Die stetige Empörung, die während der Ära von Gérard Mortier und seines Lieblingsregisseurs Krzysztof Warlikowski fast an der Tagesordnung war, hatte sich unter der künstlerischen Leitung von Philippe Jordan gelegt.
Die Inszenierungen waren konventioneller geworden, manche sprachen auch von „langweilig“. Die musikalische Qualität aber hatte sich unzweifelhaft verbessert. Jordan wurde wegen der sorgfältigen Auswahl der Stimmen und seines inspirierten Dirigats gefeiert; oft schon wie ein Popstar.
Umso erschütterter zeigte er sich ob der Buhrufe und Proteste schon während der Generalprobe der Aida. Teile des Publikums verliessen demonstrativ den Saal. Gewiss, Verdi ist vielleicht nicht ganz so sein Seelenverwandter wie Wagner. Die Stimmen der Sängerin der Aida (Oksana Dyka) und der Amneris (Luciana d’Intino) wirkten etwas schrill an gewissen Stellen, und der grosse Feldherr Rhadames ( Marcelo Alvarez) war zwischen den starken Damenstimmen manchmal kaum zu hören. Doch gleich diese Entrüstung?
Wahrscheinlich galt sie nicht ihm sondern schwappte nur auf ihn über. Kritiker und Musikologen gruppierten sich nach der Vorstellung und versuchten der Empörung auf den Grund zu gehen. Es musste an der Inszenierung von Olivier Py liegen. Doch woran genau?
Das französische Regiegenie hatte ein schwarz-goldenes Bühnenbild gewählt, das sehr an die Stimmung im Schatzraum des Grabes von Tutenchamun erinnerte. Die sehr goldglänzende Architektur wies faschistische Symbole auf und war mit „Re Vittorio Emanuele“ angeschrieben. Dazwischen agierten moderne Fallschirmjäger in Kampfanzug und mit Maschinengewehren: Ägypten befand sich damals im Krieg mit dem Volk Aidas (wahrscheinlich den Äthiopiern). Die von Pharao begnadigten Gefangenen, in 50-er Jahren Outfits, stehen mit Koffern und Päckchen in der Hand eingeschüchtert zusammengepfercht, während Manifestanten mit ‚Ausländer raus’-Transparenten demonstrieren.
Sensibilisierte Kreise in Paris haben nun dies gesehen: Aida wurde zur Jüdin gemacht und der Holocaust in der Oper thematisiert - von der Vertreibung der Juden bis zu deren Vernichtung. Letzteres zeigten die Leichenberge am Grab von Aida und Rhadames. Vielleicht könnte man es so sehen. Doch diese Interpretation entspricht keineswegs der Absicht des Regisseurs.
Olivier Py zu seiner Inszenierung: „Ich bin sicher, Verdi setzte sich vor allem für die Schaffung der „Nation Italien“ ein. Es ging ihm darum, die Beziehungen zwischen den Kolonialisten (zu Verdis Zeiten waren dies die Österreicher) und den Kolonisierten (damals die Italiener) aufzuzeigen.“
Man sollte sich die Freude an dieser Oper nicht nehmen lassen. Dies ist eine vielleicht nicht ausserordentliche, doch gewiss sehenswerte Interpretation der ‚Aida’.
„Elektra“
Einstimmige Begeisterung aber herrschte bei der Premiere der ‚Elektra’ am letzten Sonntag. Die Inszenierung des Kanadiers Robert Carsens war düster, sehr stilisiert; Bühnenbild, Requisiten und Kostüme auf das Nötigste reduziert. Es wirkten vor allem die Musik und die Stimmen.
Waltraut Meier, die bayrische Kammersängerin, war schon Regisseur Patrice Chéreaus Wunsch-Klytämnestra und verkörperte diese auch bei seiner Inszenierung in Aix-en-Provence. Nun begleitete sie ihren Freund auf seinem letzten Weg und sang Wagner auf seiner Abdankung in der Pariser Kirche St. Sulpice, während sie für diese neue Elektra an der Opéra Bastille probte. Auch diesmal erfüllte sie die Rolle der ehebrecherischen Mutter von Elektra und Orestes mit Dramatik, technischer Brillanz und Bravour. Sie stand dabei ihrer jüngeren Kollegin Irène Théorin, die ihre Rolle als Elektra förmlich lebte, auch im Volumen nicht nach. Auch Philippe Jordan wurde für seine Musikführung wieder gefeiert. Die Pariser Opernwelt scheint erneut in Ordnung.
„Così fan tutte“
‚Aida’ und ‚ Elektra’ wurden beide in der Opéra Bastille gespielt, einem modernen kühlen Betonbau. Viele Paris-Besucher, die sich einen festlichen Abend machen wollen und keine speziellen Opern-Begeisterte sind, ziehen dafür jedoch die alte Opéra Garnier vor, mit ihrem üppigen, an Versailles erinnernden Interieur und den Deckengemälden von Marc Chagall. Dort werden seit der Umstellung vor allem die Balletts gegeben und Barockopern.
Mozarts ‚Così fan tutte’ wurde gerade hier aufgeführt, in einer rundum geglückten Produktion.
Für einmal traut der Regisseur dem Publikum zu, selbst die thematische Brücke von der Vergangenheit in die Gegenwart zu schlagen. Die ästhetische Harmonie von Kostümen und Bühnenbild setzte sich in den Stimmen und der Orchesterführung fort. Michael Schonwandt spielte mit dem Orchester de l’Opéra National de Paris eine angemessen filigran leichtfüssige Musik. Die Stimmen der beiden Schwestern Fiordiligi (Myrto Papatanasiu) und Dorabella (Stéphanie f’Outrac) sind vollmundig und technisch ausgefeilt und harmonierten aufs Herrlichste miteinander.
Ihre männlichen Gegenparts Guglielmo (David Bizic) und Ferrando (Dmitry Korchak) standen ihnen kaum nach. Bemerkenswert war auch die Spielfreude des ganzen Ensembles, dessen Begeisterung sich aufs Publikum übertrug. So verliess man die Opéra Garnier sehr beschwingt und mit der Gewissheit einem wirklich gelungenen Opernabend erlebt zu haben.