu Beginn der Revolution erklärt, sie wolle sich nicht um den Posten des Staatschefs bewerben.
Das demokratische Gewissen Ägyptens
Doch Baradei war für viele der gebildeteren Ägypter eine Figur, welche die demokratischen Aspirationen der ägyptischen Intellektuellen verkörperte. Er wirkte als das demokratische Gewissen des Landes schon vor Beginn der Volksbewegung, als er im Februar 2010 noch unter Mubarak nach seiner Pensionierung als Chef der Atombehörde aus Wien heimkehrte und seine Absicht verkündete, als Reform-Kandidat gegen Mubarak aufzutreten, falls die Wahl unter demokratischen Umständen ablaufe. Dies war nicht der Fall, und Baradei hat dann während des vergangenen Revolutionsjahres als ein ruhiger, aber klarsichtiger und entschiedener Befürworter der Demokratie gewirkt.
Sein Verzichtschreiben ist so formuliert, dass es diese Position, jene der Verkörperung des demokratischen Gewissens Ägyptens, einmal mehr unterstreicht und darauf ausgeht, sie auch für die Zukunft aufrechtzuerhalten.
Eine Stimme der Klärung und Mahnung
Die Bedeutung des Rücktrittes liegt aus diesen Gründen nicht so sehr darin, dass es nun einen Kandidaten für die Präsidentschaft weniger gibt, als in der klaren Abrechnung mit dem Militärrat, die Baradei vorlegt und in seiner Bestätigung, dass das alte Regime trotz der Ausbootung Mubaraks nicht wirklich gestürzt worden ist.
Die Feiern für den ersten Jahrestag der Volksbewegung in Ägypten stehen bevor. Die Militärs wollen sie in ihrer Weise begehen und die Revolutionäre in der ihrigen. Die Militärs werden auch in den kommenden Monaten den Verlauf der Dinge bestimmen. Doch die klaren Worte, die Baradei sprach und die er gewiss gedenkt weiter zu sprechen, werden ein Faktor in dem komplexen Ringen bleiben, das sich weiterhin um die Zukunft der ägyptischen Demokratie abspielen wird.